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Dritter Teil

Das Kaiserlied

Auf dem bewaldeten Hügel über Loby war noch ein Stück der alten Fahrstraße erhalten, die früher von allen Fuhrwerken hatte benützt werden müssen, jetzt aber eingegangen war, weil sie sich über die verschiedensten Hügel und Berggipfel hinauf und hinunter schlängelte, anstatt sich an den Hängen hinzuziehen. Das jetzt noch befahrbare Stück war indes so steil, daß es von den Fuhrleuten gar nicht mehr benützt wurde, dagegen arbeiteten sich die Fußgänger zuweilen noch diese Strecke hinauf, weil sie einen guten Richtweg durch den Wald bildete.

Die Straße war an dieser Stelle noch ebenso breit wie eine richtige staatliche Landstraße, auch war sie noch mit schönem gelbem Kies bestreut, ja, sie schien sogar jetzt noch schöner als früher, weil sie keine Wagengeleise aufwies und nicht von Staub und Schmutz starrte.

Dem Wegrand entlang blühten auch heute noch Feldblumen der verschiedensten Art, Kälberkropf und Kuckuckskraut und Butterblumen leuchteten in üppiger Fülle. Aber die Gräben waren ausgefüllt, und eine ganze Reihe Tannen hatte sich da angesiedelt. Es waren lauter junge Tannen, alle gleich hoch und von der Wurzel bis zum Gipfel dicht mit Zweigen gewachsen. Ganz nah aneinandergedrückt, wie die Hecke eines Herrenhofes, umsäumten sie die Straße, aber nicht einer von den Zweigen war dürr oder ohne Nadeln. Alle hatten hellgrüne Spitzen von jungen Trieben, und aus allen Zweigen sang und klang es, und es schwirrte und summte ringsum wie von einer Schar Hummeln, die an einem schönen Sommertag, wenn die helle Sonne vom blauen Himmel herunterscheint, ihren Baß anstimmen.

Als Jan von Skrolycka an jenem Sonntag von der Kirche nach Hause wanderte, nachdem er sich zum erstenmal in seinem Kaiserstaat dort gezeigt hatte, nahm er den Weg über die alte Fahrstraße.

Es war ein sonnenwarmer Tag, und als er bergauf stieg, drang die Musik aus den Tannen ganz laut an sein Ohr. Darüber verwunderte er sich sehr; er meinte, die Tannen hätten noch niemals in dieser Weise gesungen, und dann kam ihm der Gedanke, er müßte doch eigentlich herausbringen, warum sie gerade heute so laut waren.

Da er keine Eile hatte, ließ er sich mitten unter ihnen auf den schönen Kiesweg nieder, legte den Stock neben sich, nahm die Mütze vom Kopf, um sich den Schweiß von der Stirne zu wischen, und blieb dann mit gefalteten Händen ganz still und ruhig liegen, um zu lauschen.

Das Wetter war vollkommen klar, kein Lüftchen rührte sich, das alle die kleinen Instrumente in Bewegung gesetzt hätte. Nein, man konnte sich nichts anderes denken, als daß die Tannen ganz von selbst hier musizierten, um ihrer Freude Ausdruck zu verleihen, weil sie so jungfrisch waren, weil sie hier an der verlassenen Landstraße so schön und friedlich wachsen durften und weil sie noch so viele Jahre vor sich hatten, ehe es einem Menschen einfallen würde, sie zu fällen.

Aber selbst wenn es sich so verhielt, so war das immer noch keine Erklärung, warum die Bäume gerade an diesem Tag so laut musizierten.

Über alle diese guten Gaben konnten sie sich ja an jedem schönen Sommertag, den Gott gab, freuen, darum brauchten sie nicht gerade heute ein besonderes Konzert zu geben.

Jan saß ganz still auf der Landstraße und lauschte.

Wie schön war dieses Tannenrauschen, obgleich es immer in ein und demselben Ton weiterging, auch gar keine Pausen machte und keine Spur von Takt und Melodie zu erkennen war!

Ja, wonnig und gut war es hier auf dem Waldhügel, wahrlich, es war nicht verwunderlich, daß die Bäume sich froh und glücklich fühlten! Aber warum konnten denn die Tannen nicht besser musizieren, als sie es taten? Das war sehr sonderbar! Jan betrachtete ihre kleinen Zweige: jede ihrer schönen grünen Nadeln war wohlgeformt und saß an ihrem richtigen Platz. Er sog den harzigen Duft ein, der ihnen entströmte. Die ganze Luft war mit Wohlgeruch erfüllt. Kein Kräutlein auf der Wiese, kein Blümlein am Haag war ohne würzigen Duft. Jan betrachtete aufmerksam die halb ausgewachsenen Tannenzapfen, deren Schuppen gar so kunstgerecht geordnet übereinanderlagen, um den Samen zu beschützen.

