Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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80.

Die verschärften Maßregeln machten unser Leben immer einförmiger. Das ganze Jahr 1824, die Jahre 25, 26, 27, womit gingen sie für uns vorüber? Man entzog uns unsere Bücher wieder, deren Gebrauch uns bis auf weiteres von dem Statthalter erlaubt worden war. Das Gefängnis ward uns zum wahren Grabe, in welchem uns aber nicht einmal die Ruhe des Grabes gelassen ward. Jeden Monat, an einem bestimmten Tage, erschien der Polizeidirektor in Begleitung eines Leutnants und einer Anzahl Soldaten, um eine sorgfältige Durchsuchung vorzunehmen. Man zog uns nackt aus, untersuchte die Nähte unserer Kleider, und weil man argwöhnte, es könne Papier oder etwas anderes darin versteckt sein, trennte man die Strohsäcke auf, um sie durchzustöbern. Obwohl sie nichts Verstecktes finden konnten, lag in dieser feindseligen und überraschenden, endlos wiederholten Durchsuchung für mich etwas so Verletzendes und Aufreizendes, daß ich jedesmal das Fieber bekam.

Die verflossenen Jahre waren mir so unglücklich vorgekommen, jetzt aber dachte ich mit Sehnsucht an sie zurück, wie an eine Zeit voll teurer Annehmlichkeiten. Die Stunden, wo ich mich in das Studium der Bibel und des Homer vertiefte, waren dahin! Dadurch, daß ich den Homer in der Ursprache gelesen, hatte meine geringe Kenntnis des Griechischen zugenommen, und ich hatte die Sprache liebgewonnen. Wie betrübte es mich, das Studium nicht fortsetzen zu können! Dante, Petrarca, Shakespeare, Byron, Walter Scott, Schiller, Goethe und wie viele andere Freunde waren mir entrissen! Zu diesen rechnete ich auch einige Bücher von christlicher Weisheit, wie den Boùrdaloue, Pascal, die Nachfolge Christi, die Philothea und andere; wer diese Art von Büchern mit beschränkter und unnachsichtiger Kritik liest, wird voll Schadenfreude über jeden Verstoß gegen den guten Geschmack, den er darin auffindet, über jeden unhaltbaren Gedanken dieselben bald beiseitelegen und nicht wieder in die Hand nehmen; liest man sie aber ohne böswilliges Vorurteil und ohne an ihren Schwächen Anstoß zu nehmen, so wird man eine tiefe Philosophie darin entdecken und eine kräftige Nahrung für Herz und Verstand daraus schöpfen.

Einige der genannten Bücher religiösen Inhalts wurden uns nachher als Geschenk vom Kaiser zugestellt, aber verboten blieben uns durchaus Bücher anderer Art, namentlich solche, die zu schönwissenschaftlichen Studien dienten.

Dies Geschenk von Erbauungsbüchern ward uns 1825 ausgewirkt und zwar durch einen dalmatischen Beichtiger, der uns von Wien her gesandt war, den Pater Stephanus Paulowitsch, der zwei Jahre darauf Bischof von Cattaro wurde. Ihm verdankten wir auch, daß man uns endlich die Messe zu hören gestattete, was uns zuerst stets abgeschlagen war, indem man erwiderte, es gehe nicht an, daß wir in die Kirche geführt und dabei paarweise getrennt gehalten würden, wie es Vorschrift wäre.

Da sich eine solche Absonderung wirklich nicht durchführen ließ, gingen wir in drei Gruppen geschieden zur Messe; die eine ward auf das Orgelchor geführt, die andere unter dasselbe, so daß sie einander nicht sehen konnten, und die dritte in eine Kapelle, aus der man durch ein Gitter in die Kirche sah.

Maroncelli und ich hatten alsdann sechs Verurteilte von der ersten Prozeßabteilung zu Gefährten, aber streng untersagt war, daß ein Paar mit dem anderen spräche. Zwei von diesen waren in den Bleidächern zu Venedig meine Nachbarn gewesen. Wachen führten uns auf den uns angewiesenen Platz, und nach der Messe führten sie jedes Paar wieder in sein Gefängnis zurück. Gewöhnlich las ein Kapuziner uns die Messe. Dieser gute Mann schloß die heilige Handlung stets mit einem »Oremus«, worin er für unsere Befreiung aus den Fesseln betete, und jedesmal zitterte seine Stimme dabei vor Rührung. Sobald er den Altar verließ, warf er jeder der drei Gruppen einen mitleidigen Blick zu und neigte betend sein Haupt.


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