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Sterne

Als das kleine Mädchen von Skrolycka nahezu acht Monate von Hause weg war, kam eines schönen Tages die »närrische Ingeborg« auf die Scheune in Falla zugestapft, in der Jan beim Dreschen beschäftigt war.

Die närrische Ingeborg war Jans Geschwisterkind, aber er sah sie nur selten, weil sie sich vor Katrine fürchtete. Sicherlich suchte sie ihn jetzt mitten in der Arbeitszeit hier in der Scheune auf, um nicht mit Katrine zusammentreffen zu müssen.

Jan war nicht erfreut, als er Ingeborg sah. Sie war zwar nicht geradezu verrückt, aber sie war auch nicht ganz zurechnungsfähig, und sie hatte ein entsetzliches Mundwerk. Deshalb schwang Jan seinen Dreschflegel weiter wie vorher und tat, als sähe er sie nicht.

»Hör auf mit deinem Dreschen!« sagte sie. »Dann will ich dir erzählen, was mir heute nacht von dir geträumt hat.«

»Komm lieber ein andermal wieder, Ingeborg,« erwiderte Jan. »Sobald Lars Gunnarsson hört, daß ich nicht mehr dresche, kommt er her und sieht nach, was los sei.«

»Ich will ganz schnell machen, ganz schnell!« sagte die närrische Ingeborg. »Du weißt doch noch, daß ich zu Hause von uns Schwestern die gescheiteste gewesen bin. Ja, die andern waren in jeder Beziehung nichts nutz, mit ihnen kann man wahrhaftig nicht prahlen.«

»Du wolltest mir ja deinen Traum erzählen,« erinnerte sie Jan.

»Gleich, gleich, nur keine Angst! Ich verstehe, ich verstehe! Strenger neuer Herr in Falla, strenger neuer Herr. Aber hab' nur meinetwegen keine Angst. Meinetwegen wirst du keine Schelte bekommen. Es hat keine Not, wenn man's mit einer zu tun hat, die so klug ist wie ich.«

Jan hätte gern gehört, was sie von ihm geträumt haben könnte, denn so sicher er sich auch in seinen großen Hoffnungen fühlte, so schaute er sich doch nach allen Seiten nach Bestätigung um. Aber nun war die närrische Ingeborg schon wieder auf dem Pfade ihrer eigenen Gedanken, und da war sie nicht leicht aufzuhalten.

Sie trat dicht auf Jan zu, beugte bei jedem Satz den Oberkörper vor, zwinkerte mit den Augen, schüttelte den Kopf und schwatzte, schwatzte; wie ein Wasserfall stürzten ihr die Worte aus dem Munde.

»Nur keine Angst, Jan, nur keine Angst!« sagte sie. »Würd ich hier stehen bleiben und mit einem, der in Falla dreschen soll, schwatzen, wenn ich nicht wüßte, daß der Bauer in den Wald gegangen ist und die Bäuerin in die Stadt, um Butter zu verkaufen? Habt sie allezeit vor Augen, steht im Katechismus. Das ist mein Spruch. Ich hüte mich zu kommen, wenn sie mich sehen könnten.«

»Geh aus dem Weg, Ingeborg!« mahnte Jan. »Sonst könnt ich dich mit dem Dreschflegel treffen.«

»Denk nur daran, wie ihr Jungen mich früher geschlagen habt,« sagte sie. »Und Schläge bekomme ich auch heutigen Tages noch. Aber in der Christenlehre, wenn man abgefragt wurde, da weiß ich eine, die antworten konnte. ›Mit Ingeborg kann's niemand aufnehmen,‹ sagt der Propst. ›Sie kann ihre Aufgabe.‹ – O, ich bin sehr gut Freund mit den kleinen Fräulein von Lövdala. Ich sag ihnen den Katechismus her, die Fragen und die Antworten, von Anfang bis zu Ende. Denk mal, ein so gutes Gedächtnis hab' ich! Ich kann die Bibel und das Gesangbuch und alle Predigten des Propstes auswendig. Soll ich dir etwas aufsagen oder soll ich dir lieber einen Liedervers vorsingen?«

Jetzt gab Jan keine Antwort mehr; er fing wieder an zu dreschen.