Ja, diese Bäume, die sich so gut auf ihre Sache verstanden, sie mußten doch eigentlich auch so musizieren können, daß man verstehen konnte, was sie damit wollten!

Aber es waren nur immer und immer wieder die gleichen Töne, immer dieselben. Jan wurde schläfrig, während er darauf lauschte.

Und er dachte: ›Es wäre vielleicht gar nicht so dumm, wenn ich mich hier auf den schönen reinen Kiesweg ausstreckte und mir ein kleines Schläfchen gönnte!‹

Aber wart einmal! Was war denn das? Gerade als er den Kopf auf die Erde legte und eben die Augen geschlossen hatte, war ihm, als hörte er etwas anderes. Jetzt kam plötzlich Takt und Melodie in die Musik.

Aha, alles bisher war nur ein Vorspiel gewesen, wie beim Orgelspiel in der Kirche, ehe das Lied beginnt! Und siehe, jetzt kamen auch Worte dazu, Worte, die Jan verstehen konnte.

Ja, ja, das war es, was er die ganze Zeit über gefühlt hatte, obgleich er sich's nicht einmal in Gedanken hätte zugestehen wollen. Die Bäume wußten alles, was geschehen war, ja, auch sie wußten es! Seinetwegen, einzig und allein seinetwegen hatten sie schon gleich, als er hierherkam, so laut musiziert.

Und jetzt sangen sie auch um ihn her; er konnte sich nicht täuschen. Jetzt, wo sie glaubten, er schlafe, sangen sie. Er sollte vielleicht nicht hören, wie sie ihn feierten.

Ein solches Lied, ein solcher Gesang! Jan lag mit geschlossenen Augen ganz ruhig da, aber er hörte darum um so besser. Kein noch so leiser Ton entging ihm.

Als die ersten Verse zu Ende waren, kam ein Zwischenspiel ohne Worte, und gerade das war das Herrlichste.

Ja, das war Musik! Nicht nur die kleinen jungen Bäume an der alten Fahrstraße, sondern der ganze Wald spielte mit. Orgeln, Trommeln, Trompeten erklangen. Dazu Drosselflöten und Buchfinkenpfeifen, plätschernde Bäche und lockende Nixen, blaue Glockenblumen und dröhnend hackende Spechte, alles mischte sich darein.

Noch nie hatte Jan etwas so Großartiges gehört. Und noch nie in seinem Leben hatte er einer Musik so gelauscht. Sie setzte sich in seinen Ohren so fest, daß er sie nie wieder vergessen konnte.

Als das Lied zu Ende und der Wald wieder still geworden war, fuhr Jan wie aus einem Traum auf. Und dann sang er sofort das Lied, dieses Kaiserlied des Waldes, von Anfang bis zu Ende durch, damit es ihm ja nicht wieder aus dem Gedächtnis entschwände.

Dem Vater der Kaiserin
Ist es gar froh zu Sinn.

Hier kam der Refrain; den hatte er zwar nicht ordentlich auffassen können, aber er sang ihn trotzdem, ungefähr so, wie er ihn zu hören vermeint hatte.

Die Zeitung hat's gesagt,
Östreich und Portugal,
Metz, Japan und sie all,
Bum, bum, bum rataplan,
Bum, bum!

Goldkronen sind seine Mützen,
Goldsäbel tragen die Schützen.
Die Zeitung hat's gesagt,
Östreich und Portugal,
Metz, Japan und sie all,
Bum, bum, bum rataplan,
Bum, bum!

Er mag nicht Rüben beißen,
Nur goldne Äpfel speisen.
Die Zeitung hat's gesagt,
Östreich und Portugal,
Metz, Japan und sie all,
Bum, bum, bum rataplan,
Bum, bum!

Wohin er auch mag gehen,
Gebückt Hofdamen stehen.
Die Zeitung hat's gesagt,
Östreich und Portugal,
Metz, Japan und sie all,
Bum, bum, bum rataplan,
Bum, bum!

Geht er im Wald spazieren,
Die Blätter jubilieren.
Die Zeitung hat's gesagt,
Östreich und Portugal,
Metz, Japan und sie all,
Bum, bum, bum rataplan,
Bum, bum!

Gerade dieses »bum bum« hatte großartiger geklungen als alles andere. Bei jedem Bum stieß er den Stock hart auf den Boden und ließ seine Stimme so tief und laut erschallen, wie nur möglich.

Er sang und sang, daß es im Walde widerhallte. Dieses Lied war geradezu wunderbar! Er wurde es nicht müde, es ein Mal ums andere von neuem anzustimmen.

Aber es war ja auch auf ganz ungewöhnliche Weise entstanden, und einen Beweis dafür, wie ganz ausgezeichnet dieses Lied war, sah Jan darin, daß dies das einzige Mal in seinem Leben war, wo es ihm geglückt war, eine Melodie im Ohr festzuhalten.


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