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Der Sonntag nach Johanni

Am ersten Sonntag nach dem Johannisfest waren alle Leute in Askedalarna beim Netzstricker zu der großen Gasterei geladen, die der Netzstricker und seine Schwiegertochter jedes Jahr um diese Zeit zu geben pflegten.

Man hatte wohl Grund, sich darüber zu verwundern, daß zwei so bettelarme Leute jedes Jahr ein Gastmahl geben; aber allen denen, die mit den Verhältnissen bekannt waren, kam die Sache ganz natürlich vor.

Es verhielt sich nämlich folgendermaßen: Als der Netzstricker noch ein reicher Mann gewesen war, hatte er jedem von seinen Söhnen einen Hof gegeben. Der älteste von ihnen hatte dann mit seinem Eigentum ungefähr so gehaust wie Ol' Bengtsa selbst und war als ein armer Mann gestorben.

Der andere Sohn aber war von gesetzterer und ordentlicherer Art. Er hatte seinen Hof noch in gutem Stand, ja er hatte seinen Besitz überdies vermehrt und war nun ein vermöglicher Mann.

Aber was er jetzt sein eigen nannte, war nur ein ärmlicher Besitz gegen den, den er hätte haben können, wenn der Vater nicht so verschwenderisch mit dem Seinen umgegangen wäre und seine Gelder und seinen Grundbesitz nicht ganz zweck- und sinnlos verschleudert hätte. Wenn diesem Sohn in seinen jungen Jahren solcher Reichtum zugefallen wäre, dann hätte er es weiß Gott wie weit bringen können. Er hätte alle Wälder des Lövsjöer Bezirks sein eigen nennen, in Broby ein Handelshaus und auf dem Löven ein Dampfboot haben können. Ja, er hätte sogar als Herr auf dem Ekebyer Hüttenwerk sitzen können!

Der Sohn hatte natürlich dem Vater seine Mißwirtschaft nur schwer verzeihen können; aber er hatte sich doch immer zusammengenommen, damit es zu keinem Bruch gekommen war. Als Ol' Bengtsa bankerott wurde, hatten allerdings viele Leute und auch der Vater selbst erwartet, nun werde der Sohn dem Vater mit seinen Mitteln zu Hilfe kommen. Aber was hätte das nützen können? Es wäre ja nur alles in die Hände der Gläubiger gefallen. Gerade in Gedanken daran, daß der Vater noch irgendwo hinkommen könnte, wenn alles zu Ende wäre, hatte der Sohn das zurückbehalten, was er bekommen hatte.

Daß dann Ol' Bengtsa zu der Witwe des älteren Sohnes gezogen war und ihr angeboten hatte, sich und sie durch Netzstricken zu versorgen, daran war der jüngere Sohn nicht schuld. Nicht einmal, sondern hundertmal hatte er den Vater gebeten, zu ihm zu kommen und bei ihm zu wohnen. Mit seiner Weigerung beging der Vater fast ein neues Unrecht gegen ihn; denn der Sohn wurde von denen, die wußten, wie schlecht es dem Alten ging, scheel darob angesehen.

Aber selbst darum war es nicht zum Streit zwischen Vater und Sohn gekommen, und um dem Alten seine Freundschaft zu beweisen, legte der Sohn jeden Sommer einmal mit Frau und Kindern den lebensgefährlichen Weg nach Askedalarna zurück und blieb den ganzen Tag dort.

Wenn nun die Leute gewußt hätten, wie bedrückt sich sowohl er als seine Frau fühlten, so oft sie die kleine Hütte mit dem baufälligen Schuppen und dem steinigen Kartoffelacker sowie die vielen in Lumpen gekleideten Kinder der Schwägerin sahen, dann hätten sie wohl verstanden, wie groß ihre Liebe für den Vater war, da sie, nur um mit ihm zusammen zu sein, dies alles einmal im Jahre aushielten.

