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Der siebzehnte August

Als Jan von Skrolycka zum erstenmal an einem siebzehnten August zum Geburtstag von Leutnant Liljecrona nach Lövdala gegangen war, hatte sich ja der Besuch für ihn nicht so ehrenvoll gestaltet, wie er es sich gewünscht hatte. Er war auch seither nicht ein einziges Mal mehr hingegangen, obgleich er von denen, die dort gewesen waren, gehört hatte, der Geburtstag auf Lövdala werde mit jedem Jahr fröhlicher und festlicher begangen.

Aber jetzt nach der Erhöhung des kleinen Mädchens war ja alles anders bei ihm geworden. Jetzt war er überzeugt, Leutnant Liljecrona würde sich sehr enttäuscht fühlen, wenn ein so großer Mann wie der Kaiser Johannes von Portugallien ihm nicht die Ehre erwiese, ihm zu seinem Geburtstag seine Glückwünsche darzubringen.

Er legte also den Kaiserstaat an und machte sich auf den Weg. Aber er hütete sich wohl, gleich unter den ersten Gästen zu sein. Für ihn, den Kaiser, schickte es sich am besten, sich erst zu zeigen, wenn die vielen Gäste es sich erst etwas gemütlich gemacht hatten und die Fröhlichkeit in Gang gekommen war.

Bei seinem ersten Besuch hatte sich Jan nicht weiter als in den Garten hinein und auf den Sandweg vor dem Hause gewagt, und er war auch nicht vorgetreten, um die Herrschaften zu begrüßen. Jetzt aber konnte keine Rede von einem so ungewandten Benehmen mehr sein. Jetzt steuerte er sofort geradenwegs auf die große Laube links von der Freitreppe zu, wo Leutnant Liljecrona inmitten einer ganzen Menge von vornehmen Gästen aus Svartsjö und auch aus andern Orten saß. Da trat er auf den Hausherrn zu, reichte ihm die Hand und wünschte ihm noch recht viele glückliche Jahre.

»Ach so, Jan, bist du auch unterwegs?« sagte Leutnant Liljecrona, und er schien ein wenig erstaunt zu sein. Eine solche Ehre hatte er wohl gar nicht erwartet, deshalb war ihm Wohl auch Jans neue Würde nicht gleich gegenwärtig, und er hatte ihm den alten Namen gegeben.

Aber ein so guter Herr wie der Leutnant Liljecrona meinte nichts Böses damit, das wußte Jan wohl, und deshalb wies er den Herrn auch mit aller Sanftmut zurecht.

»Wir wollen's mit dem Herrn Leutnant nicht so genau nehmen, weil ja heut der Geburtstag ist,« sagte er. »Im übrigen aber sollt es mit allem Recht Kaiser Johannes von Portugallien heißen.«

Jan hatte die Worte mit so sanfter Stimme gesagt, wie ihm nur möglich war; aber die andern Herren begannen trotzdem den Herrn Leutnant auszulachen, weil er sich so dumm benommen hatte, und diesen Verdruß hatte ihm Jan an seinem Geburtstag doch nicht bereiten wollen. Um die Sache rasch zu verwischen, wendete er sich deshalb schnell an die andern Herrn.

»Guten Tag, guten Tag, meine guten Herren Generale und Bischöfe und Landräte!« sagte er laut und lüftete dabei die Mütze mit dem Schwung eines Kaisers.

Seine Absicht war, danach in dem Kreise herumzugehen und allen die Hand zu schütteln, wie es sich gehört, wenn man in Gesellschaft kommt.

Neben Leutnant Liljecrona saß ein kleiner dicker Herr in weißer Weste mit goldgesticktem Rockkragen und einem Degen an der Seite. Als Jan zu diesem kam und ihn begrüßen wollte, reichte er Jan nicht die ganze Hand, sondern nur zwei Finger.

Er meinte vielleicht nichts Böses damit, aber seht, ein Mann wie der Kaiser Johannes von Portugallien wußte, daß man seiner Würde nichts vergeben darf.

