Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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92.

Wir warteten in den Polizeigefängnissen einen kaiserlichen Kommissar ab, der von Wien kommen sollte, um uns bis an die Grenze zu begleiten. Da man unsere Koffer verkauft hatte, versahen wir uns inzwischen mit weißer Wäsche und neuen Kleidungsstücken und legten die Sträflingstracht ab.

Nach fünf Tagen traf der Kommissar ein, der Polizeidirektor übergab uns seiner Aufsicht und händigte ihm zugleich das Geld ein, das wir nach dem Spielberg mitgebracht und auch das, welches man aus dem Verkauf unserer Koffer und Bücher gelöst hatte. Dies Geld wurde uns erst an der Grenze übergeben.

Die Kosten für unsere Reise bestritt der Kaiser selbst, und ohne daß dabei gespart worden wäre.

Der Kommissar war Herr von Noe, ein Edelmann, welcher in der Kanzlei des Polizeiministers angestellt war. Man hätte für uns keinen Mann von feinerer Bildung auswählen können. Stets behandelte er uns mit der äußersten Rücksicht.

Aber bei meiner Abreise von Brünn hatte ich mit den schmerzhaftesten Brustbeklemmungen zu kämpfen und durch die Erschütterung des Wagens nahm das Übel dermaßen zu, daß ich am Abend furchtbar keuchte und von einem Augenblicke zum anderen zu ersticken fürchtete. Außerdem hatte ich die ganze Nacht das heftigste Fieber, und der Kommissar war am folgenden Morgen zweifelhaft, ob ich die Reise bis Wien werde fortsetzen können. Ich sagte »ja«; wir reisten weiter: das Übel erreichte den äußersten Grad von Heftigkeit; ich konnte weder essen noch trinken noch sprechen.

Halbtot langte ich in Wien an. Man gab uns eine gute Wohnung auf der Generaldirektion der Polizei. Man brachte mich ins Bett: ein Arzt ward gerufen; dieser verordnete mir einen Aderlaß, der mir auch wirklich Erleichterung verschaffte. Acht Tage lang bestand meine Kur in der mäßigsten Kost und in dem Genuß eines großen Quantums Akonit; so ward ich wieder gesund. Der Arzt war Herr Singer; wahrhaft freundschaftliche Aufmerksamkeit bewies er mir.

Voll größter Angst drang ich auf die Abreise, um so mehr, da die Nachricht von den drei Schreckenstagen in Paris zu uns gedrungen war.

An demselben Tage, wo die Revolution zum Ausbruch gekommen war, hatte der Kaiser das Dekret zu unserer Freilassung unterzeichnet! Kein Zweifel, daß er es jetzt nicht widerrufen hatte. Aber wären die Zeiten wieder für ganz Europa so bedenklich geworden, dann war es so unwahrscheinlich doch nicht, daß auch in Italien Volksbewegungen zu befürchten waren, und daß man uns in diesem Zeitpunkte nicht würde in die Heimat zurückkehren lassen. Zwar waren wir überzeugt, daß wir nicht wieder auf den Spielberg kommen würden; aber wir besorgten ernstlich, es möchte jemand dem Kaiser den Rat geben, uns in irgendeine von der Halbinsel weit entfernt liegende Stadt des Kaiserreichs bringen zu lassen.

Ich gab mir den Anschein, weit gesünder geworden zu sein, als es wirklich der Fall war, und bat um die Beschleunigung unserer Abreise. Indessen war es mein lebhaftester Wunsch, mich dem turinischen Gesandten am österreichischen Hofe, Seiner Exzellenz dem Herrn Grafen von Pralormo vorzustellen, da ich wohl wußte, wieviel ich seiner Güte zu danken hatte. Mit dem edelmütigsten und beharrlichsten Eifer hatte er sich um meine Freilassung bemüht. Aber das Verbot, niemanden, wer es auch sein möchte, aufzusuchen, gestattete keine Ausnahme.

Kaum war ich wieder etwas hergestellt, als man uns die Höflichkeit erwies, uns für einige Tage einen Wagen zu senden, damit wir uns die Stadt Wien etwas ansehen könnten. Der Kommissar war verpflichtet, uns zu begleiten und mit niemand sprechen zu lassen. Wir sahen die schöne St. Stephanskirche, die herrlichen Spaziergänge der Stadt, das nahegelegene Lustschloß Lichtenstein und zuletzt das kaiserliche Lustschloß Schönbrunn.

Als wir uns in den prächtigen Gängen des Parks von Schönbrunn befanden, kam der Kaiser vorüber, aber der Kommissar hieß uns umkehren, damit der Anblick unserer abgezehrten Personen ihn nicht unangenehm berühre.


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