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Elftes Capitel.

Auch die Stille des Försterhauses hatte der kriegerische Lärm, welcher die ganze Gegend durchhallte, hin und wieder gestört. Patrouillen, die sich verlaufen hatten, waren von Tante Malchen mit Brod und Milch erquickt und vom Förster auf den rechten Weg gewiesen worden; eine Schwadron Husaren hatte auf dem freien Platze vor dem Hause Halt gemacht und ihre Pferde gefüttert; einmal hatte sogar in unmittelbarster Nähe des Gehöftes ein lebhaftes Tirailleurgefecht stattgefunden, das die Hunde im Zwinger, welche das fortwährende Flintengeknatter für eine Jagd im großen Maßstabe hielten, fast zur Verzweiflung brachte und Tante Malchen's Tauben, welche eben zu ihrem Morgenausfluge aufgebrochen waren, so verschüchterte, daß sie erst am folgenden Tage wieder nach ihrem Schlag zurückzukehren wagten.

In einer kaum geringeren Aufregung befand sich die junge Welt, zu welcher jetzt auch Henri gehörte, der den beiweitem größten Theil seiner Zeit in dem Försterhause zubrachte. Henri's entschiedene, an Schwärmerei grenzende Neigung für das Soldatenthum und Alles, was damit in Verbindung stand, hatte die Uebrigen, zum wenigsten Walter und Silvia, in Mitleidenschaft gezogen. Er wußte immer genau, was am nächsten Tage geschehen, wo man die verschiedenen Truppentheile finden und an welchen Orten und zu welcher Stunde es wahrscheinlich zum Gefecht kommen werde.

Zuschauer eines solchen Gefechts zu sein, war, da er doch einmal nicht als Mithandelnder theilnehmen durfte, die höchste irdische Glückseligkeit, die Henri's Phantasie sich ausmalen konnte, und so bat und quälte er denn so lange, bis der Förster seine zwei Braunen an den kleinen Leiterwagen spannen und die junge Gesellschaft von dem Knechte nach dem von Henri bezeichneten Orte fahren ließ. Einmal verfehlte man die Richtung und mußte, ohne etwas gesehen und gehört zu haben, nach Hause zurückkehren; ein anderesmal aber genoß man von dem Rande des Waldes aus den Anblick eines Reiterangriffs auf ein paar Infanterie-Quarrés und konnte, als man nach Hause zurückgekommen war, nicht Rühmens genug davon machen, wie prächtig es ausgesehen habe, als plötzlich die unabsehbare Linie der zwei Reiter-Regimenter – Cürassiere und rothe Husaren – über dem langgestreckten Hügelrücken auftauchte und in vollem Jagen auf die marschirenden Colonnen zukam, die sich mit Blitzesschnelle nach der Mitte in Colonne, Quarré fertig! formirten, und Salve auf Salve den Angreifern entgegendonnerten; wie dann die Reiter-Regimenter in Zügen rechts abgeschwenkt und wieder hinter dem Rücken des Hügels verschwunden seien.

Und das war noch nicht Alles gewesen. Als die Colonnen sich wieder in Bewegung setzten, hatten sie an dem etwas erhöhten Waldrande, auf dem das leichte Fuhrwerk hielt, vorbei gemußt. Der Anblick Silvia's, die hoch aufgerichtet im Wagen stand, hatte die größte Sensation hervorgebracht; die Officiere, von denen Henri einige persönlich bekannt waren, hatten mit dem Degen salutirt, die Soldaten hatten Hurrah gerufen, das Spiel war gerührt worden, und so waren sie vorübergezogen zum Triumphe Silvia's, deren Wangen vor freudigem Erstaunen über so viel Huldigungen glühten, zum Entzücken Henri's und Walter's, welche sich in Erwiederung der Hurrahs der Soldaten heiser schrieen, und zum Entsetzen des Knechtes, der die durch all' den Lärmen erschreckten Pferde kaum noch hatte halten können.

Indessen waren es nur Silvia, Walter und Henri gewesen, die an diesen Ausflügen theilnahmen; Leo war unter diesem oder jenem Vorwande zu Hause geblieben. Einmal fühlte er sich nicht wohl, ein anderesmal hatte er zu arbeiten, wieder ein anderesmal mußte er seinen Vater in Feldheim besuchen. Walter, der von Henri's kriegerischem Fieber angesteckt war, versuchte wohl, Leo zum Mitkommen zu bewegen; Henri und Silvia aber schienen froh zu sein, wenn der Platz auf dem kleinen Wagen nicht unnöthig beengt wurde.

So kam der Tag nach der Ankunft des Königs heran. Für den Nachmittag hatte Henri einen Ausflug nach einem Hügel projectirt, von welchem aus man den König mit seinem ganzen Stabe und ein großes Artilleriegefecht, das vor den Augen Sr. Majestät stattfinden sollte, sicher würde übersehen können. Bereits hatte der Förster seine Einwilligung gegeben, die Pferde waren schon vor den Leiterwagen gespannt, als ein königlicher Reitknecht im vollen Jagen angesprengt kam und dem Förster ein Billet überbrachte, das dieser sofort erbrach und mit einer Miene las, die den harrenden Knaben nicht viel Gutes verkündete.

