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Erbkleinode

Eines Tages im Spätherbst befand sich Jan auf dem Heimweg von Falla, wo er den ganzen Tag über gedroschen hatte. Seit er jene Unterredung mit dem Netzstricker gehabt hatte, war ihm die Arbeitslust wieder gekommen. Er meinte, er müsse tun, was er könne, um nicht von Kräften zu kommen. Wenn das kleine Mädchen wiederkam, sollte es nicht die Schmach erleben müssen, seine Eltern in Armut versunken anzutreffen.

Als Jan so weit gegangen war, daß er von den Fenstern des Bauernhauses nicht mehr gesehen werden konnte, kam ihm eine Frau entgegen. Es dämmerte bereits, aber Jan sah doch sofort, daß es die Bäuerin von Falla war. Nicht die neue, die Frau von Lars Gunnarsson, sondern die alte, die richtige Mutter in Falla.

Sie war in einen großen Schal gehüllt, der ihr bis zum Kleidersaum hinunterreichte. Nie vorher hatte Jan sie so warm eingehüllt gesehen, und er fragte sich, ob sie wohl krank sei. Sie hatte in der letzten Zeit immer recht schlecht ausgesehen. Als im Frühjahr Erik in Falla gestorben war, hatte sie noch kein weißes Haar gehabt, und jetzt, kaum ein halbes Jahr später, war kaum mehr ein schwarzes auf ihrem Kopfe zu entdecken.

Sie blieb stehen und grüßte, und dann kamen die beiden miteinander ins Gespräch. Sie sagte zwar nicht gerade heraus, sie sei einzig und allein ausgegangen, um auf ihn zu warten, aber Jan fühlte sofort, daß dies der Fall war. Da stieg gleich der Gedanke in ihm auf, sie werde über Klara Gulla mit ihm reden wollen, und er war recht verdutzt, als sie von etwas ganz anderem anfing.

»Sagt mal, Jan, könnt Ihr Euch an den alten Besitzer von Falla erinnern, an meinen Vater, dem der Hof gehörte, ehe er an Erik kam?« fragte sie.

»Natürlich kann ich mich an ihn erinnern,« antwortete Jan. »Ich war doch schon mindestens zwölf Jahr alt, als er starb.«

»Er hat einen guten Schwiegersohn bekommen,« sagte die alte Bäuerin.

»Ja, das ist gewiß wahr,« bekräftigte Jan.

Darauf schwieg die Alte eine Weile, und dann seufzte sie erst ein paarmal, ehe sie wieder zu sprechen anfing.

»Ich wollt' Euch gern in einer Sache um Rat fragen, Jan. Ihr seid ja keiner von denen, die in alle Welt ausposaunen, was man ihnen sagt.«

»Ach nein, ich kann schweigen.«

»Ja, das weiß ich, ich hab's schon lang gemerkt.«

Jan wurde wieder voll Erwartung. Es wäre ja gar nicht unnatürlich, wenn sich Klara Gulla an die alte Mutter in Falla gewendet und sie gebeten hätte, ihren Eltern das große Glück, das ihr widerfahren war, mitzuteilen.

Der alte Netzstricker war kurz nach der Unterredung, die durch seine Schwiegertochter abgebrochen worden war, in ein Gichtfieber verfallen und seither so elend gewesen, daß Jan mehrere Wochen lang nicht mit ihm hatte reden können. Jetzt war er zwar wieder auf, aber schwach war er immer noch, und das schlimmste war, er hatte durch seine Krankheit offenbar das Gedächtnis verloren. Jan hatte gewartet und gewartet, ob er von selbst etwas von Klara Gullas Brief sagen werde, als dies aber nicht geschah und er auch keine Andeutungen verstehen wollte, hatte Jan ihn gerade heraus gefragt.

Und da hatte der Alte behauptet, er habe keinen Brief erhalten. Er hatte sogar die Tischlade aufgezogen und den Deckel der Kleidertruhe aufgeschlagen, um Jan zu zeigen, daß kein Brief vorhanden sei.

Nun, er hatte natürlich vergessen, wo er den Brief hingetan hatte. Und da wäre es ja gar kein Wunder, wenn sich das kleine Mädchen jetzt an die alte Mutter in Falla gewendet hätte. Es war nur schade, daß sie das nicht gleich von Anfang an getan hatte.

Die alte Mutter in Falla hatte eine lange Weile schweigend und zweifelnd dagestanden, und Jan war inzwischen seiner Sache immer sicherer geworden; es fiel ihm deshalb schwer, ihr zu folgen, als sie nun doch wieder von ihrem Vater anfing.

»Als mein Vater auf dem Totenbette lag, ließ er Erik kommen und dankte ihm, weil er immer so gut gegen ihn gewesen sei, obgleich er seit vielen Jahren vor Schwäche nichts mehr habe nützen können. – ›Denkt doch nicht daran, Vater,‹ hatte Erik gesagt. ›Wir freuen uns nur, je länger Ihr noch bei uns bleibt.‹ Ja, das hat er gesagt, und es ist auch seine ehrliche Meinung gewesen,« versicherte die Mutter auf Falla.