Am verdrießlichsten aber war ihm und seiner Frau, daß ihretwegen eine Gasterei gegeben werden sollte. So oft sie wieder fortgingen, baten und flehten sie, der Vater solle es doch im nächsten Jahr, wenn sie wiederkämen, lassen, ihnen zu Ehren die Nachbarn einzuladen; aber der Alte war unerbittlich. Er wollte nicht auf das Gastmahl verzichten, obgleich er sicherlich nicht das Geld dazu hatte. Man hätte nicht geglaubt, daß von dem alten Ol' Bengtsa auf Lyusterby noch so viel übrig war, wenn man ihn so alt und stumpfsinnig umhergehen sah; aber die Lust zum Großtun war ihm eben doch noch geblieben. Sie hatte ihn ins Unglück gestürzt, und er schien sich ihrer nicht entschlagen zu können.

Der Sohn hatte es auf Umwegen gehört, und er wußte es ja auch ohnedies, daß der Alte und die Schwägerin das ganze Jahr hindurch sparten und zusammenscharrten, nur um an dem Tag, wo die Verwandten kamen, ein richtiges Gastmahl halten zu können. Aber dann wurde auch in einem fort geschmaust! Ein reichgedeckter Kaffeetisch wartete ihrer, ehe man aus dem Wagen gestiegen war. Dann kam das Mittagessen für alle Nachbarn mit Fisch und Braten und Reispudding und Saftcréme und einer großen Menge Getränke. Das war alles so traurig, daß der Sohn und seine Frau am liebsten geweint hätten. Beiden taten sie nichts, um dieser Torheit Vorschub zu leisten. Sie brachten als Gastgeschenke immer nur solche Dinge, die zum einfachen täglichen Leben gehörten. Aber das Festessen wurde deshalb doch gegeben.

Manchmal sagten sie zueinander, es werde ihnen am Ende nichts anderes übrigbleiben, als den Besuch ganz einzustellen, damit sich der Vater nicht noch einmal ihretwegen zugrunde richte. Aber sie fürchteten, wenn sie daheim blieben, so würde die gute Absicht, die sie dabei hatten, von niemand verstanden werden.

Und mit was für Leuten mußten sie bei diesem Festessen zusammensitzen! Mit alten Schmieden und Fischern und Kätnersleuten! Wenn nicht auch immer so angesehene Leute wie die von Falla gekommen wären, so wäre nicht ein Mensch dabei gewesen, mit dem sich ein vernünftiges Wort hätte reden lassen.

Ol' Bengtsas Sohn hatte natürlich Erik auf Falla selbst am meisten geschätzt, aber er fühlte auch große Achtung vor Lars Gunnarsson, der nach dem Tode des Schwiegervaters den Hof übernommen hatte. Lars stammte allerdings nicht aus vornehmem Geschlecht, aber er war ein Mann, der es verstanden hatte, sich eine gute Heirat zu sichern, und der auch sicherlich nicht ruhte, bis er sich Reichtum und Ansehen unter den Leuten erworben hatte.

Es war also eine große Enttäuschung für Ol' Bengtsas Sohn, als er im dritten Jahre nach Erik auf Fallas Tod gleich bei seiner Ankunft in Askedalarna hörte, Lars Gunnarsson werde wohl diesmal nicht zum Fest kommen.

»Ich bin nicht schuld daran,« sagte der alte Netzstricker. »Er gehört zwar nicht gerade zu meinen Leuten, aber deinetwegen bin ich doch nach Falla hinübergegangen und hab ihn eingeladen.«

»Das Fest hier ist vielleicht nicht nach seinem Geschmack,« meinte der Sohn.

»O doch,« versetzte der Alte, »ich glaub, er wär mehr als gern dabei gewesen. Was ihn dran hindert, ist was anderes.«

Der Alte gab keine nähere Erklärung, was er damit meinte; aber als die Gäste noch bei der ersten Tasse Kaffee saßen, kam er wieder darauf zurück.

»Du brauchst nicht zu bedauern, daß Lars heute nicht hierherkommt,« sagte er. »Es ist gar nicht sicher, ob du dich jetzt in seiner Gesellschaft wohlfühlen würdest. Er ist in der letzten Zeit etwas unordentlich geworden.«

»Ihr wollt doch nicht sagen, daß er das Trinken angefangen hat,« warf der Sohn ein.

