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Der neue Herr

Als die Leute in Skrolycka an demselben Sonntag, an dem der Propst die schönen Worte zu Klara Gulla gesagt hatte, von der Kirche heimkamen, saßen zwei Männer dicht bei der Pforte auf der Umzäunung und ließen die Beine herunterbaumeln.

Der eine war Lars Gunnarsson, der nach Eriks Tod das Hausherrnrecht auf Falla angetreten hatte, der andere war ein Ladengehilfe von einem Geschäft in Broby, wo Katrine ihren Zucker und Kaffee zu kaufen pflegte.

Die beiden sahen ganz gleichgültig und fremd drein, als sie da auf dem Zaun saßen, und so konnte Jan sich nicht recht denken, daß sie etwas von ihm wollten. Er zog deshalb nur die Mütze und ging, ohne etwas zu sagen, an ihnen vorbei in sein Haus hinein.

Die beiden blieben auf demselben Platz sitzen, aber Jan wünschte sehr, sie möchten bald fortgehen und sich anderswo niederlassen, damit er sie nicht mehr zu sehen brauchte. Er hatte das Gefühl, daß Lars Gunnarsson seit jenem Unglückstage im Walde einen Groll gegen ihn hegte. Schon mehrere Male hatte er Andeutungen hören müssen, wie: Jan werde alt und könne für seinen jetzigen Taglohn wohl lange nicht mehr genügend leisten.

Katrine stellte das Mittagessen auf den Tisch, und die Mahlzeit war bald eingenommen. Lars Gunnarsson und der Ladengehilfe aber saßen noch immer in munterem Gespräch draußen auf dem Zaun. Jan kamen sie wie ein paar Habichte vor; sie warteten ihre günstige Zeit ab und machten sich indes über die kleinen Vögel lustig, die glaubten, sie würden ihnen entgehen.

Jetzt stiegen sie vom Zaun herunter, öffneten die Gittertür und gingen auf das Haus zu. Sie hatten also wirklich etwas mit Jan vor.

Jan hatte das deutliche Gefühl, daß sie Böses gegen ihn im Schilde führten, und er ließ rasch sein Auge im Zimmer umherlaufen, wie um einen Winkel zu suchen, wo er sich verstecken könnte. Aber da fiel sein Blick auf Klara Gulla, die am Fenster saß und auch hinaussah, und da kehrte sein Mut zurück.

Wovor sollte er sich fürchten, wenn er eine solche Tochter hatte? Sie war klug und entschlossen und fürchtete sich vor nichts. Und sie hatte Glück in allem, was sie unternahm. Lars Gunnarsson würde schon sehen, im Handumdrehen würde er nicht mit ihr fertig werden.

Als Lars und der Ladengehilfe jetzt eintraten, sahen sie noch ebenso gleichgültig und fremd aus wie vorher. Lars sagte, sie hätten nun so lange auf dem Zaun gesessen und sich das hübsche Häuschen betrachtet, daß sie Lust bekommen hätten, es auch ein wenig von innen zu besehen.

Sie lobten alles, was in der Stube war, und Lars sagte, Jan und Katrine müßten Erik in Falka sehr dankbar sein, denn im Grunde sei er es ja gewesen, der für den Hausbau gesorgt und ihnen zum Heiraten behilflich gewesen sei.

»Dabei fällt mir etwas ein,« sagte er gleich darauf, aber er wendete dabei die Augen weg, daß er weder Jan noch Katrine ansehen mußte. »Erik in Falla ist doch wohl verständig genug gewesen, euch eine schriftliche Abmachung auszustellen, daß der Grund und Boden, auf dem das Haus steht, euch als Eigentum gehören soll?«

Weder Jan noch Katrine erwiderten ein Wort. Sie verstanden ja gleich, nun war Lars mit dem herausgerückt, was er ihnen mitteilen wollte. Da war es am besten, sie ließen ihn erst mit aller Deutlichkeit seine Sache erklären.

