Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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56.

In der Frühe, noch vor Tagesanbruch reisten wir von Udine ab: der wackre Dario hatte sich bereits, in seinen Mantel gehüllt, auf der Straße eingefunden; er grüßte uns noch und folgte uns lange. Auch sahen wir zwei oder drei Meilen weit eine Kutsche hinter uns herfahren. Aus derselben ließ jemand ein Taschentuch wehen. Endlich fuhr sie wieder zurück. Wer mag es gewesen sein? Wir vermuteten es.

Ach, Gott segne alle die edelmütigen Seelen, die sich nicht schämen, die Unglücklichen zu lieben! Um so höher achte ich sie, da ich in den Jahren meines Elends leider auch Niederträchtige kennen lernte, die mich verleugneten und Gewinn daraus zu ziehen meinten, wenn sie Schmähungen auf mich häuften. Aber diese letzteren waren doch nur wenige, während die Zahl der ersteren nicht gering war.

Wenn ich aber gemeint hatte, die Teilnahme, welche wir in Italien fanden, würde aufhören, sobald wir auf fremden Boden kämen, so täuschte ich mich darin. Ach, der Gute ist stets des Unglücklichen Freund und Landsmann! Als wir in illyrische und deutsche Gegenden kamen, begegnete uns dieselbe Teilnahme, wie in unserem Vaterlande. Allgemein hörten wir den schmerzlichen Ausruf: »Arme Herren!«

Manchmal, wenn wir in eine neue Gegend kamen, mußten unsere Wagen anhalten, bis man sich entschied, wo wir einkehren wollten. Dann drängte sich die Landbevölkerung um uns, und wir hörten Worte des Bedauerns, die in Wahrheit aus dem Herzen drangen. Die Güte dieser Menschen rührte mich noch mehr, als die meiner Landsleute. Ach, wie dankbar war ich ihnen allen! Ach, wie süß ist das Mitleid unserer Mitmenschen! Wie süß ist es, sie zu lieben!

Der Trost, den ich daraus schöpfte, verminderte sogar meinen Groll gegen diejenigen, welche ich meine Widersacher nannte.

Wer weiß, dachte ich bei mir, wenn ich ihre Mienen aus der Nähe sehen könnte, und wenn sie mich sähen, wenn ich in ihren Herzen lesen könnte, und sie in den meinigen, wer weiß, ob ich nicht bekennen müßte, daß keine Bosheit in ihnen sei, und jene müßten gestehen, daß keine in mir sei! wer weiß, ob wir uns nicht gegenseitig bemitleiden und lieben müßten!

Ach leider, oft genug verabscheuen sich die Menschen, weil sie sich gegenseitig nicht kennen; und wenn sie nur wenige Worte untereinander wechselten, so würde einer dem anderen vertraut den Arm reichen.

Wir hielten einen Tag zu Laibach an, wo Canova und Rezia von uns getrennt und auf die Festung abgeführt wurden: wie schmerzlich für uns alle vier diese Trennung gewesen, kann man sich leicht vorstellen.

An dem Abend, wo wir in Laibach ankamen und auch den folgenden Tag noch, fand sich ein Herr bei uns ein, den man uns, wenn ich recht verstanden habe, als einen Stadtschreiber bezeichnete, und der uns freundlich Gesellschaft leistete. Er war ein Mann von Bildung, sprach voll Teilnahme und mit sittlichem Ernste von Religion. Anfangs hielt ich ihn für einen Geistlichen, denn in Deutschland unterscheiden sich die Geistlichen meist nicht in der Kleidung von den Weltlichen. Sein Gesicht gehörte zu denen, welche wegen ihrer Offenherzigkeit Achtung einflößen; ich bedauerte, nicht weitere Bekanntschaft mit ihm machen zu können; ebenso leid tut es mir, daß ich so ungeschickt gewesen, mir seinen Namen nicht zu merken.

Wie lieb wäre mir's, auch von dir den Namen zu wissen, freundliches Mädchen, das uns in einem steirischen Dorfe mitten unter der Menschenmenge folgte, und als unsere Kutsche einige Minuten halten mußte, uns mit beiden Händen grüßte; sie hielt das Tuch vor den Augen, als sie sich entfernte, und stützte sich auf den Arm eines trauernden Knaben, der nach seinem hellblonden Haare zu schließen, ein Deutscher war, der aber vielleicht in Italien gewesen und unsere unglückliche Nation liebgewonnen hatte!

Wie süß wäre es für mich, den Namen eines jeden von euch, verehrungswerte Väter und Mütter, zu kennen, die ihr an verschiedenen Orten euch uns nahtet, um uns zu fragen, ob wir Eltern hätten; und wenn ihr's erfuhret, rieft ihr erbleichend aus: Ach, möge der gütige Gott euch bald den armen Eltern zurückgeben!


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