»Doch, das ist nicht fehlgeschossen,« antwortete der Alte. »Seit dem Frühling ist's über ihn gekommen, und seit Johanni ist er gewiß nicht an einem einzigen Tag mehr ganz nüchtern gewesen.«

Bei diesen Besuchen wurde es so gehalten: nachdem der Kaffee getrunken war, nahmen Vater und Sohn ihre Angelruten, gingen damit an den See hinunter und angelten. Um die Fische nicht zu vertreiben, verhielt sich der Alte meist mäuschenstill, doch in diesem Jahr machte er eine Ausnahme.

Ein Mal ums andere redete er den Sohn an. Natürlich kamen die Bemerkungen wie gewöhnlich nur langsam heraus und auch nur in kurzen Sätzen, aber der Vater war lebhafter als in den vorhergehenden Jahren, das war unverkennbar.

Man hätte fast glauben können, er habe etwas Besonderes auf dem Herzen, oder besser gesagt, er möchte gerne von dem Sohne auf irgend etwas eine Antwort haben. Er war wie jemand, der vor einem leeren Haus steht und immer wieder ruft und die Hoffnung, es werde schließlich jemand kommen und aufmachen, nicht aufgeben will.

Mehrere Male kam er wieder auf Lars Gunnarsson zurück. Er erzählte, wie es damals bei der Christenlehre gegangen war, und kramte auch all den Klatsch aus, der seit Erik in Fallas Tod in Askedalarna über Lars im Umlauf war.

Der Sohn gab dem Vater darin recht, daß Lars Gunnarsson wohl nicht so ganz unschuldig sein werde. Und wenn er jetzt das Trinken angefangen habe, so sei das auch ein schlimmes Zeichen.

»Ja, ja, ich bin neugierig, wie er über den heutigen Tag hinüberkommt,« sagte der Alte.

In demselben Augenblick zappelte ein Fisch an der Angel des Sohnes, und so war dieser einer Antwort überhoben. Es war in dieser Geschichte nichts, was mit dem, was zwischen ihm und dem Vater stand, die geringste Ähnlichkeit gehabt hätte, aber er war doch fest überzeugt, daß der Alte bei dem, was er sagte, eine bestimmte Absicht hatte.

»Ich hoffe, daß er heut abend zum Pfarrer geht,« begann der Alte wieder. »Denn 's gibt Vergebung, wenn man sie nur sucht.«

Nachdem der Alte das gesagt hatte, herrschte lange tiefes Schweigen zwischen Vater und Sohn. Der Sohn war eifrig dabei, einen neuen Köder an die Angel zu stecken und dachte deshalb gar nicht daran, etwas zu erwidern. Und es war auch nichts gewesen, was eine Antwort erheischte. Aber dann stieß der Alte plötzlich einen so tiefen Seufzer aus, daß der Sohn ihn unwillkürlich ansah.

»Seht Ihr's nicht, Vater? Ein Fisch hat angebissen,« sagte er. »Ich glaub, Ihr laßt den Barsch mit der Angel davonschwimmen.«

Der Alte fuhr zusammen. Er löste den Fisch vom Angelhaken, benahm sich aber sehr ungeschickt, und so fiel der Fisch ins Wasser zurück.

»Ich hab heut offenbar kein Glück beim Fischen, so gern ich auch welche fangen möchte,« sagte er.

Ja, es war kein Zweifel, der Vater hatte etwas auf dem Herzen, was er dem Sohne sagen und bekennen wollte. Aber das konnte man doch wohl nicht verlangen, daß er sich auf die gleiche Stufe mit einem stellen sollte, der im Verdacht stand, seinen Schwiegervater umgebracht zu haben.

Der Alte hatte keinen neuen Köder auf seinen Angelhaken gesteckt. Mit zusammengelegten Händen stand er auf seinem Stein und starrte mit erloschenen Augen in das klare Wasser hinein.