»Ich habe zwar schon gehört, es sei nichts Schriftliches darüber vorhanden,« sagte Lars; »aber so schlimm wird es wohl nicht stehen, das kann ich fast nicht glauben. Denn dann fällt ja möglicherweise das ganze Anwesen dem zu, dem das Grundstück gehört.«

Jan sagte noch immer nichts; aber Katrine konnte nicht länger schweigen, sie war zu aufgebracht.

»Erik in Falla hat uns dieses Grundstück, auf dem das Haus steht, geschenkt, und niemand kann das Recht haben, es uns zu nehmen,« sagte sie.

Ja, das sei ja auch gar nicht die Absicht, versetzte der neue Hofbesitzer mit versöhnlicher Stimme. Er wollte ja nur, daß alles in Ordnung komme. Das sei das einzige, was er wolle. Wenn Jan ihm zum Oktoberziel hundert Reichstaler nach deutschem Geld ungefähr 112 Mark. Anm. d. Übers. geben würde –

»Hundert Reichstaler!« brach Katrine los, und ihre Stimme klang beinahe wie ein Schrei.

Lars sagte nichts weiter. Er warf nur den Kopf zurück und kniff den Mund zusammen.

»Aber du sagst ja kein Wort, Jan!« rief Katrine. »Hörst du denn nicht, daß Lars hundert Reichstaler von uns haben will?«

»Es fällt vielleicht Jan nicht so ganz leicht, mit hundert Reichstalern herauszurücken,« sagte Lars Gunnarsson. »Aber ich muß doch klarstellen, was mein Eigentum ist.«

»Und deshalb wollt Ihr uns unser Haus stehlen?« schrie Katrine.

»Nein, das will ich gewiß nicht. Das Haus gehört euch, ich will nur das Grundstück.«

»Aha, und nun soll das Haus auch von eurem Grundstück fort?« versetzte Katrine.

»Es lohnt sich vielleicht gar nicht die Mühe, etwas fortzuschaffen, was ihr schließlich doch nicht behalten könnt,« versetzte Lars.

»Ach so, Ihr wollt wohl Eure Pratzen auch noch auf das Haus legen?« meinte Katrine.

Lars Gunnarsson machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. Gott bewahre, er wolle nicht Beschlag auf das Haus legen, ganz und gar nicht, das habe er ja schon gesagt; aber da habe nun der Handelsmann von Broby seinen Ladengehilfen mit einigen Rechnungen geschickt, die bis jetzt noch nicht beglichen worden seien.

Darauf zog der Ladengehilfe die Rechnungen heraus. Katrine schob sie Klara Gulla hin und sagte, sie solle zusammenrechnen, wieviel sie ausmachten.

Und siehe, es waren nicht weniger als hundert Reichstaler, die sie schuldig waren! Als Katrine das hörte, wurde sie todesblaß. Dann sagte sie zu Lars Gunnarsson:

»Ich sehe, es ist Eure Absicht, uns von Haus und Hof zu jagen.«

»Ach nein,« erwiderte Lars, »das will ich durchaus nicht, wenn ihr nur bezahlt, was ihr schuldig seid–«

»Hört, Lars, Ihr solltet doch auch an Eure eigenen Eltern denken,« sagte nun Katrine. »Sie hatten es auch nicht zum besten, ehe Ihr der Schwiegersohn eines Hofgutsbesitzers wurdet.«

Die ganze Zeit über hatte Katrine das Wort geführt. Jan hatte noch gar nichts gesagt. Er saß still da und sah nur immer Klara Gulla an, sah sie an und wartete. Ihm war vollständig klar und deutlich, all dies war ihretwegen so eingerichtet worden, damit sie Gelegenheit bekäme, zu zeigen, was sie leisten konnte.

»Wenn man dem Armen sein Haus nimmt, dann ist es zu Ende mit ihm!« jammerte Katrine.