»Du hast alle Ursache, mir die ganze Hand zu reichen, mein guter Bischof,« sagte Jan, aber immer noch sehr freundlich, denn er wollte ja die Freude dieses Festtages durch seine Gegenwart nicht stören.

Wer ist es zu glauben, der Mann rümpfte die Nase.

»Ich habe wohl gehört, daß es dir nicht paßte, als dich Liljecrona bei deinem Namen nannte,« sagte er. »Jetzt frag ich mich indes, wie du dich unterstehen kannst, du zu mir zu sagen? Siehst du diese hier nicht?« fragte er und deutete zugleich auf drei ärmliche kleine Ordensterne, die auf seinem Rock angebracht waren.

Wenn solche Worte fielen, dann war es Zeit für Jan, die Demut abzulegen. Darum rasch den Rock aufgerissen, daß die Weste deutlich sichtbar wurde, die vollbesetzt war mit großen, prächtigen, goldenen und silbernen Sternen!

Für gewöhnlich ging Jan mit fest zugeknöpftem Rock, denn seine Orden waren gar empfindlich, sie verloren leicht den Glanz und die Kanten stießen sich rasch ab. Die Leute wurden auch in der Gesellschaft mit so hohen Herren immer gleich verlegen, und Jan wollte sie nicht durch aufdringliches Zeigen seiner Pracht unnötig einschüchtern, jetzt aber mußten sie heraus ans Tageslicht.

»Sieh her, du!« sagte er. »La, la, la! So geht es dem, der prahlen will. Nichts als drei ärmliche Sterne, was will das heißen?«

Ha, da zeigte sich's! Jetzt bekam der Mann Respekt! Etwas trug wohl auch dazu bei, daß alle die andern Anwesenden, die wußten, wie es sich mit der Kaiserin und dem Kaisertum verhielt, über den kleinen dicken Mann in schallendes Gelächter ausbrachen und sich gar nicht wieder beruhigen wollten.

»Ei der tausend!« sagte der Mann, indem er aufstand und sich verneigte. »Ich sehe, ich habe doch wohl eine wirkliche Majestät vor mir. Und Eure Majestät verstehen es in der Tat, recht treffende Antworten zu geben.«

Ja, so geht es, wenn man weiß, wie man mit den Leuten umgehen muß. Keiner von den Herren war nachher glücklicher, daß er sich mit dem Regenten von Portugallien unterhalten durfte, als gerade dieser kleine Herr, der zuerst so hochmütig gewesen war und ihm nur zwei Finger hatte geben wollen, wenn doch er, der Kaiser, ihm die ganze Hand gereicht hatte.

Daß nachher von denen, die in der Laube saßen, nicht ein einziger mehr dem Kaiser Johannes von Portugallien den ihm gebührenden Gruß verweigerte, braucht nicht noch besonders erwähnt zu werden. Nachdem die erste Bestürzung und Verlegenheit überstanden war und die vornehmen Herren allmählich merkten, daß mit Johannes trotz seiner Kaiserwürde nicht schwer zu verkehren war, ging es wie bei allen andern Leuten auch, sie konnten nicht genug bekommen an seiner Erzählung von der Erhöhung des kleinen Mädchens und ihrer baldigen Wiederkehr in das Heimatdorf.

Schließlich entspann sich ein so freundschaftliches Verhältnis zwischen Johannes und den Herren, daß er ihnen sogar das Lied vorsang, das er im Walde gelernt hatte. Möglicherweise bewies er ihnen dadurch eine allzu große Herablassung; aber wenn sie sich über jedes Wort, das er sagte, so unbändig freuten, konnte er ihnen das Vergnügen, ihn auch singen zu hören, doch wirklich nicht verweigern.

Aber als er nun die Stimme erhob und sang, ei der tausend, was gab es da für eine Aufregung! Da hatte er nicht mehr nur die alten Herren als Zuhörer, sondern nun kamen auch die alten Gräfinnen und Generalinnen herbei, die drinnen in der guten Stube auf dem Kanapee gesessen und feines Backwerk geschmaust hatten. Ja und sogar die jungen Barone und die gnädigen Fräulein, die im Ballsaal getanzt hatten, kamen herbeigeeilt, um Johannes singen zu hören. Sie stellten sich in einem dichten Kreis um ihn her, und aller Augen waren auf ihn gerichtet, wie es sein soll, wenn man Kaiser ist.

