Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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22.

Auf jenem Zimmer blieb ich einen Monat und etliche Tage. In der Nacht vom 18. zum 19. Februar (1821) wurde ich durch das Geräusch von Riegeln und Schlüsseln aus dem Schlafe geweckt; ich sehe Leute mit Laternen eintreten; der erste Gedanke, der mir durch die Seele fuhr, war, daß sie kämen, um mich umzubringen. Während ich bestürzt die Gestalten betrachte, da tritt der Graf B. höflich zu mir heran, sagt mir, daß ich die Gewogenheit haben möchte, mich schnell zur Abreise anzukleiden.

Diese Ankündigung überraschte mich, und ich war so töricht, zu hoffen, daß ich an die Grenze von Piemont geführt werden sollte. – Wäre es möglich, daß ein so schweres Ungewitter auf diese Weise sich verziehen sollte? Sollte ich wirklich die süße Freiheit wieder erlangen? Meine teuren Eltern, Brüder, Schwestern wiedersehen?

Diese schmeichelnden Gedanken regten sich wenige Augenblicke in mir. Mit großer Schnelligkeit kleidete ich mich an und folgte meinen Begleitern, ohne meinem Nachbar noch einen Gruß des Abschiedes sagen zu können. Mir kam es vor, als hätte ich seine Stimme gehört, und es tat mir leid, ihm nicht antworten zu können.

»Wohin geht es?« fragte ich den Grafen, als ich mit ihm und einem Gendarmerieoffizier in den Wagen stieg.

»Ich darf Sie nicht eher davon in Kenntnis setzen, als bis wir eine Meile über Mailand hinaus sind!«

Ich sah, daß der Wagen nicht die Richtung nach dem Vercellinertor einschlug, und meine Hoffnungen waren dahin!

Ich schwieg. Es war eine wunderschöne Mondscheinnacht. Ich betrachtete diese lieben Straßen, in denen ich so viele Jahre als ein Glücklicher gewandelt, diese Häuser, diese Kirchen. Alles erneuerte tausend süße Erinnerungen in mir.

Du herrlicher Spaziergang nach der Porta Orientale! Ihr öffentlichen Gärten, wo ich so oft mit Foscolo, mit Monti, mit Lodovico di Breme, mit Pietro Borsieri, mit Porro und seinen Söhnen, mit so vielen anderen lieben Freunden gelustwandelt, in solcher Fülle des Lebens und der Hoffnungen mich mit ihnen unterhalten! Ach, indem ich mir sagte, daß ich euch zum letztenmal sähe, als ihr schnell an meinen Blicken vorüberflogt, ach, da fühlte ich, wie sehr ich euch geliebt hatte und noch liebte! Als der Wagen zum Tore hinausgefahren war, zog ich den Hut etwas über die Augen und weinte unbemerkt.

Ich wartete, bis wir über eine Meile zurückgelegt hatten, dann redete ich den Grafen B. an: »Ich vermute, daß es nach Verona geht.«

»Es geht noch weiter,« versetzte er; »wir fahren nach Venedig, wo ich Sie einer Spezialkommission zu übergeben habe.«

Wir reisten mit Extrapost, ohne anzuhalten und langten den 20. Februar in Venedig an.

Im September vorigen Jahres, einen Monat vor meiner Verhaftung, war ich in Venedig und hatte in zahlreicher und recht heiterer Gesellschaft im Gasthaus zum Monde gespeist! Sonderbar! Gerade nach demselben Gasthause ward ich jetzt durch den Grafen und den Gendarmen gebracht.

Ein Kellner war höchlichst verwundert, als er mich sah, und (obgleich der Gendarm und die zwei Begleiter, welche die Rolle von Bedienten spielten, verkleidet waren) bemerkte, daß ich mich in den Händen der Polizei befand. Ich war über dies Zusammentreffen erfreut, weil ich überzeugt war, der Kellner würde anderen meine Ankunft mitteilen.

Nachdem wir zu Mittag gegessen, ward ich in den Dogenpalast geführt, wo sich jetzt der Gerichtshof befindet. Ich durchschritt diese herrlichen Hallen der Prokuratien, vorbei am Café Florian, wo ich vergangenen Herbst so schöne Abende verlebt: unterwegs stieß ich auf keinen meiner Bekannten.

Weiter ging es über die Piazetta ... auf dieser selben Piazetta hatte mich im vorigen September ein Bettler mit den sonderbaren Worten angeredet: »Man sieht, daß Sie ein Fremder sind, mein Herr; aber ich begreife nicht, wie Sie und alle Fremden diesen Platz bewundern können: für mich ist es ein Unglücksort, ich gehe nur darüber, wenn ich muß.«

»Es wird Euch hier ein Unglück zugestoßen sein?«

»Ja, mein Herr, ein schauderhaftes Unglück, und nicht mir allein; Gott beschütze Sie, mein Herr, Gott beschütze Sie!«

Hastig hatte er sich darauf entfernt.

Als ich jetzt wieder hier durchging, war mir's unmöglich, dieser Worte des Bettlers nicht zu gedenken. Dieselbe Piazetta war es auch, wo ich im folgenden Jahre das Schafott bestieg, auf dem ich das Todesurteil mit anhörte und die Verwandlung dieser Strafe in fünfzehn Jahre schwere Kerkerhaft!

Wäre in meinem Kopfe irgendeine Neigung zu mystischer Schwärmerei, so würde ich von jenem Bettler viel Aufhebens machen, der mir so ernstlich vorausverkündigt hatte, daß dies ein »Unglücksort« sei.

Ich erwähne diesen Vorfall bloß als ein Ereignis sonderbarer Art.

Wir stiegen die Stufen zu dem Palaste hinauf; Graf B. sprach mit den Richtern, überwies mich dem Kerkermeister und umarmte mich beim Abschiede voll Rührung.


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