Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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82.

Die Tröstungen, die wir von seiten der Menschen erfuhren, schwanden für uns eine nach der anderen dahin; die Leiden wurden beständig drückender. Wohl ergab ich mich in Gottes Willen, aber ich fügte mich darein mit Seufzen; und anstatt sich gegen das Unglück abzuhärten, schien mein Gemüt es immer schmerzlicher zu empfinden.

Einmal ward mir ein Blatt von der Augsburger Zeitung heimlich zugesteckt, worauf die sonderbarste Geschichte von mir geschrieben stand, die Veranlassung dazu war, daß eine meiner Schwestern den Schleier genommen.

Es hieß darauf so: »Fräulein Maria Angiola Pellico, Tochter des und des nahm heute (es folgte das Datum) im Kloster von Mariä Heimsuchung zu Turin den Schleier usw. Es ist dies die Schwester Silvio Pellicos, des Verfassers der ›Francesca da Rimini‹, der vor kurzem von Seiner Majestät dem Kaiser begnadigt und aus der Festung Spielberg entlassen wurde; es ist dies ein Gnadenakt, eines so hochherzigen Souveräns würdig, durch den ganz Italien erfreut sein wird, da usw.« Hier folgten anerkennende Worte für mich.

Warum man die Posse von meiner Begnadigung erfunden, konnte ich mir nicht klarmachen. Daß der Zeitungsschreiber sich bloß einen Scherz gemacht, war nicht wahrscheinlich; oder war es vielleicht bloß eine List der deutschen Polizei? Wer weiß es? Aber die Namen Maria Angiola waren genau die meiner jüngeren Schwester. Ohne Zweifel mußten sie aus der Turiner Zeitung in andere Blätter übergegangen sein. Dies treffliche Mädchen war also wirklich Nonne geworden? Ach, vielleicht erwählte sie diesen Stand, weil sie die Eltern verloren hat! Armes Mädchen, sie wollte nicht, daß ich allein die Leiden des Kerkers erdulde; auch sie wollte sich einschließen lassen! Möge der Herr ihr in höherem Maße als mir die Tugend der Geduld und Entsagung verleihen! Wie oft wird dieser Engel in seiner Zelle an mich denken! wie oft wird er sich harte Büßungen auferlegen, um von Gott für ihren Bruder die Erleichterung seiner Leiden zu erlangen!

Diese Gedanken machten mich weich, sie zerrissen mir das Herz. Nur zu sehr konnte mein Mißgeschick dazu beigetragen haben, meinem Vater oder meiner Mutter oder beiden die Tage zu verkürzen! Je mehr ich darüber nachdachte, um so mehr schien es mir unmöglich, daß mein Mariechen ohne einen solchen Verlust das väterliche Haus verlassen haben sollte. Dieser Gedanke drückte mich fast wie eine unzweifelhafte Gewißheit nieder, und ich verfiel in die angstvollste Betrübnis.

Maroncelli war nicht weniger als ich davon ergriffen. Einige Tage später schickte er sich an, eine poetische Klage auf die Schwester des Gefangenen abzufassen. Er verfertigte ein treffliches kleines Gedicht, welches Schwermut und Mitleid atmete. Als es vollendet war, sprach er mir's vor. Ach, wie dankbar war ich ihm für seine zarte Teilnahme! Unter einer so großen Unzahl von Versen, welche bis jetzt auf Nonnen gemacht worden sind, waren dies wohl die einzigen, die im Gefängnis für den Bruder der Nonne von einem Leidensgefährten verfaßt wurden. Welch eine Fülle ergreifender und frommer Gefühle!

So linderte die Freundschaft meine Schmerzen. Ach, seit jener Zeit verging kein Tag mehr, an dem ich mit meinen Gedanken nicht lange in einem Nonnenkloster verweilte; wo ich unter diesen Jungfrauen nicht eine mit besonderem Mitleid betrachtete; wo ich nicht inbrünstig zum Himmel flehte, er möge ihr die Einsamkeit angenehm machen und nicht zugeben, daß sie sich in ihrer Phantasie mein Gefängnis allzu schrecklich vorstellte!


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