Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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5.

Wenn Tirolas Gesicht neben dem Ausdrucke von Gutmütigkeit nicht zugleich auch diesen schelmischen Blick gehabt hätte, wenn in seiner Physiognomie etwas Edleres gewesen wäre, dann würde ich der Versuchung, ihn zu meinem Botschafter zu machen, nicht widerstanden haben; und vielleicht hätte ein Billett von mir, wenn es zur rechten Zeit an meinen Freund gelangte, diesem das Mittel an die Hand gegeben, manches Versehen wieder gutzumachen – und vielleicht rettete das, wenn auch nicht ihn, den Armen, der schon zu sehr bloßgestellt war, aber einige andere und mich!

Geduld! es sollte so gehen.

Man holte mich zur Fortsetzung des Verhörs ab, und dies dauerte den ganzen Tag und einige andere, ohne daß eine andere Unterbrechung eintrat, als während der Mahlzeit.

Solange die Untersuchung noch nicht geschlossen war, vergingen mir die Tage reißend schnell, so sehr war mein Geist durch das endlose Antworten auf die verschiedensten Fragen in Anspruch genommen, ferner auch dadurch, daß ich mich während der Essenszeit und am Abend wieder sammelte, daß ich alles überdachte, was man mich gefragt und was ich geantwortet hatte, und alles überlegte, worüber man mich vermutlich noch weiter befragen würde.

Am Schluß der ersten Woche stieß mir ein großer Verdruß zu. Mein armer Piero, der ebenso sehnlich wie ich den Wunsch hegte, eine Verbindung zwischen uns herzustellen, schickte mir ein Billett zu; er bediente sich dabei nicht eines Unteraufsehers, sondern eines unglücklichen Gefangenen, der mit den Aufsehern in unsere Zimmer kam, um dort irgendwelche Dienste zu verrichten. Dies war ein Mann zwischen sechzig und siebzig Jahren, der, ich weiß nicht, zu wieviel Monaten Gefängnishaft verurteilt war.

Mit einer Stecknadel, die ich hatte, stach ich mir in den Finger, schrieb mit dem Blute ein paar Zeilen zur Antwort und steckte sie dem Überbringer zu.

Er hatte das Mißgeschick, daß man ihm aufpaßte, ihn durchsuchte, an seinem Leibe den Zettel erwischte, und wenn ich nicht irre, erhielt er dafür Schläge. Ich vernahm ein lautes Geheul und meinte, daß es von jenem alten Manne herrühre, den ich nicht wieder zu sehen bekam.

Wieder ward ich zur Untersuchung vorgeführt, ich erbebte vor Wut, als man mir den Zettel vorlegte, der mit meinem Blute beschrieben war (er enthielt Gott sei Dank nichts, was uns schaden konnte, sondern hatte nur das Aussehen einer einfachen Begrüßung). Man fragte mich, womit ich mir das Blut abgezapft hätte, nahm mir die Nadel weg und lachte die Angeführten aus. Ach, ich lachte nicht! Ich konnte den alten Boten aus meinen Augen nicht loswerden. Gern hätte ich eine Züchtigung ertragen, damit man nur ihm verziehe. Und als ich jenes Geheul vernahm, das vermutlich von ihm herrührte, da traten mir die Tränen in die Augen.

Vergebens fragte ich den Kerkermeister und die Secondini nach ihm. Sie schüttelten den Kopf und sagten: »Es ist ihm schlecht genug bekommen, er wird gewiß nichts Ähnliches versuchen, er genießt jetzt etwas mehr Ruhe.« Weiter wollten sie sich nicht auslassen.

Deuteten sie damit die verschärfte Haft an, in der man den Unglücklichen hielt, oder redeten sie so, weil er unter den Stockschlägen oder infolge derselben gestorben war?

Eines Tages glaubte ich ihn auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes unter dem Säulengange zu sehen, mit einem Bündel Holz auf dem Rücken. Mir klopfte das Herz, als wenn ich einen Bruder wiedersähe.


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