»Ich will euch ja euer Haus gar nicht nehmen,« verteidigte sich Lars Gunnarsson wieder. »Ich will nur die Sache m Ordnung gebracht haben.«

Aber Katrine hörte nicht auf ihn, sondern jammerte wieder:

»Solange der Arme ein Haus hat, fühlt er sich ebensogut wie alle andern. Wer aber kein eigenes Heim hat, fühlt sich nicht mehr als rechter Mensch.«

Jan dachte, Katrine habe in allem, was sie sagte, vollkommen recht. Das Haus war aus alten Balken gebaut, und es war im Winter sehr kalt, es neigte sich auch auf dem schlechten Untergrund auf die Seite, und eng und klein war es auch, und doch war es ihnen, als sei es aus mit ihnen, wenn sie es verlören. Jan glaubte indes nicht einen Augenblick, daß es ihnen so schlimm gehen würde. Da saß ja Klara Gulla, und jetzt sah er auch in ihren Augen einen hellen Strahl aufleuchten. Im nächsten Augenblick würde sie sicher ein Wort sagen oder etwas tun, wodurch die beiden Plagegeister vertrieben wurden.

»Ja, ihr müßt wohl Zeit haben, euch die Sache zu überlegen,« sagte der neue Hofbesitzer. »Aber vergeßt nicht, entweder ihr zieht am ersten Oktober aus, oder der Handelsmann erhält seine volle Bezahlung. Und ich bekomme meine hundert Reichstaler für das Grundstück.«

Katrine rang ihre alten abgearbeiteten Hände. Sie war ganz außer sich und redete mit sich selbst, ohne sich darum zu kümmern, wer ihr zuhörte.

»Wie soll ich noch in die Kirche gehen können und wie soll ich es noch wagen, mich unter den Leuten zu zeigen, wenn es mir so schlecht geht, daß ich nicht einmal mehr ein eigenes Dach über dem Kopf habe?«

Jan dachte an anderes. Er dachte an alle die schönen Erinnerungen, die mit dem Häuschen zusammenhingen. Hier auf dieser Stelle hatte ihm damals die Hebamme das Kind in die Arme gelegt. Dort unter der Tür hatte er gestanden, als die Sonne durch die Wolken brach und damit dem kleinen Mädchen ihren Namen gab. Das Häuschen war eins mit ihm und Klara Gulla und Katrine, sie konnten es nicht aufgeben.

Jetzt ballte Klara Gulla ihre eine Hand zur Faust, er sah es deutlich. O, sie würde ihnen gewiß bald zu Hilfe kommen!

Lars Gunnarsson und der Ladengehilfe standen auf und gingen nach der Tür. Dann sagten sie guten Tag, und damit verließen sie das Haus. Aber keines von denen, die in der Stube zurückblieben, erwiderte ihren Gruß.

Sobald die beiden gegangen waren, warf das junge Mädchen mit einer stolzen Bewegung den Kopf zurück, stand von ihrem Stuhl auf und sagte:

»Wie, wenn ihr mich in die Welt hinausließet!«

Da hörte Katrine auf, vor sich hin zu reden und die Hände zu ringen. Die Worte hatten eine schwache Hoffnung in ihr erweckt.

»Es wird wohl nicht ganz unmöglich sein, bis zum ersten Oktober zweihundert Reichstaler zu verdienen,« sagte Klara Gulla. »Wenn ihr mich nur nach Stockholm gehen lasset und ich dort in einen Dienst komme, so soll das Haus hier sicherlich euer eigen bleiben, das verspreche ich euch.«

Als Jan Andersson diese Worte hörte, erblaßte er, und sein Kopf sank zurück, wie wenn er das Bewußtsein verlieren würde.

Wie schön war das von dem kleinen Mädchen! Ja, darauf hatte er die ganze Zeit über gewartet; aber wie, wie sollte er weiterleben können, wenn seine Klara Gulla von ihm ging?


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