Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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14.

Den folgenden Morgen trat ich ans Fenster, um Melchiorre Gioja zu sehen, mit den Räubern unterhielt ich mich aber nicht mehr. Ich erwiderte ihren Gruß, fügte aber hinzu, daß mir das Sprechen verboten sei.

Der Aktuarius, vor dem ich verhört worden war, erschien und kündigte mir mit geheimnisvoller Miene einen Besuch an, der mir Freude machen würde. Und als er mich genügend vorbereitet zu haben glaubte, sagte er: »Kurz, es ist Ihr Vater; haben Sie die Gewogenheit, mir zu folgen.«

Ich ging mit ihm hinunter in die Bureaus, das Herz klopfte mir vor Freude und Sehnsucht, dabei zwang ich mich, eine heitere Miene zu zeigen, um dadurch meinen armen Vater zu beruhigen.

Als er meine Verhaftung erfahren, hatte er gehofft, sie könne nur auf bloße Verdächtigungen hin erfolgt sein, und daß ich auch bald wieder freikommen werde. Da er aber sah, daß meine Gefangenschaft länger dauerte, so war er gekommen, um bei der österreichischen Regierung meine schleunige Freilassung nachzusuchen. Traurige Täuschungen der väterlichen Liebe! Er konnte nicht glauben, daß ich so tollkühn gewesen, mich der Strenge der Gesetze preiszugeben, und die erkünstelte Heiterkeit, mit der ich zu ihm sprach, überredete ihn, daß ich nichts Schlimmes zu fürchten hätte.

In welch innere Aufregung ich aber durch die kurze Besprechung, welche man uns zugestanden hatte, versetzt ward, läßt sich gar nicht beschreiben, und diese war um so größer, da ich jedes äußere Hervortreten derselben gewaltsam unterdrückte. Am schwersten aber war diese Aufgabe in dem Augenblicke, wo wir uns wieder trennen mußten.

Unter den politischen Umständen, in denen Italien sich befand, hielt ich es für ausgemacht, daß die österreichische Regierung Beispiele von außerordentlicher Härte statuieren, und daß man mich entweder zum Tode oder zu langjährigem Gefängnisse verurteilen werde. Diese Aussicht einem Vater zu verbergen! ihn mit dem Scheine gegründeter Hoffnungen auf baldige Loslassung zu täuschen! nicht in Tränen auszubrechen, da ich ihn umarmte, da ich von meiner Mutter, meinen Brüdern und Schwestern mit ihm sprach, die ich nie mehr auf der Erde wiederzusehen meinte! ihn ohne Ängstlichkeit in der Stimme zu bitten, daß er mich doch wieder besuchen möchte, wenn er könnte! Nichts hat mich je in meinem Leben so große Überwindung gekostet.

Ganz getröstet schied er von mir, und ich kehrte in mein Gefängnis zurück mit zerrissenem Herzen. Kaum befand ich mich allein, so hoffte ich mir Erleichterung zu verschaffen, indem ich mich den Tränen überließ. Diese Erleichterung aber fand ich nicht. Wohl brach ich in Schluchzen aus, Tränen konnte ich nicht vergießen. Das furchtbare Gefühl, nicht weinen zu können, ist unter den tiefsten Schmerzen der grausamste, und ach, wie oft habe ich es empfunden!

Mich befiel ein hitziges Fieber, verbunden mit dem heftigsten Kopfschmerz. Nicht einen Löffel Suppe konnte ich den ganzen Tag zu mir nehmen. Ich wünschte mir, daß dies eine tödliche Krankheit sein möchte, welche meine Martern verkürzte!

Ein törichter und feigherziger Wunsch! Gott erhörte ihn nicht, jetzt danke ich ihm dafür. Ich danke ihm dafür, nicht allein weil ich nach zehnjährigem Gefängnisse meine teure Familie wiedergesehen habe, und mich glücklich nennen darf; sondern auch weil die Leiden dem Menschen Stärke verleihen, und ich will hoffen, daß sie für mich nicht ohne Nutzen gewesen sind.


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