»Ja, 's gibt Vergebung,« sagte er. »Für alle, die ihre Eltern vernachlässigen und sie in eisiger Kälte vergeblich auf Hilfe warten lassen, gibt's bis auf den heutigen Tag noch Vergebung. Aber dann ist es zu Ende.«

Dies konnte doch nicht dem Sohne gelten. Der Vater dachte wohl nur laut nach der Gewohnheit der alten Leute.

Nun aber fiel ihm ein, er könnte ja auch einen Versuch machen, mit dem Vater von etwas anderem zu reden, und so begann er:

»Wie geht es denn dem Mann in Askedalarna, der im letzten Herbst verrückt geworden ist?«

»Ach so, du meinst Jan von Skrolycka?« antwortete der Alte. »Nun, der ist den ganzen Winter über vernünftig gewesen. Auch er will heut nicht zu unserem Gastmahl kommen, aber ihn wirst du wohl nicht vermissen. Er ist ja nur so ein armer Häusler wie ich auch.«

Das war freilich wahr; aber der Sohn war nur zu froh, daß er nun von jemand anders sprechen konnte als von Lars Gunnarsson, und so fragte er mit großer Teilnahme, was denn Jan in Skrolycka eigentlich fehle.

»Ach, es fehlt ihm nichts, als daß er vor lauter Heimweh nach seiner Tochter, die vor zwei Jahren in die Welt hinausgegangen ist und seither nicht ein einziges Wort von sich hat hören lassen, krank geworden ist.«

»Ist's die, die ins Unglück geraten ist?«

»Ach so, das weißt du noch? Aber das ist's nicht, warum sich der Vater zu Tode grämt. Die große Lieblosigkeit ist's, die er nicht vertragen kann.«

Die Redseligkeit des Vaters war geradezu ängstlich, er sagte gewiß mehr, als gut war.

»Ich glaub, ich will einmal dort auf den äußersten Stein hinausgehen,« sagte der Sohn. »Dort seh ich viele Fische herumschwimmen.«

Durch diese Platzveränderung kam er außer Hörweite des Alten, und nachher fand sich den ganzen Vormittag keine Gelegenheit mehr zu einer Unterhaltung. Aber wo immer der Sohn sich aufhielt, fühlte er sich von den trüben glanzlosen Augen des Vaters verfolgt.

Er war diesmal wirklich froh, als die Gäste allmählich ankamen.

Der Tisch war vor dem Hause gedeckt, und als der Vater zum Essen kam, machte er einen Versuch, Sorgen und Bekümmernisse abzuwerfen. Wenn er als Gastgeber an einem wohlbesetzten Tisch saß, trat noch so viel von dem alten Ol' Bengtsa zutage, daß man einen Begriff davon bekam, wie er früher gewesen war.

Von Falla war niemand anwesend; aber Lars Gunnarsson war in aller Gedanken, das merkte man wohl, und darüber konnte man sich natürlich nicht verwundern, denn es war ja gerade der Tag, vor dem Lars gewarnt worden war. Der Sohn von Ol' Bengtsa bekam nun auch noch sehr viel von der Christenlehre auf Falla und wie merkwürdig es gewesen war, daß der Pfarrer gerade an jenem Abend von den Pflichten der Kinder gegen die Eltern gesprochen hatte, zu hören, jedenfalls mehr, als ihm angenehm war. Er sagte zwar nichts, aber der alte Ol' Bengtsa mußte ihm am Gesicht angesehen haben, daß er dieser Sache allmählich überdrüssig wurde, denn nun wendete er sich an den Sohn und redete ihn an.

»Was sagst du zu all dem, Nils?« fragte er. »Du denkst gewiß in deinem Herzen, es sei sehr sonderbar, daß unser Herrgott nicht auch ein Gebot für die Eltern geschrieben habe, wie die sich gegen ihre Kinder verhalten sollten?«

Das kam dem Sohn ganz unerwartet. Er fühlte, daß er rot wurde, wie wenn er auf frischer Tat ertappt worden wäre.

