Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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52.

Wie süß war der Augenblick des Wiedersehens für den Freund und für mich nach einer Trennung von einem Jahre und drei Monaten und nach so großen Leiden! Die Freuden der Freundschaft ließen uns fast unsere Verurteilung auf einige Minuten vergessen.

Ich riß mich jedoch bald aus seinen Armen los, um die Feder zu ergreifen und an meinen Vater zu schreiben. Sehnlichst wünschte ich, daß die Meldung von meinem harten Lose durch mich zuerst an meine Familie gelangte, noch ehe es ihnen durch andere bekannt würde, damit der Friede und die religiöse Ergebung meiner eignen Worte den Jammer dieser geliebten Herzen zu mildern vermöchte. Die Richter versprachen mir, den Brief sogleich abzuschicken.

Hierauf erzählte mir Maroncelli den Verlauf seines Prozesses, ich berichtete ihm von dem meinigen; wir teilten einander unsere Erlebnisse im Gefängnisse mit, traten dann ans Fenster, begrüßten drei andere Freunde, die an ihren Fenstern standen: zwei davon waren Canova und Rezia, die beieinander waren, der erstere zu sechs Jahren schweren Kerkers verurteilt, der zweite zu dreien; der dritte war Doktor Cesare Armari, der in den letzten Monaten in den Bleidächern mein Nachbar gewesen war. Über diesen war noch kein Urteil ergangen, und später ward er für unschuldig erklärt und freigelassen.

Die Unterhaltung mit dem einen oder dem anderen gewährte uns für den ganzen Tag und den ganzen Abend eine angenehme Zerstreuung. Als wir aber zu Bette gegangen, als das Licht ausgelöscht und alles still geworden war, da war es mir unmöglich zu schlafen, mein Kopf brannte mir und mein Herz blutete, wenn ich nach Hause dachte. – Können meine alten Eltern wohl dies Mißgeschick ertragen? Werden die anderen Söhne imstande sein, sie zu trösten? Alle waren sie in gleicher Weise geliebt und verdienten es mehr als ich; aber findet ein Vater und eine Mutter jemals in den Söhnen, die ihnen übrigbleiben, einen Ersatz für den, welchen sie verlieren?

Ach, hätte ich nur an die Verwandten und an manche andere geliebte Person gedacht! Die Erinnerung an sie war nur schmerzlich, zugleich aber stimmte sie mich weich. Aber auch an das vermeintliche schadenfrohe, höhnische Lächeln des einen Richters dachte ich, an den Prozeß, an den Grund zu den Verurteilungen, an die politischen Leidenschaften, an das Schicksal so vieler Freunde ..., da war ich unfähig, auch nur über einen meiner Widersacher mit Nachsicht zu urteilen. Eine harte Probe war es, die mir Gott auferlegte! Sie tugendhaft zu bestehen, wäre meine Pflicht gewesen. Aber ich konnte es nicht! ich wollte nicht! Die Lust am Hasse sagte mir mehr zu als die Verzeihung; es war eine Höllennacht, die ich zubrachte!

Am Morgen betete ich nicht. Die ganze Welt schien mir das Werk einer dem Guten feindlichen Macht. In der vergangenen Zeit hatte ich Gott wohl so gelästert; aber nachher hatte ich doch nicht geglaubt, ich würde je wieder in diese Stimmung verfallen, und daß ich in so kurzer Zeit darein verfallen würde! Giuliano in seinen äußersten Wutanfällen konnte nicht gottloser sein als ich. Wer sich mit Gedanken des Hasses trägt, zumal wenn er vom schwersten Unglück niedergeworfen ist, das ihn eigentlich eher zu Gott zurückführen sollte – auch wenn er vorher gerecht gewesen ist –, der verfällt allemal der Ungerechtigkeit. Jawohl, wäre er auch vorher gerecht gewesen; denn man kann nicht hassen, ohne Hochmut zu zeigen. Und wer bist du, armer Sterblicher, daß du den Anspruch erhebst, niemand unter deinesgleichen dürfe ein strenges Urteil gegen dich fällen? Daß du beanspruchst, niemand dürfe dir Böses zufügen, im guten Glauben, indem er völlig gerecht zu handeln meint? Daß du dich beklagst, wenn Gott es zuläßt, daß du auf diese und nicht auf eine andere Weise leidest?

Ich fühlte mich unglücklich, nicht beten zu können; aber wo der Hochmut die Oberhand gewinnt, da findet man keinen anderen Gott als sich selbst!

So gern hätte ich einem höchsten Helfer meine trostlosen Eltern empfohlen, und doch glaubte ich nicht mehr an ihn.


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