Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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76.

Nachdem Oroboni im Winter und im Frühjahr viel auszustehen gehabt, befand er sich im Sommer recht schlecht. Er spie Blut und bekam die Wassersucht.

Ich überlasse es dem Leser, sich vorzustellen, wie groß unsere Betrübnis war, als er so dicht neben uns dem Tode entgegeneilte, ohne daß wir diese grausame Wand durchbrechen konnten, die uns hinderte, ihn zu sehen und ihm unsere Freundeshilfe zu leisten!

Schiller brachte uns Nachrichten von ihm. Der unglückliche Jüngling litt furchtbar, aber sein Geist unterlag niemals. Er hatte zu seinem geistlichen Beistande den Kaplan, der zum Glück Französisch verstand.

An seinem Namenstage, dem 13. Juni 1823, starb er. Einige Stunden, bevor er den Geist aufgab, sprach er noch von seinem achtzig Jahre alten Vater und weinte vor Rührung. Dann faßte er sich wieder und sagte: »Aber warum beweine ich den glückseligsten meiner Angehörigen, da er im Begriff steht, im ewigen Frieden sich mit mir zu vereinigen?«

Seine letzten Worte waren: »Von Herzen vergebe ich meinen Feinden.«

Don Fortini drückte ihm die Augen zu, er war sein Freund von Kindheit an, ein Mann von echter Religiosität und Liebe.

Armer Oroboni! wie kalt durchschauerte es uns, als wir die Mitteilung hörten, daß du nicht mehr wärest! – Wir hörten die Stimmen und die Tritte der Leute, die den Leichnam abholten! – Vom Fenster aus sahen wir den Karren, auf dem er nach dem Kirchhofe gebracht ward! Zwei gemeine Sträflinge zogen diesen Karren, vier Soldaten folgten. Wir begleiteten den traurigen Leichenzug mit unseren Augen bis zum Kirchhofe. Jetzt zogen sie ihn auf den umzäunten Platz. In einem Winkel hielt man an: dort war die Gruft!

Wenige Augenblicke vergingen, dann kamen der Wagen, die Sträflinge und die Wachen zurück. Kubitzky gehörte zu diesen. Er sagte mir – ein trefflicher Gedanke, der bei einem rohen Menschen überrascht –: »Ich habe die Begräbnisstelle genau gekennzeichnet, damit, wenn eines Tages ein Verwandter oder ein Freund die Erlaubnis erhielte, seine Gebeine aufzuheben um sie in seine Heimat zu bringen, man den Ort weiß, wo sie liegen.«

Wie oft hatte Oroboni, wenn er vom Fenster aus auf den Kirchhof blickte, zu mir gesagt: »Ich muß mich an den Gedanken gewöhnen, dort drinnen bald zu verwesen: und doch gestehe ich, daß dieser Gedanke mich schaudern macht. Mir kommt es vor, als könne man, in diesem Lande begraben, sich nicht so wohl befinden als auf unserer teuren Halbinsel.«

Dann rief er lachend aus: »Was für Kindereien! wenn ein Kleid abgetragen ist und man es ablegen muß, was liegt dann daran, wo man es hinwirft?«

Ein andermal sagte er: »Ich bereite mich jetzt auf den Tod vor, unter einer Bedingung würde ich mich noch lieber darein ergeben: wenn ich nur noch eben in das väterliche Haus treten, die Knie meines Vaters umfassen und von ihm ein Wort des Segens vernehmen und dann sterben könnte!«

Seufzend fügte er noch hinzu: »Wenn dieser Kelch nicht von mir genommen werden kann, o mein Gott, so möge dein Wille geschehen!«

Und den letzten Morgen seines Lebens sagte er noch, indem er ein Kruzifix küßte, welches Kral ihm gebracht hatte: »Du, der du Gott warst, schaudertest doch vor dem Tode zurück und sprachst: ›Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch von mir!‹ Vergib mir, wenn ich ebenso spreche. Aber auch deine anderen Worte spreche ich nach: ›Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst!‹«


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