»Aber Vater!« sagte er. »Ich hab niemals weder gedacht, noch gesprochen – – –«

»Ja, das ist wahr,« unterbrach ihn der Alte, und zugleich wendete er sich an alle, die am Tisch saßen. »Ich weiß, es wird euch schwer werden, das zu glauben, was ich jetzt sage. Aber es ist die reine Wahrheit, daß dieser mein Sohn mir noch niemals ein böses Wort gegeben hat, und seine Frau auch nicht.«

Der Alte hatte sich mit diesen Worten nicht an eine bestimmte Person gewendet, und es schien sich auch keiner von den Anwesenden bemüßigt zu fühlen, ihm etwas zu erwidern.

»Ja, die meinigen haben harte Prüfungen durchmachen müssen,« fuhr Ol' Bengtsa fort. »Es waren große Güter, die ihnen entgangen sind. Sie könnten jetzt Herrenleute sein, wenn ich mich nur um das Meinige ordentlich angenommen hätte. Aber sie haben sich niemals beklagt. Und jeden Sommer kommen sie hierher und besuchen mich, um zu zeigen, daß sie mir nicht böse sind.«

Das ganze Gesicht des Alten sah jetzt wieder wie erstorben aus, und seine Stimme klang sehr ruhig. Der Sohn wußte nicht, ob der Vater an etwas Bestimmtes dachte, das er ihm mitteilen wollte; oder ob er nur sprach, um überhaupt etwas zu sagen.

»Bei ihnen ist's ganz anders als bei der Lisa hier,« begann der Alte wieder, und er deutete dabei auf seine Schwiegertochter, bei der er wohnte. »Sie jammert mir jeden Tag den Kopf voll, daß ich mein Hab und Gut verschleudert habe.«

Die Schwiegertochter fühlte sich nicht im geringsten gekränkt über diese Worte, sondern antwortete ihm mit einem gutmütigen Lachen.

»Und Ihr, Ihr jammert über mich, weil ich mit dem Stopfen und Flicken von all den vielen Löchern in den Kleidern der Kinder nicht fertig werde.«

»Ja, das ist wahr,« gab er zu. »Seht, wir nehmen kein Blatt vor den Mund, sondern reden frei heraus miteinander. Wir können über alles miteinander reden, und alles, was ich hab, gehört ihr, und alles, was sie hat, gehört mir. Deshalb ist's mir nachgerade auch, als sei sie mein wahres Kind.«

Der Sohn fühlte sich wieder eigentümlich berührt, und allmählich wurde er ängstlich. Ganz gewiß, der Alte wollte irgend etwas erzwingen, es war eine bestimmte Antwort, auf die er wartete.

Aber diese mußte doch nicht gerade hier, inmitten aller der fremden Menschen, gegeben werden.

Es war darum auch eine wirkliche Erleichterung für Ol' Bengtsas Sohn, als er aufsah und Lars Gunnarsson mit seiner Frau erblickte, die an der Gitterpforte standen und eben in den Hof hereinkommen wollten.

Aber nicht nur er, sondern alle Anwesenden waren froh über die Ankunft der beiden. Jetzt schien kein einziger mehr eine Erinnerung an die mißtrauischen Gedanken zu haben, die man über Lars hegte.

Lars und seine Frau entschuldigten sich viele Male für ihr Zuspätkommen, aber Lars habe so schreckliche Kopfschmerzen gehabt, daß sie gemeint hätten, sie könnten gar nicht an dem Gastmahl teilnehmen. Dann sei es aber doch ein wenig besser mit ihm geworden, und da habe er gedacht, er wolle sich doch bei Ol' Bengtsa einstellen. Vielleicht könne er seine Schmerzen vergessen, wenn er mit andern zusammen sei.

Lars sah ein wenig hohläugig aus, und an den Schläfen war er etwas kahl geworden; sonst aber war er ebenso vergnügt und umgänglich wie im vorigen Jahre hier bei Ol' Bengtsa. Kaum hatte er ein paar Bissen gegessen, so waren er und der Sohn von Ol' Bengtsa auch schon mitten in einem Gespräch über den Holzhandel, über großen Verdienst und ausgeliehene Gelder.

