Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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88.

Die Wundärzte hatten gemeint, das Lazarett auf dem Spielberg würde für alle Bedürfnisse sorgen, und hatten mit Ausnahme der Instrumente nichts mitgebracht. Aber nach Beendigung der Amputation bemerkten sie, daß verschiedene notwendige Dinge nicht vorhanden waren: Wachsleinwand, Eis, Binden usw. Der arme Verstümmelte mußte zwei Stunden warten, bis alles aus der Stadt herbeigeschafft war. Endlich konnte er sich aufs Bett ausstrecken, und das Eis ward auf den Stumpf gelegt. Den folgenden Tag befreiten sie den Fuß von den Blutkrusten, die sich daran gebildet hatten, wuschen ihn, zogen die Haut herunter und verbanden ihn.

Mehrere Tage lang gab man dem Kranken nichts weiter als eine halbe Tasse Brühe mit geschlagnem Eidotter. Als aber die Gefahr des Wundfiebers vorüber war, fing man an, ihm nach und nach durch nahrhaftere Speise wieder Kräfte zuzuführen. Der Kaiser hatte befohlen, daß man dem Kranken, bis er die Kräfte wiedergewonnen hätte, gute Speisen aus der Küche des Oberinspektors geben sollte.

Die Genesung ging innerhalb vierzig Tagen vor sich, danach brachte man uns wieder in unseren Kerker, dieser war übrigens dadurch für uns erweitert worden, daß man die Wand durchbrochen und so unsere Höhle mit der einst von Oroboni und später von Villa bewohnten vereinigt hatte.

Ich schaffte mein Bett gerade an die Stelle, wo das von Oroboni gestanden hatte, und wo er gestorben war. Daß ich diesen selben Platz einnehmen konnte, tat mir wohl; ich glaubte ihm nähergerückt zu sein. Oft träumte ich von ihm, es war mir, als ob sein Geist mich wirklich besuchte und mich mit himmlischen Tröstungen erheiterte.

Der schreckliche Anblick so vieler Martern, die Maroncelli vor der Abnahme des Beines, dann während der Operation und nach derselben erduldet hatte, gab meinem Geiste größere Stärke. Aber Gott, der mir in der Zeit seiner Krankheit hinreichende Gesundheit verliehen hatte, nahm sie mir, als Maroncelli sich auf den Krücken forthelfen konnte.

Wiederholt hatte ich äußerst schmerzliche Drüsenanschwellungen. Davon genas ich wieder, jetzt folgten ihnen Brustschmerzen, woran ich früher schon gelitten hatte, die mir jetzt mehr als je den Atem beschwerten, Schwindel und krampfhafte Ausleerungen.

Jetzt bin ich an die Reihe gekommen, sagte ich vor mir hin. Soll ich weniger standhaft sein als mein Gefährte?

Ich bemühte mich daher, so gut ich vermochte, seine Seelenstärke nachzuahmen.

Es läßt sich nicht bezweifeln, daß jede Lage des menschlichen Lebens ihre besonderen Pflichten hat. Die eines Kranken sind Geduld, Mut, die größte Bemühung gegen die, welche um uns sind, nicht unliebenswürdig zu werden.

Maroncelli, der sich auf seine armen Krücken stützen mußte, hatte nicht mehr die frühere Beweglichkeit, und das verdroß ihn, weil er fürchtete, mir weniger Beistand leisten zu können. Zudem besorgte er, daß ich, um ihm Bewegungen und Mühe zu ersparen, seine Dienste nicht so oft in Anspruch nähme als ich nötig hätte.

Das war auch wirklich bisweilen der Fall, aber ich sorgte dafür, daß er es nicht bemerken konnte.

Obwohl er wieder zu Kräften gekommen war, so war er doch nicht frei von Beschwerden. Er hatte, wie alle Amputierten, schmerzhafte Empfindungen in den Nerven, als ob der abgenommene Teil noch daran wäre. Der Fuß, das Bein und das Knie, die er gar nicht mehr hatte, taten ihm weh. Dazu kam, daß der Knochen schlecht durchsägt war, in das neue Fleisch eindrang und häufig Wunden darin verursachte. Erst etwa nach Verlauf eines Jahres war der Stumpf leidlich verhärtet und brach nicht mehr auf.


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