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Die Abschiedsworte

Gegen Weihnachten bekam Klara Gulla Botschaft, ihre Mutter liege im Sterben, und dies war endlich imstande, sie von dem Landungssteg wegzubringen.

Sie legte den Weg zu Fuß zurück, weil dies die beste Art war, wie man um diese Jahreszeit nach Askedalarna gelangen konnte; sie nahm den alten Weg über Loby und durch den Hochwald über die Snipahöhe.

Als Klara Gulla an dem Hof vorbeiging, in dem der alte Björn Hindriksson einst gewohnt hatte, stand ein großer Mann von energischem, ernsthaftem Aussehen am Weg und besserte einen Zaun aus. Er begrüßte sie mit kurzem Kopfnicken und ließ sie vorübergehen, dann aber blieb er stehen und sah ihr nach, schließlich eilte er hinter ihr her, bis er sie eingeholt hatte.

»Ihr seid gewiß Klara Gulla von Skrolycka,« sagte er. »Ich hätt Euch etwas zu sagen. Ich bin Linnart, der Sohn von Björn Hindriksson,« fügte er hinzu, als er merkte, daß sie nicht wußte, wer er war.

»Ich hab's außerordentlich eilig, vielleicht hat's Zeit bis zu einem andern Mal,« versetzte Klara Gulla.

»Denn ich hab Nachricht bekommen, daß meine Mutter am Sterben ist.«

Aber statt umzukehren, bot ihr Linnart an, sie eine Strecke Wegs zu begleiten. Er sagte, er habe schon mehrere Male die Absicht gehabt, sie drunten an der Schiffslände aufzusuchen, und nun wolle er die gute Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen lassen. Er glaube, daß das, was er zu sagen habe, sehr wichtig für sie sei.

Klara Gulla machte keine weitere Einwendung. Aber sie merkte wohl, wie schwer es dem Mann fiel, mit dem herauszukommen, was er zu sagen hatte, und so erwartete sie nichts Gutes. Er räusperte sich mehrere Male und suchte nach Worten.

»Ihr werdet wohl nicht wissen, daß ich der letzte Mensch gewesen bin, der mit Eurem Vater, dem Kaiser, wie ihn alle hier nannten, gesprochen hat?« begann er schließlich.

Klara Gulla sagte nein, das habe sie nicht gewußt. Und zugleich beschleunigte sie ihre Schritte. Sie dachte, dieses Gespräch werde so sein, daß sie ihm lieber ausgewichen wäre.

»Eines Tages im Herbst,« fuhr Linnart Björnsson fort, »stehe ich da vor meinem Hof und spanne ein Pferd ein, weil ich im Kaufladen Einkäufe zu machen hatte. Da seh ich plötzlich den Kaiser auf dem Weg daherkommen. Er hatte es sehr eilig, das war deutlich zu sehen; aber als er mich erkannte, blieb er doch stehen und fragte mich, ob ich nicht die Kaiserin habe vorbeifahren sehen. Das konnte ich ja nicht leugnen, und als ich es zugab, stürzten ihm die Tränen aus den Augen. Er sagte, er sei auf dem Weg nach Bro gewesen, als er plötzlich von einer großen Angst überfallen worden sei, und da sei er wieder umgekehrt. Als er aber daheim angekommen sei, habe er das Haus leer gefunden. Katrine sei auch verschwunden. Sie wollten gewiß mit dem Dampfboot fortfahren, und er wisse nun nicht, wie er noch zeitig genug nach Borg kommen könnte, ehe sie abgereist wären.

Klara Gulla blieb stehen.

»Und dann habt Ihr ihn wohl mit Euch fahren lassen?« sagte sie.

»Ja,« antwortete der Bauer. »Jan hat mir in früherer Zeit einmal einen großen Dienst geleistet, den hab ich ihm vergelten wollen. Aber 's war vielleicht ein Fehler, daß ich ihm weitergeholfen habe.«

»Ach nein, der Fehler war auf meiner Seite,« erwiderte Klara Gulla. »Ich hätt mir nie einfallen lassen sollen, von ihm fortzugehen.«

»So lange er auf meinem Wagen saß, hat er immerfort geweint wie ein kleines Kind,« sagte Linnart Björnsson, »und ich hab ja nicht gewußt, was ich sagen sollte, um ihn zu trösten, deshalb hab ich geschwiegen und hab ihn weinen lassen. Schließlich aber sagte ich: Wir kommen schon noch recht, Jan. Weine doch nicht so! Jetzt im Herbst fahren nur noch kleine Boote, und die haben es nicht so sehr eilig. Aber kaum hatte ich das gesagt, als er mir auch schon die Hand auf den Arm legte und mich fragte, ob ich glaube, daß die, die die Kaiserin entführt hatten, hart und roh gegen sie sein würden.«

»Die, die mich entführt hätten!« wiederholte Klara Gulla aufs höchste überrascht.

»Auch ich bin sehr überrascht gewesen und hab ihn gefragt, wen er denn meine. Nun ja, er meinte die, die im Hinterhalt gelegen hätten, während die Kaiserin daheim gewesen war. Alle die Feinde, vor denen Klara Gulla so große Angst gehabt habe, daß sie es nicht wagte, ihre goldene Krone aufzusetzen oder auch nur von Portugallien zu reden, und die sich nun auf sie geworfen, sie überwältigt und gefangen fortgeführt hätten.«

»Ach so, so hat er's gemeint?« meinte Klara Gulla.

