Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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31.

Über das Unglück, welches andere Menschen niederdrückt, kann ich zwar nicht urteilen: was aber dasjenige anlangt, das mich speziell seit meiner Geburt betroffen, so muß ich bekennen, wenn ich es recht eingehend prüfte, fand ich allemal einen Gewinn für mich damit verknüpft. Dies gilt sogar von dieser furchtbaren Hitze, die mich quälte, und von jenen Mückenheeren, die einen so erbitterten Krieg gegen mich führten! Hätte ich ohne diesen Zustand ununterbrochener Marter, worin ich mich befand, wohl die ausdauernde Wachsamkeit besessen, die mir notwendig war, um mich gegen die Pfeile einer Liebe, die mich bedrohte, unverwundbar zu erhalten, einer Liebe, die bei einem so heiteren und anhänglichen Wesen, wie es jenes Mädchen besaß, sich schwerlich in den Grenzen gegenseitiger Achtung gehalten haben würde? Wenn ich in einem solchen Zustande manchmal schon für mich zitterte, wie hätte ich die eitlen Einbildungen meiner Phantasie in einer leidlich-behaglichen, mit meiner Freudigkeit einigermaßen im Einklang stehenden Atmosphäre zu zügeln vermocht?

Da Zanzes Eltern so unklug waren, ein solches Vertrauen in mich zu setzen, da diese selbst in ihrer Unbesonnenheit keine Ahnung davon hatte, daß sie mir Veranlassung zu einer strafbaren Übereilung sein könnte, da meine eigne Tugend nur auf schwachen Füßen stand, so ist nicht daran zu Zweifeln, daß die erstickende Gluthitze jenes Ofens und die grausamen Mücken ein heilsamer Umstand für mich waren.

Dieser Gedanke söhnte mich mit jenen Plagen etwas aus. Dann fragte ich mich: Möchtest du davon befreit und in ein hübsches Zimmer versetzt sein wollen, wo dich ein milder Lufthauch erfrischte, wo du aber jenes zärtliche Geschöpf nicht mehr sähest?

Darf ich die Wahrheit sagen? Ich wagte auf diese Frage keine Antwort zu geben.

Wenn man es mit jemand nur ein wenig gutmeint, so ist das Vergnügen, welches einem auch die unscheinbarsten Dinge verursachen, unbeschreiblich. Oftmals erquickte mich ein Wort von Zanze, ein Lächeln, eine Träne, eine liebenswürdige Äußerung in ihrem venezianischen Dialekte, die Beweglichkeit ihres Armes, wenn sie mit dem Schnupftuche oder mit dem Fächer sich und mir die Mücken abwehrte, mein Gemüt mit dem Gefühl einer kindischen Zufriedenheit, welche den ganzen Tag über anhielt. Besonders wohltuend war es für mich, wenn ich sah, daß ihre Betrübnis schwand, sobald sie mit mir sprach, daß meine Teilnahme ihr wert war, daß meine Ratschläge sie überzeugten, daß ihr Herz freudig ergriffen ward, sobald wir von Tugend und von Gott redeten.

»Wenn wir von religiösen Dingen miteinander gesprochen haben,« sagte sie zu mir, »dann bete ich viel lieber und mit größerem Glauben.«

Manchmal brach sie ein heiteres Gespräch plötzlich ab, griff nach der Bibel, öffnete sie, drückte auf einen beliebigen Vers einen Kuß und verlangte dann, daß ich ihn ihr übersetzte und auslegte.

»Ich wünschte wohl,« fügte sie hinzu, »daß Sie jedesmal, so oft Sie dies Verschen wieder lesen, sich erinnern möchten, daß ich einen Kuß darauf gedrückt habe.«

Nicht jedesmal, in Wahrheit, fielen ihre Küsse auf eine passende Stelle, so meistenteils wenn sich's traf, daß sie das Hohelied aufschlug. Da benutzte ich dann, um sie nicht erröten zu machen, ihre Unbekanntschaft mit dem Latein und bediente mich solcher Ausdrücke, mit denen ich, unbeschadet der Heiligkeit dieser Schrift, nur ihre Unschuld schonte, da die Rücksicht auf beide mich mit der tiefsten Ehrfurcht erfüllte. In diesen Fällen erlaubte ich mir niemals zu lächeln. Freilich war meine Verlegenheit bisweilen nicht gering, wenn sie, meine unechte Übersetzung nicht verstehend, mich bat, ihr den Satz Wort für Wort zu übersetzen, und dabei nicht zugab, daß ich flüchtig auf einen anderen Gegenstand überging.


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