Die kleinen Leute ringsum waren geradezu bestürzt über die großen Summen, die sie da nennen hörten, und wagten nicht mitzureden. Nur der alte Ol' Bengtsa wollte auch das Wort haben.

»Da ihr jetzt vom Geld sprecht,« sagte er, »so möcht ich wissen, ob du, Nils, dich noch an den Schuldschein über 17 000 Reichstaler erinnern kannst, den ich von dem alten Besitzer auf Duvnäs bekommen hatte? Du wirst dich entsinnen, daß er verlegt worden war und absolut nicht gefunden wurde, als ich mich in der allergrößten Not befand? Ich hatte zwar doch an den Hüttenbesitzer geschrieben und machte meine Ansprüche geltend, aber die Antwort bekommen, daß er im Sterben liege. Und nachdem er tot war, konnte das Nachlaßgericht nichts darüber in den Büchern finden. Ich bekam den Bescheid, es sei den Herren unmöglich, meine Forderung zu bezahlen, da ich ja den Schein nicht vorweisen könne. Wir haben ihn überall gesucht, ich und meine Söhne, aber er ist nirgends zu finden gewesen.«

»Ihr wollt doch nicht sagen, Vater, daß Ihr ihn jetzt gefunden habt,« rief der Sohn.

»Es ist zu merkwürdig,« fuhr der Alte fort. »Eines Morgens kam Jan von Skrolycka zu mir und sagte mir aufs bestimmteste, er wisse, daß der Schein in dem Geheimfach meiner Kleidertruhe liege. Er habe im Traum gesehen, wie ich ihn dort herausgenommen habe.«

»Aber da habt Ihr doch wohl gesucht gehabt?«

»Jawohl, in dem Geheimfach, das links in meiner Kleidertruhe ist, hab ich gesucht gehabt. Aber Jan behauptete, nein, der Schein liege rechts in der Truhe. Und wie ich nun da nachsehe, entdecke ich auf der rechten Seite ein Geheimfach, von dem ich gar nichts gewußt habe. Und darin lag der Schein.«

Der Sohn legte einen Augenblick Messer und Gabel weg, nahm sie dann aber wieder auf. In der Stimme des Alten hatte etwas gelegen, das ihn warnte. Es war vielleicht alles miteinander nicht wahr.

»Der Schein ist wohl verjährt?« warf er hin.

»Ja, bei einem anderen Schuldner wär er das sicherlich gewesen,« sagte der Alte. »Ich bin aber dann mit ihm zu dem jungen Herrn auf Duvnäs gefahren, und er hat ihn sogleich anerkannt. ›Es ist sonnenklar, daß ich meines Vaters Schuld bereinigen werde, Ol' Bengtsa,‹ hat er gesagt. ›Aber Ihr müßt mir ein paar Wochen Frist lassen, denn es ist eine große Summe, wenn sie auf einmal bezahlt werden soll‹.«

»Das ist wie ein Ehrenmann gesprochen,« sagte der Sohn und legte die Hand schwer auf den Tisch. Trotz allem Mißtrauen schlich die Freude in sein Herz hinein. Wie merkwürdig, etwas so Herrliches hatte der Alte den ganzen Tag mit sich herumtragen und es nicht über sich vermocht, damit herauszurücken!

»Da hab ich zu dem Hüttenbesitzer gesagt, er brauche das Geld gar nicht zu bezahlen,« erklärte der Netzstricker. »Wenn er mir nur einen neuen Schein ausstellen wolle, dann könne es ruhig bei ihm stehen bleiben.«

»Das ist auch sehr gut,« versetzte der Sohn.

Es wurde ihm schwer, sich so ruhig zu zeigen, wie er für wünschenswert hielt. Seine Stimme klang unwillkürlich froh und laut. Aber er wußte, bei Ol' Bengtsa durfte man nie ganz sicher sein; im nächsten Augenblick konnte es ihm möglicherweise einfallen, zu sagen, alles miteinander sei nur eine Erdichtung gewesen.