»Ja, gerade so hat er's gemeint, Klara Gulla,« sagte Linnart Björnsson mit großem Nachdruck. »Versteht mich recht, Klara Gulla, Euer Vater hat nicht darum geweint, weil er verlassen und allein gelassen worden war, sondern weil er geglaubt hat, seine Klara Gulla sei in Gefahr.«

Linnart Björnsson war es schwergefallen, die letzten Worte herauszubringen. Sie wollten ihm im Hals stecken bleiben. Er dachte vielleicht an den alten Björn Hindriksson und an sich selbst. Sicherlich war es die Erinnerung an seine eigene Geschichte, die ihn erkennen ließ, wie hoch man eine Liebe schätzen sollte, die nie weicht noch wankt.

Aber das erkannte Klara Gulla noch nicht. Seit sie nach Hause gekommen war, hatte sie nur mit Widerwillen und Entsetzen an ihren Vater gedacht. Sie murmelte etwas vor sich hin, daß ihr Vater ein Narr gewesen sei.

Linnart Björnsson hörte, was sie sagte, und es verletzte ihn.

»Ich weiß doch nicht, ob Jan wirklich verrückt gewesen ist,« wendete er ein. »Ich hab ihm geantwortet, daß ich keine Feinde bei Klara Gulla gesehen hätte. Doch da erwiderte er: ›Habt Ihr wirklich nicht gesehen, wie eifrig sie Klara Gulla umlauert haben, als sie an Euch vorbeigekommen ist? Jawohl, mein guter Linnart Björnsson, die Feinde waren da, der Hochmut und die Härte und das Laster und die Begierde, alle miteinander, gegen die sie in ihrem Kaiserreich zu kämpfen hat‹.«

Klara Gulla blieb wieder stehen und sah Linnart Björnsson an.

»Ach so!« sagte sie nur.

»Und ich hab ihm erwidert, diese Feinde hätt ich auch gesehen,« versetzte Linnart Björnsson barsch.

Da lachte Klara Gulla laut auf; doch Linnart fuhr fort:

»Aber ich hab sofort bereut, daß ich das gesagt hab. Denn jetzt weinte Jan zum Verzweifeln.›Ach Linnart, mein guter Linnart Björnsson,‹ sagte er, ›bitte den lieben Gott, daß es mir gelingen möge, das kleine Mädchen von allem Bösen zu erretten! Es ist einerlei, wie es mir geht, wenn nur ihr geholfen wird‹.«

Klara Gulla schritt rascher aus und erwiderte nichts mehr. In ihrem Herzen hatte sich etwas erhoben, das riß und zerrte, aber sie zwang es zur Ruhe. Wenn das, was drinnen verborgen lag, frei wurde, dann wußte sie nicht, wie sie weiterleben sollte.

»Ja, das sind also gleichsam seine Abschiedsworte gewesen,« sagte Linnart Björnsson. »Und es hat ja dann auch nicht mehr lange gedauert, bis er beweisen konnte, daß es ihm mit dem, was er sagte, Ernst gewesen war. Glaubt doch ja nicht, Klara Gulla, daß er ins Wasser gesprungen ist, um seinem Schmerz zu entgehen. O nein, einzig und allein, um seine Klara Gulla von ihren Feinden zu erretten, hat er sich dem Dampfboot nach ins Wasser gestürzt.«

Rascher und rascher stürmte Klara Gulla dahin. Die ganze Liebe ihres Vaters von Anfang bis zu Ende offenbarte sich ihr und wurde ihr allmählich klar. Aber sie wollte ihr entfliehen. Sie konnte diese Erkenntnis nicht ertragen.

»Hier im Dorf weiß man so ziemlich alles voneinander,« fuhr Linnart Björnsson fort, der ohne alle Anstrengung Schritt mit Klara Gulla hielt. »Gleich nachdem der Kaiser ertrunken war, hat allgemeine Entrüstung über Euch geherrscht, Klara Gulla. Und was mich betrifft, so hab ich Euch nicht für wert gehalten, die letzten Worte und Gedanken Eures Vaters zu vernehmen. Aber wir sind jetzt anderer Meinung geworden. Es hat uns gefallen, daß Ihr die ganze Zeit über drunten auf der Brücke gestanden seid und auf ihn gewartet habt.«

Jetzt hielt Klara Gulla an. Ihre Wangen glühten, und ihre Augen funkelten vor Zorn.

»Ich steh nur dort, weil ich Angst vor ihm hab,« lautete ihre Antwort.

»Ihr habt Euch nie besser zeigen wollen, als Ihr seid, das wissen wir wohl,« sagte Linnart Björnsson ruhig. »Aber wir verstehen vielleicht besser als Ihr selbst, was unter diesem Warten dort verborgen liegt. Wir haben auch Eltern gehabt. Und auch wir haben nicht recht an ihnen gehandelt.«

Klara Gulla war so zornig, daß sie gerne etwas Schreckliches gesagt hätte; aber sie brachte es nicht heraus. Sie hätte gern auf den Boden gestampft, um Linnart zum Schweigen zu bringen; aber auch das vermochte sie nicht. Da sah sie keinen anderen Ausweg mehr, als sich abzuwenden und aus Leibeskräften zu laufen.

Linnart Björnsson folgte ihr nicht mehr. Nun hatte er gesagt, was er hatte sagen wollen, und er war nicht unzufrieden mit der Arbeit dieses Vormittags.


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