Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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89.

Allein neue Leiden stürmten fast ohne Unterbrechung über den Unglücklichen herein: Zuerst eine Gicht, welche von den Gelenken der Hand ausging und ihn dann mehrere Monate über den ganzen Körper hin marterte; dann der Skorbut. Das letztere Übel bedeckte ihm binnen kurzem den ganzen Leib mit blauen Flecken, so daß er fürchterlich aussah.

Ich suchte mich durch den Gedanken zu trösten: Wenn wir doch einmal hier drinnen sterben müssen, so ist es besser, daß einen von uns beiden der Skorbut befallen hat; dies ist ein ansteckendes Übel und wird uns, wenn auch nicht zusammen, doch wenigstens schnell nacheinander in das Grab bringen.

Wir bereiteten uns gegenseitig auf den Tod vor und waren gefaßt. Neun Jahre der Gefangenschaft und schwerer Leiden hatten uns schließlich an den Gedanken gänzlicher Auflösung zweier so zerrütteter und der Ruhe bedürftiger Körper gewöhnt. Und die Seelen vertrauten auf die Güte Gottes und glaubten sicher, wieder vereint zu werden an jenem Orte, wo jeder Haß der Menschen aufhört, und wo, darum beteten wir, eines Tages mit uns versöhnt auch diejenigen vereint werden sollten, die uns nicht liebten.

Der Skorbut hatte in den vergangenen Jahren in diesen Gefängnissen großes Unheil angerichtet. Als die Regierung erfuhr, daß Maroncelli von diesem Übel befallen war, geriet sie wegen eines neuen Auftretens der Epidemie in große Bestürzung und willigte in das Begehren des Arztes, welcher aussagte, es gäbe für Maroncelli kein anderes wirksames Mittel als die frische Luft, und empfahl, ihn so wenig als möglich im Zimmer zu lassen.

Als sein Stubengenosse, und weil ich ebenfalls an Kraftlosigkeit litt, genoß ich dieselbe Vergünstigung.

In allen den Stunden, wo der für den Spaziergang bestimmte Platz nicht von anderen besetzt war, das heißt eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang ein paar Stunden lang, dann während der Mittagszeit, wenn es uns beliebte, ferner drei Stunden am Abend bis nach Sonnenuntergang befanden wir uns draußen. So war es an den Werktagen. An den Sonntagen, wo die anderen gewöhnlich nicht spazierengingen, waren wir von Morgen bis zum Abend draußen, die Mittagszeit ausgenommen.

Ein anderer Unglücklicher, dessen Gesundheit im höchsten Grade gelitten hatte, der beinahe siebzig Jahre alt war, ward uns beigesellt, da man meinte, die reine Luft könne ihm ebenfalls dienlich sein. Es war Herr Konstantin Munari, ein liebenswürdiger Greis, ein Freund schönwissenschaftlicher und philosophischer Studien, dessen Gesellschaft uns äußerst angenehm war.

Wollte man die Zeit meiner Strafe abkürzen, so gingen die siebenundeinhalb Jahre – nicht von dem Tage meiner Verhaftung, sondern von dem der Verurteilung an gerechnet – in den ersten Tagen des Juli 1829 zu Ende, wobei man das Datum der kaiserlichen Unterschrift berücksichtigte, oder nach dem Datum der Verkündigung des Urteils am 22. August.

Aber auch dieser Termin ging vorüber, und so schwand jede Hoffnung dahin.

Bis dahin gaben Maroncelli, Munari und ich uns wohl der Erwartung hin, die Welt, unser teures Italien, unsere Verwandten wiederzusehen; und dies gab uns zu Betrachtungen einen Stoff, der uns mit Sehnsucht, mit frommer Freude und Liebe erfüllte.

Nachdem aber der August und auch der September und das ganze Jahr verflossen war, gewöhnten wir uns daran, nichts mehr auf der Erde zu hoffen, außer der unwandelbaren Fortdauer unserer gegenseitigen Freundschaft, und außer dem Beistande Gottes, damit wir den Rest unseres langen Opfers auf eine würdige Weise darbrächten.

Ach! die Freundschaft und die Religion sind zwei unschätzbare Güter! Sie verschönern auch die Stunden der Gefangenen, denen keine Hoffnung auf Begnadigung mehr leuchtet! Gott ist wahrhaftig mit den Unglücklichen – mit den Unglücklichen, die lieben!


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