»Du glaubst mir gewiß nicht,« sagte der Alte. »Willst du den Schein sehen? Du, Lisa, geh und hol ihn her!«

Gleich darauf hatte der Sohn den Schein vor Augen. Er sah zuerst nach der Unterschrift und erkannte sofort den klaren deutlichen Namenszug. Dann sah er nach der Summe, und auch die war richtig.

Er nickte seiner Frau zu, die ihm gegenüber saß, um ihr anzudeuten, daß alles seine Richtigkeit habe, und reichte ihr zugleich den Schein hin, denn sie war natürlich furchtbar begierig, ihn selbst zu sehen.

Die Frau las den Schuldschein von Anfang bis zu Ende sorgfältig durch.

»Aber was ist das hier?« fragte sie. ›Bezahle Lisa Persdotter in Askedalarna, der Witwe von Bengt Olsson in Ljusterby‹ – – – »Soll Lisa den Schein bekommen?«

»Ja,« sagte der Alte, »sie hat dies Geld von mir bekommen, denn sie ist mein rechtes Kind.«

»Aber das ist Unrecht gegen – – –«

»Nein, es ist kein Unrecht,« entgegnete der Alte mit seiner müden Stimme. »Ich habe meine Gläubiger bezahlt und bin niemand mehr etwas schuldig.

»Es hätte ja sein können,« fuhr er fort, indem er sich an den Sohn wendete, »daß ich auch noch einen anderen Gläubiger gehabt hätte, aber ich hab mir genaue Auskunft darüber verschafft, und ich weiß, ich habe keinen.«

»Damit meint Ihr mich,« erwiderte der Sohn. »An mich denkt Ihr nie – – –«

Aber alles, was der Sohn nun im Begriff war, dem Vater zu sagen, blieb ungesagt. Er wurde von einem lauten Schrei auf der andern Seite des Tisches unterbrochen.

Dort hatte Lars Gunnarsson ganz plötzlich eine volle Branntweinflasche ergriffen und an den Mund gesetzt. Seine Frau hatte den Schreckensruf ausgestoßen, und sie versuchte, Lars die Flasche zu entreißen. Lars wehrte seine Frau ab, bis er die Flasche halb ausgetrunken hatte. Dann stellte er sie auf den Tisch und wendete sich an seine Frau. Sein Gesicht war dunkelrot, seine Augen starrten verwirrt umher, und er ballte die Fäuste.

»Hast du nicht gehört, daß Jan es war, der den Schein gefunden hat? Nun ist's klar, er hat das zweite Gesicht. Alles, was er träumt, ist wahr. Und du wirst sehen, daß mit dem heutigen Tag noch das Unglück über mich kommt, wie er gesagt hat.«

»Er hat dir ja nur gesagt, du solltest dich in acht nehmen,« versuchte Lars Frau zu beruhigen.

»Du hast nicht nachgelassen, bis ich mit hierherging, weil ich da vergessen würde, was heut für ein Tag ist. Und nun hab ich dafür diese Warnung bekommen.«

Noch einmal setzte er die Branntweinflasche an den Mund; aber seine Frau warf sich über ihn und weinte und flehte. Da stellte er sie wieder auf den Tisch und stieß ein lautes Gelächter aus.

»Behalt sie, behalt sie nur!« sagte er, indem er aufstand und den Stuhl wegstieß. »Und gut Nacht, Ol' Bengtsa! Ihr entschuldigt mich wohl, wenn ich schon aufbreche. Heut muß ich an einen Ort, wo ich in aller Ruhe trinken kann.«

Er ging nach der Pforte, und seine Frau folgte ihm.

Aber als er an der Gittertür angekommen war und eben hindurchgehen wollte, stieß er seine Frau zurück.

»Was willst du noch bei mir? Ich hab meine Warnung bekommen. Mit mir geht's dem Verderben zu.«


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