Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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71.

Diese Unterhaltungen, von denen ich erzähle, teils mit Oroboni, teils mit Schiller oder mit anderen, beschäftigten mich doch nur während eines geringen Teils meiner langen vierundzwanzig Stunden jedes Tages, und nicht selten geschah es, daß mit dem ersteren gar kein Gespräch möglich war.

Was tat ich in solcher Einsamkeit?

Meine Art zu leben war in jenen Tagen folgende: Ich stand stets mit Tagesanbruch auf, stieg auf das Kopfende der Pritsche, klammerte mich an das Gitter des Fensters und sagte mein Gebet her. Oroboni stand dann schon an seinem Fenster oder säumte nicht, an dasselbe zu kommen. Wir begrüßten uns; beide fuhren wir fort, still unsere Gedanken auf Gott zu richten. So schrecklich unsere Käfige waren, ebenso schön war das Schauspiel, das sich draußen für uns bot. Der Himmel, die Landschaft, die Gestalten, welche sich in der Ferne im Tale bewegten, die Stimmen der Landmädchen, ihr Lachen, ihr Gesang erheiterte uns, sie ließen uns die Gegenwart dessen, der in seiner Güte so herrlich ist, und dessen Hilfe wir so sehr bedürfen, um so inniger empfinden.

Dann folgte die Morgenuntersuchung der Wachen. Diese unterwarfen das ganze Zimmer einer Prüfung, um zu sehen, ob alles in Ordnung war, sie beobachteten meine Kette Ring für Ring, um sich zu versichern, daß sie nicht durch irgendeinen Zufall oder mit böswilliger Absicht zersprengt wäre; oder diese Besichtigung geschah vielmehr, wie ich glaube – denn die Kette zu zersprengen, war unmöglich – nur, um den Vorschriften der Dienstordnung getreulich nachzukommen. War es aber ein Tag, wo der Arzt kam, dann fragte Schiller, ob wir ihn sprechen wollten, und merkte sich unsere Wünsche.

War die Runde durch unsere Kerker gemacht, so kam Schiller wieder als Begleitung für Kunda, der das Geschäft hatte, alle Zellen zu reinigen.

Nach einer kurzen Pause brachte man uns das Frühstück. Dies bestand in einem halben Teller rötlicher Brühe mit drei ganz dünnen Brotschnitten; ich aß das Brot, ohne die Brühe zu trinken.

Darauf machte ich mich an meine Studien. Maroncelli hatte aus Italien viele Bücher mitgebracht, und alle unsere Gefährten hatten gleichfalls welche mitgenommen, der eine mehr, der andere weniger. Alles zusammen machte eine treffliche kleine Bibliothek aus. Wir hofften außerdem, sie mit Hilfe unseres Geldes vermehren zu können. Zwar war auf unser Gesuch, daß wir unsere Bücher lesen und neue dazu erwerben dürften, noch keine Antwort von seiten des Kaisers erfolgt, aber der Statthalter zu Brünn gestattete uns vorläufig, daß ein jeder von uns drei Bücher bei sich haben und diese jedesmal nach Belieben umtauschen konnte. Gegen neun Uhr kam der Oberinspektor, und wenn wir nach dem Arzte verlangt hatten, so erschien dieser in seiner Begleitung.

Dann blieb mir ein weiterer Zeitabschnitt für das Studieren bis elf Uhr, wo das Mittagessen gebracht ward. Bis Sonnenuntergang fand kein Besuch weiter statt, und ich studierte wieder. Dann kamen Schiller und Kunda, um frisches Wasser zu holen; einen Augenblick später erschien der Oberinspektor mit etlichen Wachen, um die Abendvisitation im ganzen Zimmer und an meiner Kette vorzunehmen.

In einer der Stunden des Tages, entweder vor oder nach dem Mittagessen, je nachdem es den Wachen beliebte, fand der Spaziergang statt.

Sobald die Abendinspektion beendet war, fingen Oroboni und ich unsere Unterhaltung an, und dann war das Gespräch gewöhnlich am längsten. Nur ausnahmsweise besprachen wir uns morgens oder nach dem Mittagbrote, aber meistens nur auf ganz kurze Zeit.

Manchmal waren die Wachen so milde, daß sie zu uns sagten: »Etwas leiser, meine Herren, sonst fällt die Strafe auf uns.«

Ein andermal taten sie so, als hörten sie uns gar nicht; wenn sie den Sergeanten daherkommen sahen, baten sie uns, solange still zu sein, bis er fort wäre; war er dann fort, so sagten sie: »Meine Herren, jetzt können Sie sprechen, aber so leise als möglich.«

Bisweilen gingen einige Soldaten in ihrer Dreistigkeit so weit, daß sie mit uns redeten, unsere Fragen beantworteten und uns Nachrichten über Italien gaben. Auf gewisse Anfragen antworteten wir nicht weiter, als daß wir sie baten, zu schweigen. Es war natürlich, daß wir unsere Bedenken hatten, ob alles, worüber sie Auskunft haben wollten, aus aufrichtigem Herzen käme oder ob es Kunstgriffe wären, um uns auszuhorchen. Nichtsdestoweniger neige ich mich dahin zu glauben, daß diese Leute es redlich meinten.


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