Ein solches Lied hatten alle hier Anwesenden natürlich noch nie gehört, und sobald Jan den letzten Vers gesungen hatte, baten sie ihn, wieder vorne anzufangen. Er zierte sich zwar eine gute Weile, denn man darf ja nicht zu entgegenkommend sein, aber sie gaben nicht nach mit Bitten, bis er ihnen willfahrte. Und als er dann an den Kehrreim kam, da sangen sie alle mit, und wenn das »bum, bum!« erklang, dann stampften die jungen Barone auf den Boden, während die gnädigen Fräulein mit den Händen den Takt dazu schlugen.

Ja, das war ein merkwürdiges Lied! Als Jan es nun wieder von vorne zu singen anfing und so viele prächtig gekleidete Menschen mitsangen und so viele junge schöne Mädchen ihm freundliche Blicke zuwarfen und so viele lustige junge Herren ihm nach jedem Vers Bravo zuriefen, da fühlte sich Johannes von Portugallien so schwindlich, wie wenn er getanzt hätte. Es war ihm, als nehme ihn etwas in seine Arme und hebe ihn hoch in die Luft empor.

Er verlor das Bewußtsein nicht, sondern wußte die ganze Zeit, daß er noch auf der Erde stand, aber gleichzeitig fühlte er, wie wonnig das war, so hoch steigen zu können, daß man über alle andern hinaufkam. Auf der einen Seite wurde er von der Ehre emporgetragen, auf der andern von der Herrlichkeit. Diese beiden nahmen ihn auf starke Schwingen und setzten ihn auf einen Kaiserthron, der hoch droben zwischen den roten Abendwolken schwebte.

Nur eines fehlte noch, nur eines! Ach, wenn doch die große Kaiserin, die kleine Klara Gulla von Skrolycka, auch hier dabei gewesen wäre!

Der Kaiser hatte diesen Gedanken kaum ausgedacht, als der ganze Hof wie von einem roten Schein umflossen schien. Und als er näher hinsah, siehe! da ging der Schein von einem rotgekleideten jungen Mädchen aus, das eben aus dem Hause getreten war und nun auf der Freitreppe stand.

Sie war von hoher Gestalt und hatte üppiges blondes Haar. Er konnte ihr zwar nicht ins Gesicht sehen, weil sie halb abgewendet stand, aber es konnte niemand anders sein als Klara Gulla.

Jetzt begriff Jan, warum er sich an diesem Abend so glückselig gefühlt hatte. Es war eine Vorahnung gewesen, daß sie in der Nähe war.

Da brach er mitten im Gesang ab, schob die ihm im Wege stehenden Personen auf die Seite und lief aufs Wohnhaus zu.

Als er die unterste Stufe der Freitreppe erreichte, mußte er anhalten, sein Herz schlug so heftig, daß es ihm fast die Brust zersprengte.

Allmählich kehrten indes seine Kräfte zurück, und er konnte sich wieder bewegen. Langsam ging er aufwärts, Stufe um Stufe. Schließlich war er oben auf der Freitreppe, nun breitete er die Arme weit aus und flüsterte ihren Namen.

Da wendete sich das junge Mädchen um – – Und es war nicht Klara Gulla! Eine Fremde war's, die verwundert ihre Augen auf ihn richtete.

Jan brachte kein Wort über die Lippen, aber heiße Tränen liefen ihm die Wangen herab; er konnte sie nicht zurückhalten. Still stieg er die Treppe wieder hinunter, wendete sich fort von all der Freude und der Pracht und ging durch die Allee davon.

Die Leute riefen ihm nach. Sie wollten, er solle zurückkehren und ihnen vorsingen. Aber er hörte nicht auf sie. So rasch er konnte, eilte er in den Wald hinein, wo er sich mitsamt seinem Kummer verstecken konnte.


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