Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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67.

Die Unbequemlichkeit der Kette an den Füßen benahm mir den Schlaf und trug dazu bei, meine Gesundheit zu untergraben. Schiller wünschte, daß ich ein Gesuch einreichen sollte, und behauptete, die Pflicht des Arztes sei, sie mir abnehmen zu lassen.

Eine Zeitlang hörte ich nicht auf ihn, dann gab ich seinem Rate nach und erklärte dem Arzte, ich bäte ihn, mir die Kette wenigstens für einige Tage abnehmen zu lassen, damit ich die Wohltat des Schlafes wiedererlangen könnte.

Der Arzt gab zur Antwort, mein Fieber habe solche Heftigkeit noch nicht erreicht, daß er meinem Wunsche entsprechen könne; es sei nötig, daß ich mich an die Fesseln gewöhnte.

Diese Erwiderung brachte mich auf, ich war erbittert darüber, die Bitte vergeblich getan zu haben.

»Seht Ihr, das war der Erfolg, den ich mit Eurem dringenden Rate erreicht habe,« sagte ich zu Schiller.

Ich mußte diese Worte in ziemlich barschem Tone zu ihm gesprochen haben; der einfache, gute Mann fühlte sich dadurch verletzt.

»Sie sind ärgerlich,« rief er aus, »weil Sie einer abschlägigen Antwort ausgesetzt gewesen sind, und mich ärgert es, daß Sie sich so hochfahrend gegen mich benehmen!«

Darauf erging er sich in einer langen Predigt: »Die Hochmütigen suchen ihre Größe darin, daß sie sich abschlägigen Antworten nicht aussetzen, daß sie Anerbietungen nicht annehmen, daß sie sich einer Menge von Kleinigkeiten schämen. Alles Eseleien! eitle Größe! Mißverstehen der wahren Würde! Die wahre Würde besteht zum großen Teil darin, daß man sich bloß schlechter Handlungen schämt!«

Sprach's, ging ab und machte mit den Schlüsseln einen Höllenlärm.

Ich war betroffen. Gerade diese große Offenherzigkeit gefällt mir dennoch, sagte ich mir. Sie strömt aus dem Herzen, wie seine Anerbietungen, wie seine Ratschläge, wie sein Mitleid. Und hat er mir nicht die Wahrheit gepredigt? Wie viele Schwachheiten belege ich nicht mit dem Namen Würde, während sie doch nichts anderes sind als Hochmut?

Als die Essenszeit kam, ließ Schiller den Sträfling Kunda die Schüsseln und das Wasser hineintragen und blieb an der Tür stehen. Ich rief ihn.

»Ich habe nicht Zeit,« gab er in sehr trocknem Tone zur Antwort.

Ich stieg von der Pritsche, ging auf ihn zu und sagte zu ihm: »Wenn Sie wünschen, daß mir das Essen bekommen soll, so machen Sie mir kein so böses Gesicht.«

»Was soll ich denn für ein Gesicht machen?« fragte er heiter werdend.

»Ein lustiges, freundliches,« erwiderte ich.

»Es lebe die Lustigkeit!« rief er. »Und wenn Sie, damit Ihnen das Essen gut bekomme, mich auch wollen tanzen sehen, so sollen Sie sogleich bedient werden.«

Dabei fing er an, seine mageren, langen Beine so vergnügt umherzuwerfen, daß ich vor Lachen fast berstete. Ich lachte, im Herzen aber war ich gerührt.


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