Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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29.

Von jenem Tage an ward ich, ich weiß nicht warum, der Vertraute des Mädchens, sie kam öfter wieder und unterhielt sich lange mit mir.

Sie sagte zu mir: »Mein Herr, Sie sind so gut, daß ich Sie ansehe, wie eine Tochter nur ihren Vater ansehen kann.«

»Du machst mir da ein garstiges Kompliment,« entgegnete ich, indem ich ihre Hand zurückwies; »ich bin kaum zweiunddreißig Jahre alt, und doch siehst du mich wie deinen Vater an.«

»Nicht doch, mein Herr, ich wollte sagen, wie einen Bruder.«

Darauf faßte sie meine Hand mit Gewalt und drückte sie heftig. Dies alles geschah in der unschuldigsten Weise.

Nachher sagte ich bei mir: Ein Glück, daß sie nicht hübsch ist, denn sonst könnte mich diese unschuldige Vertraulichkeit wohl außer Fassung bringen.

Ein andermal mußte ich bemerken: Ein Glück, daß sie noch so jung ist! Bei einem Mädchen von solchem Alter dürfte niemals Gefahr vorhanden sein, mich zu verlieben.

Wieder ein andermal befiel mich etwas Unruhe, denn es kam mir vor, als hätte ich mich doch darin geirrt, sie für häßlich zu halten, und ich sah mich zu dem Geständnis genötigt, daß ihre Züge und Formen eben nicht unregelmäßig wären.

Wenn sie nicht so bleich wäre, sagte ich, und nicht die paar Leberflecke im Gesicht hätte, könnte sie für hübsch gelten.

Die Wahrheit ist, daß man nicht umhin kann, in dem Umgange, in den Blicken, in dem Gespräch eines lebhaften und freundlichen jungen Mädchens etwas Reizendes zu finden. Nichts hatte ich weiter getan, mir ihr Wohlwollen zu gewinnen, und war ihr teurer wie ein Vater oder Bruder, ganz nach meinem Gefallen. Warum? Weil sie die Francesca da Rimini und den Eufemio gelesen, und meine Verse sie so zu Tränen rührten! und dann weil ich ein Gefangener war, »ohne« wie sie sich ausdrückte, »gestohlen oder gemordet zu haben!«

Kurz, der ich zu Magdalenen, ohne sie zu sehen, eine Neigung gefaßt hatte, wie hätte ich gleichgültig sein können gegen die anmutigen Schmeicheleien, gegen die herrlichen Kaffees der jungen venezianischen Gefangenwärterin?

Ein Lügner würde ich sein, wollte ich meiner Klugheit das Verdienst beimessen, mich nicht verliebt zu haben. Ich verliebte mich nicht, einzig deswegen, weil sie einen Geliebten hatte, in den sie ganz vernarrt war. Wehe mir, wenn es anders gewesen wäre!

Aber wenn die Empfindung, die sie in mir erweckte, das nicht war, was man Liebe nennt, so bekenne ich, daß sie ihr manchmal recht nahe kam. Lebhaft wünschte ich, daß sie glücklich wäre, daß es ihr gelingen möchte, dessen Frau zu werden, der ihr gefiel; ich hatte nicht die mindeste Eifersucht, nicht den geringsten Gedanken, daß sie mich zum Gegenstande ihrer Liebe wählen könnte. Aber so oft die Tür sich auftat, klopfte mein Herz in der Hoffnung, daß es Zanze sein möchte; wenn sie es nicht war, war ich verstimmt; war sie es aber, dann klopfte mein Herz noch stärker, und ich ward heiter und vergnügt.

Ihre Eltern, die schon eine gute Meinung von mir gefaßt hatten und wußten, daß sie in einen anderen närrisch verliebt war, trugen kein Bedenken, sie beinahe immer des Morgens den Kaffee bringen zu lassen, manchmal auch abends.

Sie besaß wirklich eine verführerische Einfalt und Liebenswürdigkeit.

»Ich bin,« sagte sie zu mir, »so sehr in einen anderen verliebt, und doch bin ich so gern bei Ihnen! Wenn ich meinen Geliebten nicht sehe, langweile ich mich überall, nur hier nicht.«

»Weißt du auch warum?«

»Nein.«

»Ich will dir's sagen: weil ich dich von deinem Geliebten reden lasse.«

»Leicht möglich; aber ich glaube auch deswegen, weil ich Sie so hoch achte!«

Armes Mädchen! Sie hatte die verwünschte Angewohnheit, immer meine Hand zu fassen und zu drücken, und bemerkte nicht, daß mir dies zu gleicher Zeit wohltat und mich in Unruhe brachte.

Dem Himmel sei Dank, daß ich ohne die mindeste Reue an das gute Geschöpf denken kann!


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