Sie aber ging deshalb noch lange nicht. Sie setzte sich auf ein Strohbündel, sang erst ein Gesangbuchlied von ungefähr zehn Versen und sagte dann einige Kapitel aus der Bibel auf. Schließlich ging sie ohne Abschied ihres Weges und blieb eine lange Weile weg. Aber plötzlich stand sie wieder unter der Scheunentür.

»Still jetzt, still jetzt!« sagte sie. »Jetzt darf nur noch das Nötigste gesagt werden. Aber still, nur still!«

Sie streckte dabei den Zeigefinger in die Höhe, hielt den Oberkörper ganz ruhig und starrte mit weitgeöffneten Augen geradeaus.

»Keine andern Gedanken, keine andern Gedanken!« fuhr sie fort. »Wir bleiben bei der Sache. Hör jetzt auf mit dem Dreschen!«

Sie wartete so lange, bis Jan ihr gehorchte.

»Du bist heut nacht im Traum zu mir gekommen, und ich hab gesagt: ›Bist du das, Jan aus Askedalarna?‹ – ›Nein,‹ hast du gesagt, ›ich heiß jetzt Jan aus dem Sehnsuchtstal.‹ – ›So, dann sei mir willkommen,‹ hab ich gesagt. ›Dort hab ich mein Leben lang gewohnt‹.«

Damit verschwand die närrische Ingeborg von der Scheunentür. Jan verwunderte sich über ihre Worte. Er begann nicht gleich wieder mit seiner Arbeit, sondern stand da und grübelte.

Aber nach wenigen Augenblicken stand Ingeborg wieder da.

»Jetzt weiß ich wieder, weshalb ich hergekommen bin. Ich will dir meine Sterne zeigen.«

Sie hatte ein Körbchen am Arm hängen, das in ein Tuch eingeknotet war. Während sie sich mühte, den Knoten aufzubinden, schwatzte sie unaufhörlich.

»Das da sind richtige Sterne,« sagte sie. »Wenn jemand im Sehnsuchtstal wohnt, da begnügt er sich nicht mehr mit irdischen Dingen, sondern er muß hinaus und nach Sternen suchen. Er kann nicht anders. Du mußt jetzt auch hinaus und Sterne suchen, ja, du auch.«

»Ach nein, Ingeborg,« versetzte Jan. »Weißt du, ich halt mich mehr an das, was auf der Erde ist.«

»Still, still!« rief die närrische Ingeborg. »Meinst du, ich sei so verrückt, daß ich nach den Sternen strebe, die am Himmel stehen? Ich suche nur nach denen, die heruntergefallen sind. Ich bin doch wahrhaftig ein vernünftiger Mensch!«

Sie öffnete ihren Korb, und Jan sah, daß er mit Sternen aller Art gefüllt war, die sie wohl auf den Herrenhöfen zusammengebettelt hatte. Es waren Sterne von Zinn und Papier und Glas, wie sie zum Schmuck der Weihnachtsbäume und allerlei Zuckerwerk verwendet werden.

»Das sind richtige Sterne,« sagte sie. »Die sind vom Himmel herniedergefallen. Du bist der einzige, der sie hat sehen dürfen, und du sollst auch einige davon bekommen, wenn du sie brauchst.«

»Ich dank dir, Ingeborg,« erwiderte Jan. »Wenn die Zeit kommt, wo ich Sterne nötig habe, und das kann bald sein, so werd ich wohl nicht dich darum zu bitten brauchen.«

Jetzt ging sie endlich wirklich, aber es währte eine Weile, bis Jan wieder zu dreschen anhub.

Jawohl, auch das war ein Fingerzeig. Nicht, als ob solch eine arme Törin wie Ingeborg etwas von Klara Gullas Tun und Treiben hätte wissen können; aber sie fühlte es in der Luft, wenn etwas Merkwürdiges geschehen sollte. Sie sah und hörte Dinge, von denen kluge Leute keine Ahnung hatten.


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