Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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73.

Bis zum 11. Januar 1823 konnte ich es aushalten. Morgens stand ich mit weniger heftigem Kopfschmerz auf, hatte aber stets eine Neigung zur Ohnmacht. Die Beine zitterten mir, kaum vermochte ich zu atmen.

Auch Oroboni fühlte sich seit zwei oder drei Tagen schlechter und stand nicht mehr auf.

Man bringt mir die Suppe, ich koste kaum einen Löffel, dann falle ich bewußtlos um. Einige Zeit darauf guckte die Schildwache zufällig durch das Loch in der Tür, und da sie mich auf der Erde liegen sah, das zerbrochene Schüsselchen neben mir, hielt sie mich für tot und rief Schillern herbei.

Auch der Oberinspektor kam, der Arzt ward sogleich gerufen, man brachte mich zu Bette. Langsam kam ich wieder zu mir.

Der Arzt sagte, daß mein Zustand gefährlich wäre, und ließ mir die Kette abnehmen. Er verordnete mir, ich weiß nicht was für eine Herzstärkung, aber der Magen konnte nichts bei sich behalten. Der Kopfschmerz steigerte sich in furchtbarer Weise.

Augenblicklich ward an den Statthalter Bericht erstattet, der einen Kurier nach Wien absandte, um zu wissen, wie ich behandelt werden sollte. Die Antwort lautete, man solle mich nicht in das Lazarett bringen, sondern mich im Gefängnisse mit derselben Sorgfalt pflegen, als wenn ich im Lazarett wäre. Außerdem erhielt der Oberinspektor Vollmacht, mir aus seiner Küche Brühen und Suppen verabfolgen zu lassen, solange als die Krankheit bedenklich bliebe.

Diese letztere Anordnung war anfangs für mich von keinem Nutzen: keine Speise, kein Getränk war mir zuträglich. Eine ganze Woche hindurch verschlimmerte sich mein Zustand, ich phantasierte Tag und Nacht. Kral und Kubitzky wurden mir als Krankenwärter gegeben; beide pflegten mich mit großer Liebe.

So oft ich die Besinnung etwas wiedererlangt hatte, wiederholte mir Kral: »Vertrauen Sie auf Gott; Gott allein ist gut.«

»Betet für mich,« sagte ich zu ihm, »nicht daß er mich wieder gesund werden lasse, sondern daß er meine Leiden und meinen Tod als Buße für meine Sünden annehme.«

Er gab mir den Rat, die Sakramente zu verlangen.

»Wenn ich sie nicht schon verlangte, so schreibt dies der Schwachheit meines Kopfes zu; aber ein großer Trost würde es mir sein, sie zu empfangen.«

Kral teilte meine Worte dem Oberinspektor mit, und nun ließ man den Kaplan des Gefängnisses zu mir kommen.

Ich beichtete, empfing das heilige Abendmahl und die heilige Ölung. Mit diesem Priester war ich recht zufrieden. Er hieß Sturm. Die Betrachtungen, die er zu mir über die Gerechtigkeit Gottes, über die Ungerechtigkeit der Menschen, über die Pflicht zu verzeihen, über die Eitelkeit aller Dinge dieser Welt anstellte, bestanden nicht bloß in alltäglichen Redensarten; sie trugen vielmehr das Gepräge eines tiefer durchgebildeten Geistes, eines von wahrer Liebe zu Gott und dem Nächsten erwärmten Gefühls.


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