»Ja, das ist gewiß wahr,« erwiderte Jan. »Erik ist kein Heuchler gewesen.«

»Wartet ein wenig, Jan! Wir wollen einstweilen nur von dem Alten reden,« sagte die Bäuerin. »Erinnert Ihr Euch an den langen Stock mit dem silbernen Knopf, den mein Vater zu tragen pflegte?«

»Ja, und auch an die hohe Mütze, die er aufsetzte, wenn er zur Kirche ging.«

»Was, Ihr könnt Euch auch noch an die Mütze erinnern? Wißt Ihr, was mein Vater tat, als er auf dem Totenbette lag? Er ließ mich die Mütze und den Stock holen und gab Erik beides. – ›Ich könnte dir wohl was geben, was einen größeren Geldwert hätte,‹ sagte er. ›Aber ich schenk dir diese beiden Stücke, weil es eine größere Ehre für dich ist, wenn du diese bekommst, die jedermann kennt und von denen jedermann weiß, daß ich sie gebraucht habe. Das ist ein gutes Zeugnis für dich,‹ sagte mein Vater.«

»Ja, das ist sicher und gewiß, und wohlverdient waren sie auch,« pflichtete Jan bei.

Aber als Jan diese Worte sagte, merkte er, wie eigentümlich die Mutter in Falla den Schal um sich zog. Ohne Zweifel hatte sie etwas darunter versteckt, und das konnte wohl etwas sein, was Klara Gulla geschickt hatte. Nun, mit der Zeit würde sie auch darauf kommen, er mußte noch warten, dieses Gerede von ihrem Vater war nur der Übergang.

»Ich hab' das meinen Kindern oft erzählt und Lars Gunnarsson auch,« begann die Bäuerin in Falla wieder. »Als nun im Frühjahr Erik krank lag, werden wohl Lars und Anna erwartet haben, Lars werde an sein Bett gerufen, wie Erik einst an das meines Vaters. Ich hatte die Sachen hervorgeholt, damit sie zur Hand seien, im Fall er sie Lars geben wolle. Aber er hat mit keinem Gedanken daran gedacht.«

Die Stimme der Bäuerin bebte bei diesen Worten, und als sie wieder anfing zu reden, kamen die Worte ängstlich und zögernd heraus.

»Ich hab' ihn einmal gefragt, als wir allein waren, wie er's gehalten haben wolle, und da sagte er, ich könne nach seinem Tode Lars die Sachen geben, wenn ich wolle. Er sei nicht mehr imstande, viel zu reden, sagte er.«

Mit diesen Worten schlug die alte Mutter in Falla ihr großes Umschlagetuch zurück, und jetzt sah Jan, daß sie einen ungewöhnlich langen Stock mit großem silbernen Knopf darunter verborgen hielt.

»Es gibt Worte, die zu schwer zum Aussprechen sind,« sagte sie mit großem Ernst. »Wenn's Euch recht ist, so antwortet mir darum nur mit einem Zeichen. Jan, kann ich diese Sachen Lars Gunnarsson geben?«

Jan wich betreten einen Schritt zurück. Hier handelte es sich um etwas, an das er schon längst nicht mehr gedacht hatte. Es schien schon so unendlich lange her, seit Erik in Falla gestorben war, so lange, daß er sich kaum mehr daran erinnern konnte, wie es damals gegangen war.

»Ihr versteht mich, Jan, ich will nichts weiter wissen, als ob Lars den Stock und die Mütze mit demselben Recht in Besitz nehmen kann wie einst Erik. Ihr müßt's wissen, Ihr seid ja mit ihm im Walde gewesen.«

»Es war sehr schön für mich, wenn ich sie Lars geben könnte,« fuhr sie fort, als Jan immer noch schwieg. »Ich glaub auch, ich hätt's nachher zu Hause bei den jungen Leuten besser.«

Die Stimme versagte ihr noch einmal, und Jan fing an zu begreifen, warum sie so alt geworden war. Er selbst war ja ganz erfüllt von andern Gedanken, deshalb kamen ihm die alten Rachegedanken gegen den neuen Bauern gar nicht mehr in den Sinn.

»Es ist am besten, friedfertig und versöhnlich zu sein,« sagte er. »Damit kommt man am weitesten.«

Die alte Frau tat einen tiefen Atemzug.

»So, das ist Eure Meinung!« sagte sie. »Dann verhält's sich so, wie ich mir gedacht habe.«

Sie richtete sich hoch auf, so daß sie plötzlich unheimlich groß erschien, und fuhr dann fort:

»Ich will nicht fragen, wie's zugegangen ist. Für mich ist's am besten, wenn ich nichts weiß. Aber das eine ist sicher, Lars Gunnarsson soll meines Vaters Stock niemals in die Hand bekommen.«

Schon hatte sie sich zum Gehen gewandt, da blieb sie noch einmal stehen.

»Hört, Jan!« sagte sie. »Nehmt Ihr den Stock und die Mütze. Ich möcht die Sachen in guten und treuen Händen wissen. Ich wage nicht, sie wieder mit nach Hause zu nehmen, denn ich könnt gezwungen werden, sie Lars zu geben. Nehmt sie als Andenken an Euern alten Herrn, der es immer gut mit Euch gemeint hat.«

Hoch und stolz aufgerichtet ging die Bäuerin ihres Weges, und Jan stand da und hielt die Mütze und den Stock in der Hand.

Er konnte nicht recht begreifen, wie alles zugegangen war. Eine so große Ehre hätte er niemals erwarten können. Sollten diese Erbkleinode nun wirklich ihm gehören?

Allein mit einem Male fand er eine Erklärung. Dahinter steckte Klara Gulla. Die Bäuerin von Falla wußte, daß er nun bald sehr erhöht werden würde, und so erachtete sie nichts mehr zu gut für ihn. Ja, und wenn der ganze Stock von Silber und die Mütze von Gold gewesen wäre, dann hätten sie sich vielleicht für Klara Gullas Vater noch besser geschickt.


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