Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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47.

Die Übelkeit, an der mein Magen seit langer Zeit litt, hörte auf, das Kopfweh ließ nach, und ich bekam eine außerordentliche Eßlust. Meine Verdauung war vortrefflich, und ich nahm an Kräften zu. Wunderbare Vorsehung! sie hatte mir die Kräfte genommen, um mich zu demütigen; sie verlieh mir dieselben wieder, weil die Zeit herannahte, wo die Straferkenntnisse bekanntgemacht werden sollten, und weil sie nicht wollte, daß ich bei ihrer Ankündigung unterläge.

Am 24. November ward einer unserer Gefährten, Doktor Foresti, aus den Bleidächern geholt und fortgebracht, ohne daß wir erfuhren, wohin. Der Kerkermeister, seine Frau und die Secondini waren bestürzt; niemand wollte mir über das Geheimnis Aufschluß geben.

»Was wollen Sie denn eigentlich wissen,« sagte Tremerello zu mir, »wenn es nichts Gutes zu erfahren gibt? Ich habe Ihnen dies schon zu oft gesagt, schon zu oft habe ich Ihnen das gesagt.«

»Heraus damit, was nützt es, mir's länger zu verschweigen?« schrie ich im Unmut; »habe ich Euch nicht längst verstanden? Er ist zum Tode verurteilt?«

»Wer? ... Er? ... Doktor Foresti? ...«

Tremerello hielt inne, aber die Lust zu schwatzen war nicht die geringste seiner Tugenden.

»Sagen sie nachher aber nicht, ich sei ein Schwatzmaul; ich wollte eigentlich über diese Dinge meinen Mund nicht aufmachen. Vergessen Sie nicht, daß Sie mich gezwungen haben.«

»Jawohl, ich habe Euch gezwungen; aber, meiner Treu, sagt mir alles! Was ist mit dem armen Foresti geschehen?«

»Ach, mein Herr! Sie haben ihn über die Seufzerbrücke wandern lassen! Er ist im Kriminalgefängnisse! Das Todesurteil ist ihm und zwei anderen vorgelesen worden.«

»Und man wird es vollstrecken? Wann? O die Bejammernswerten! Und wer sind die zwei anderen?«

»Weiter weiß ich nichts, gar nichts weiter. Das Erkenntnis ist noch nicht bekannt gemacht. Man spricht in Venedig davon, daß einzelne Milderungen der Strafe eintreten werden. Wollte Gott, über keinen von Ihnen würde der Tod verhängt! Wollte Gott, wenn nicht alle von der Todesstrafe loskämen, daß Sie wenigstens davon befreit würden! Zu Ihnen habe ich so große Zuneigung gefaßt ... entschuldigen Sie meine Dreistigkeit ... als wenn Sie mein Bruder wären!«

Ganz bewegt entfernte er sich darauf. Der Leser kann sich denken, in welcher Aufregung ich den ganzen Tag über war und die folgende Nacht und so viele andere Tage nachher, da ich nichts Genaueres weiter erfahren konnte.

Die Ungewißheit dauerte einen Monat: endlich wurden die Erkenntnisse für die erste Abteilung des Prozesses veröffentlicht. Sie betrafen viele Personen, von diesen waren neun zum Tode verurteilt und dann zu schwerem Kerker begnadigt, einige zu zwanzig Jahren, andere zu fünfzehn (beide Teile sollten ihre Strafe auf der Festung Spielberg, nahe bei Brünn in Mähren, abbüßen), andere wieder waren zu zehn Jahren oder weniger verurteilt (und diese kamen auf die Festung Laibach).

Durfte man daraus, daß die Strafe für alle von der ersten Prozeßabteilung gemildert war, den Schluß machen, daß die Todesstrafe auch denen von der zweiten Abteilung werde erlassen werden? Oder sollte die Milde nur gegen die ersten geübt werden, weil sie verhaftet worden, ehe die Erlasse gegen die geheimen Gesellschaften ergangen waren, und sollte die ganze Strenge auf die von der zweiten Partie fallen?

Die Lösung des Zweifels kann nicht mehr fern sein, sagte ich, dem Himmel sei Dank, daß ich Zeit habe, den Tod vorauszusehen und mich darauf vorzubereiten.


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