Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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33.

Eines Tages trat einer von den Secondini mit geheimnisvoller Miene in mein Gefängnis und sagte zu mir: »Ja, als Jungfer Zanze noch hier war ... wie sie Ihnen noch den Kaffee brachte ... und sich lange aufhielt, um zu schwatzen ... ich fürchtete immer, die Schelmin möchte alle Ihre Geheimnisse auskundschaften, mein Herr ...«

»Nicht eins hat sie ausgekundschaftet,« erwiderte ich aufbrausend; »und ich, wenn ich wirklich welche hätte, würde nicht so töricht sein, sie mir herausholen zu lassen. Was wollt Ihr weiter?«

»Bitte um Entschuldigung, mein Herr; ich sage ja nicht, daß Sie so töricht wären, aber Jungfer Zanzen traute ich nicht. Und jetzt, mein Herr, wo Sie niemand mehr haben, der Ihnen Gesellschaft leistet ... ich baue auf ...«

»Worauf denn? Erklärt Euch deutlicher.«

»Aber schwören Sie mir vorher, mich nicht zu verraten.«

»Pah, schwören, daß ich Euch nicht verrate, kann ich schon: ich habe noch niemand verraten.«

»Sie sagen also wirklich, daß Sie schwören, wie?«

»Ja, ich schwöre, Euch nicht zu verraten. Aber wißt, Halunke, der Ihr seid, daß jemand, der des Verrates fähig wäre, auch imstande sein dürfte, einen Eid zu brechen.«

Danach zog er einen Brief aus der Tasche, überreichte mir ihn zitternd, wobei er mich beschwor, ihn zu zerreißen, wenn ich ihn gelesen hätte.

»Wartet (sagte ich, indem ich den Brief öffnete); sobald ich ihn gelesen, will ich ihn in Eurer Gegenwart zerreißen.«

»Aber, mein Herr, Sie sollten darauf antworten, und so lange kann ich nicht warten. Tun Sie's nach Ihrem Belieben. Nur darüber wollen wir uns verständigen: Sobald Sie merken, daß einer kommt, so geben Sie acht, ob ich es bin, ich werde immer das Liedchen singen: ›Mir träumte, ich wär' ein Kätzchen!‹ Dann haben Sie keine Überraschung zu fürchten, und können jedes Papier in der Tasche behalten. Aber wenn Sie das Liedchen nicht hören, so werden Sie daraus erkennen, daß ich es nicht bin oder in Begleitung komme. In solchen Fällen getrauen Sie sich niemals, ein Papier bei sich versteckt zu halten, weil eine Durchsuchung stattfinden könnte, zerreißen Sie es sorgfältig und werfen es zum Fenster hinaus.«

»Seid unbesorgt; ich sehe, daß Ihr vorsichtig seid, auch ich werde es sein.«

»Und doch haben Sie mich einen Halunken geschimpft.«

»Ihr habt recht, es mir vorzuhalten,« sagte ich ihm und drückte ihm dabei die Hand. »Verzeiht mir!«

Darauf entfernte er sich, und ich las: »Ich bin ... (hier kam der Name) einer von denen, die Sie bewundern; ich weiß Ihre ganze Francesca da Rimini auswendig. Mich verhafteten sie wegen ... (hier nannte er den Grund und das Datum seiner Verhaftung), und ich würde, wer weiß wie viel Tropfen meines Blutes hingeben für das Vergnügen, mit Ihnen zusammen zu sein oder wenigstens ein Gefängnis neben dem Ihrigen zu haben, damit wir zusammen sprechen könnten. Seit ich von Tremerello (so wollen wir unseren Vertrauten nennen) erfuhr, daß Sie, mein Herr, gefangen säßen und weswegen, brannte ich von Begierde Ihnen zu sagen, daß niemand Sie mehr beklage als ich, daß niemand Sie mehr liebe als ich. Würden Sie gütigst auf folgenden Vorschlag eingehen, daß wir uns, nämlich, gegenseitig die Last unserer Einsamkeit erleichtern, indem wir uns schreiben! Als Mann von Ehre verspreche ich Ihnen, daß niemand es jemals von mir erfahren soll, und bin überzeugt, daß ich, falls Sie meinen Vorschlag annehmen, dieselbe Verschwiegenheit von Ihnen hoffen darf. – Damit Sie indes mich etwas näher kennen lernen, will ich Ihnen einen kurzen Abriß meiner Lebensgeschichte geben usw.«

Darauf folgte der Abriß.


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