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Die Kaiserin

Nun war das kleine Mädchen von Skrolycka schon zwölf Monate von Hause abwesend; aber Jan hatte noch mit keinem einzigen Wort verraten, daß er Bescheid wußte von allem Großen, das ihr widerfahren war. Er hatte sich fest vorgenommen, zu schweigen, bis sie selbst zurückkommen würde. Wenn Klara Gulla gar nicht ahnte, daß er schon vorher etwas gewußt hatte, dann würde ihre Freude, die Eltern mit all ihrer Pracht und Herrlichkeit zu überraschen, um so größer sein.

Aber hier auf dieser Welt geschieht mehr Unerwartetes als Erwartetes. Und es kam ein Tag, an dem Jan genötigt war, sein Schweigen zu brechen und davon zu reden, wie sich die Sache verhielt. Es war nicht um seiner selbst willen, nein, er hätte seine zerrissenen Kleider gerne noch weiter getragen und die Leute glauben lassen, er sei nichts als ein armer Häusler. Um des kleinen Mädchens selbst willen war er genötigt, das große Geheimnis zu offenbaren.

Eines Tages war er wieder unten am Landungssteg gewesen und hatte auf seine Tochter gewartet. Denn seht, er hatte es sich nicht versagen können, jeden Tag hinunter an die Landungsstelle zu gehen, um seiner Tochter Heimkunft mit anzusehen, und das konnte sie ihm doch auch nicht übelnehmen.

Das Dampfboot hatte eben angelegt, und er hatte gesehen, daß Klara Gulla wieder nicht darauf war. Er hatte allerdings geglaubt, nun könnte sie doch wohl mit allem fertig sein und sich auf den Heimweg machen; allein es waren wohl neue Hindernisse aufgetaucht, wie schon den ganzen Sommer hindurch. Wer so viel zu überwachen hatte, der konnte auch nicht leicht abkommen.

Aber es war doch recht schade, daß sie heute nicht kam, denn es waren ungewöhnlich viele von ihren alten Bekannten an der Landungsstelle. Jan sah den Reichstagsabgeordneten Karl Karlsson von Storvik und August Där Nol von Prästrud. Der Schwiegersohn von Björn Hindriksson war auch da, und auch der alte Agrippa Prästberg hatte sich eingefunden. Agrippa hatte immer einen Groll gegen das kleine Mädchen gehegt, seit sie ihn damals mit der Brille zum Besten gehabt hatte.

Jan konnte nicht umhin, sich zu sagen, wie schön es gewesen wäre, wenn Klara Gulla heute, wo Prästberg sie hätte sehen können, in all ihrer Herrlichkeit auf dem Dampfschiff gestanden hätte.

Aber da sie nun einmal nicht darauf war, blieb ihm nichts anderes übrig als heimzugehen. Eben wollte er den Landungssteg verlassen, als sich ihm der alte böse Greppa in den Weg stellte.

»So, du läufst deiner Tochter auch heut nach?« sagte Greppa.

Es ist ja am besten, einem solchen Kerl wie Greppa kein Wort zu erwidern, und Jan wich einfach zur Seite, um an ihm vorbeizukommen.

»Na ja, ich verwundere mich nicht, daß du gerne mit einer so feinen Dame, wie sie eine geworden zu sein scheint, zusammenkommen möchtest,« sagte Greppa.

Doch nun kam August Där Nol auf Greppa losgestürzt und packte ihn am Arm, daß er schweigen solle.

Allein, Greppa wollte nicht nachgeben.

»Die ganze Gemeinde weiß es!« sagte er. »Da ist es allmählich Zeit, daß auch die Eltern erfahren, wie die Sachen stehen. Jan Andersson ist ein rechtschaffener Mann, obgleich er seine Tochter verzogen hat. Ich halt's nicht mehr aus, ihn eine Woche um die andere hier sitzen zu sehen und auf eine – – – zu warten.«

Hier nannte er das kleine Mädchen von Skrolycka mit einem so abscheulichen Wort, daß Jan, ihr Vater, es niemals wiederholt haben würde, nicht einmal in seinen Gedanken.

Aber nun, wo ihm Agrippa dieses Wort mit lauter Stimme ins Gesicht geschleudert hatte, so daß alle Leute auf dem Landungssteg gehört haben mußten, was er gesagt hatte, brach sich all das Bahn, was er im Laufe des Jahres in Schweigen begraben hatte. Jetzt konnte er es nicht länger verborgen halten. Das kleine Mädchen mußte ihm vergeben, daß er es verriet.

Ohne Zorn oder Rachsucht sagte er das, was er zu sagen hatte. Es zuckte um seinen Mund, und er machte eine Handbewegung, als ob es unter seiner Würde sei, auf so etwas zu antworten.

»Wenn die Kaiserin kommt – – –«

»Die Kaiserin, was für eine Kaiserin?« kicherte Greppa höhnisch, als ob er noch nie etwas von des kleinen Mädchens Erhöhung gehört hätte.

Allein Jan von Skrolycka ließ sich nicht stören, sondern sprach mit derselben Gelassenheit weiter wie vorher.

»Wenn die Kaiserin Klara von Portugallien mit ihrer goldenen Krone auf dem Kopf hier auf der Landungsbrücke steht und sieben Könige die Schleppe ihres Mantels tragen und sieben zahme Löwen zu ihren Füßen liegen und siebenundsiebzig Kriegsobersten mit gezogenen Schwertern vor ihr hergehen, dann wollen wir sehen, ob du ihr dann noch das ins Gesicht zu sagen wagst, Prästberg, was du heut zu mir gesagt hast.«

Als er das gesagt hatte, blieb er einen Augenblick stehen, um den Schrecken, der sich auf allen Gesichtern malte, auszukosten. Dann drehte er sich um und ging seines Weges, aber selbstverständlich ohne irgendwie hochmütig zu tun.

Sobald er den Rücken gedreht hatte, entstand Lärm und Geschrei auf dem Landungssteg. Er kümmerte sich zuerst nicht darum, aber dann hörte er einen dumpfen Fall, und da mußte er zurücksehen.

Der alte Greppa lag zu Boden geschlagen auf der Brücke, und August Där Nol stand mit geballten Fäusten über ihm.

»Du hast sehr gut gewußt, du Schuft, daß er's nicht ertragen würde, die Wahrheit zu hören!« rief August. »Du kannst kein Herz im Leibe haben.«

So viel vernahm Jan von Skrolycka. Aber aller Streit und alle Händel waren ihm in den Tod zuwider, und so ging er weiter, ohne sich ins Spiel zu mischen.

Aber merkwürdig, als er allen Menschen weit aus den Augen war, überkam ihn heftiges Weinen. Er wußte sich nicht zu erklären, was das zu bedeuten haben sollte. Es waren gewiß Freudentränen darüber, daß er das Geheimnis hatte offenbaren dürfen. Es war ihm, als sei das kleine Mädchen jetzt zu ihm zurückgekommen.


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