Was giebt's, Herr Gutmann? fragte Henri, ich soll doch wohl nicht nach Hause kommen?

Im Gegentheil, sagte der Förster, wieder in den Brief blickend; der Herr General schreibt, daß Sie sich unter keinen Umständen von hier entfernen dürften, da gegen fünf Uhr Se. königliche Hoheit der Kronprinz mit ganz kleinem Gefolge uns mit einem Besuche beehren werden.

Der Förster machte ein sehr nachdenkliches Gesicht und fing an mit langsamen Schritten vor dem Hause auf und ab zu gehen. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick in den Brief, wie um sich zu versichern, daß wirklich Alles so auf dem Papier stehe. Endlich rief er laut nach seiner Schwester.

Tante Malchen kam aus der Speisekammer, wo sie Butterbrode, welche die Kinder auf ihrer Ausfahrt mitnehmen sollten, gestrichen hatte, herbeigetrippelt. Die Nachricht von dem bevorstehenden Besuche des Prinzen, welche ihr der Bruder ohne weitere Einleitung mittheilte, brachte die gute Dame ganz außer sich. Sie wurde zuerst blaß vor Schreck, dann dunkelroth bei dem Gedanken, daß sie heute Nachmittag – es war gerade Samstag – in der guten Stube hatte scheuern lassen. Außerdem habe sie heute nichts, aber auch gar nichts im Hause, womit sie so hohe Gäste würdig bewirthen könne. Die Wirkung so vieler zu gleicher Zeit auf Tante Malchen einstürmender Schrecken war, daß sie sich auf die Bank vor der Thür setzte, das Gesicht mit der Schürze bedeckte und bitterlich zu weinen anfing.

Der Förster gerieth in die übelste Laune. Er sagte Malchen, daß durch ihre Thränen die gute Stube nicht trocken würde, und wünschte zu wissen, ob es eines Christenmenschen würdig sei, sich vor Jemandem, der doch schließlich auch Gottes Creatur wäre, so zu ängstigen. Ein Försterhaus sei kein Schloß – das wüßte jedes Kind, und der Kronprinz habe schon längst die Kinderschuhe ausgetreten. Tante Malchen, die so harte Worte seit undenklicher Zeit nicht von ihres Bruders Lippen gehört hatte, eilte schluchzend in's Haus und versuchte in ihrer leeren Speisekammer sich über die Schelte ihres Bruders und über die Schande, welche dem Försterhause bevorstand, so gut es gehen wollte, zu trösten.

Der Wagen stand noch immer bespannt vor der Thür. Silvia, Henri und Walter saßen noch immer auf den Strohsäcken und sahen sich mit erstaunten Gesichtern an; der Förster fragte, ob sie denn ewig sitzen bleiben wollten; der Knecht möge sich sputen, fertig zu werden, der Prinz werde alsbald kommen, und wer dann die Pferde in den Stall ziehen solle.

Leo hatte aus einiger Entfernung dieser Scene zugesehen. Jetzt trat er heran und bat den Onkel um die Erlaubniß, zu seinem Vater nach Feldheim hinübergehen zu dürfen. Mach' Du mir nicht auch noch den Kopf warm! rief der Förster ärgerlich, was willst Du denn heute in Feldheim? Ist Dir vielleicht die Gesellschaft des Kronprinzen nicht gut genug? – Na, Junge, ich wollte Dir nicht weh' thun; aber Ihr solltet doch auch vernünftig sein und Einem nicht in solchem Augenblicke durch den Sinn fahren. Dachte ich es doch, da kommt der Kronprinz schon.

Eine Cavalcade von vier oder fünf Reitern kam den breiten Weg durch den Wald daher gesprengt; voran auf einem feingebauten arabischen Pferdchen der fürstliche Knabe. Vor der Thür des Försterhauses hielten sie still. Die Begleiter schwangen sich aus den Sätteln. Der Förster eilte herbei, dem Prinzen das Pferd zu halten.

Sind Sie der Herr Gutmann? fragte der Prinz mit einer sehr hellen Stimme.

Zu Befehl, königliche Hoheit!

Und wer ist das hübsche Kind da auf dem Wagen?

Meine Tochter, königliche Hoheit!

Der Prinz wendete sich um und rief dem General, der neben ihm stand, einige Worte in französischer Sprache zu, die der Förster, der sein Französisch ziemlich vergessen hatte, nicht verstand. Dann schwang er sich aus dem Sattel und reichte dem Förster die Hand.

Ich denke, es wird mir bei Ihnen gefallen, lieber Gutmann, sagte der Prinz.

Es würde mir das eine große Freude sein, königliche Hoheit, erwiederte der Förster.

Der Prinz wendete sich wieder zum General und flüsterte ihm, abermals französisch, lächelnd etwas zu, woraus der General, ebenfalls lächelnd, in derselben Sprache antwortete.

Der Förster wurde roth und verlegen. Er hätte es lieber gehabt, wenn der Prinz lauter, und vor Allem, wenn er nur deutsch gesprochen hätte.


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