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Das Schulexamen

Als das kleine Mädchen sechs Jahre alt war, ging Jan in Skrolycka an einem Werktag nach dem Östenbyer Schulhaus, um das Schulexamen mitanzuhören.

Es war das erste Schulhaus im Kirchspiel, und alle Leute freuten sich darüber, daß sie nun ein Schulhaus hatten. Früher war dem Küster Svartling nichts anderes übriggeblieben, als mit seinen Schülern von einem Hof zum andern zu wandern.

Bis zum Jahr 1860, wo das neue Schulhaus fertig war, hatte er alle vierzehn Tage die Schulstube wechseln müssen, und oft, oft hatte er mit seinen kleinen Schulkindern in einer Stube sitzen müssen, wo die Hausmutter das Essen kochte oder der Hausvater an der Hobelbank stand und schreinerte, während daneben alte Leute den ganzen Tag im Bett lagen und die Hühner ihre kleinen Ställe unter der Bank an der Wand hatten.

Es war allerdings trotzdem gut mit dem Unterricht gegangen, denn der Küster Svartling war ein Mann, der die Ordnung bei jedem Wetter aufrechterhalten konnte; aber es mußte doch ein herrliches Gefühl gewesen sein, als er in einem Zimmer unterrichten durfte, das zu nichts anderem verwendet werden sollte als zum Schulzimmer. Hier sollten die Wände nicht von Bettstellen und Geschirrschränken und Handwerkszeug eingenommen werden. Hier sollten keine verdunkelnden Webstühle vor den Fenstern, wo das beste Licht war, aufgestellt werden, und hier durfte keine Nachbarsfrau mitten in der Schulzeit hereinkommen, um einen Schwatz zu machen und Kaffee zu trinken.

Nein, hier konnte er die Wände mit Bildern aus der biblischen Geschichte und mit Tiertafeln und den Bildnissen der schwedischen Könige behängen. Hier hatten die Kinder richtige niedere Schulbänke und Tische und brauchten nicht mehr verzwickt hinter hohen Tischen zu sitzen, wo sie zuweilen mit der Nase kaum über die Tischplatte gereicht hatten. Und hier hatte Küster Svartling einen eigenen Katheder mit Regal und Fächern, wo er seine großen Zeugnisbücher unterbringen konnte. Und wenn er nun während der Unterrichtsstunden hinter diesem Katheder saß, sah er würdiger aus als je vorher in seinem Leben, in dem er oftmals seine Stunden hatte auf dem Herde sitzend halten müssen, mit einem starken Feuer im Rücken und die auf dem Boden hockende Schar seiner Schulkinder vor sich. Hier hatte er einen festen Platz für die schwarze Tafel und Nägel daran für Wandkarten und Tabellen, die er nun nicht mehr gegen eine Schranktür oder das Kanapee zu lehnen brauchte, wie er es seither hatte machen müssen.

Nun wußte er stets, wo er die Gänsekiele hatte, und konnte die Kinder lehren, gerade Striche und Bogen zu machen; nun würde sicherlich die ganze Gemeinde allmählich so schön schreiben lernen wie er selber. Und jetzt war es auch möglich, den Kindern beizubringen, daß sie alle miteinander aufstanden und in Reih und Glied wie die Soldaten das Schulzimmer verließen.

Aber so vergnügt auch alle über das Schulhaus waren, so fühlten sich doch die Eltern den Kindern gegenüber ein klein wenig fremd, seit diese angefangen hatten, dort zur Schule zu gehen. Es war, als seien die Kinder in einen neuen und vornehmen Zustand eingegangen, zu dem die Alten keinen Zutritt hatten. Aber es war ja eigentlich Unrecht, dies so zu empfinden. Es war ja doch eine große Freude, daß die Kinder so viel Besseres zu genießen bekamen, als ihnen selbst zu teil geworden war.

An jenem Tage, wo Jan von Skrolycka zum Schulexamen ging, wanderte er den ganzen Weg Hand in Hand mit der kleinen Klara Gulla, wie sie immer taten, und sie unterhielten sich als gute Freunde und Kameraden.

Aber als Klara Gulla in die Nähe des Schulhauses kam und andere Kinder erblickte, die sich vor der Tür versammelt hatten, zog sie ihre Hand aus der des Vaters und ging auf die andere Seite des Weges hinüber. Und sobald sie an der Schule angekommen waren, ließ sie ihren Vater vollständig stehen und gesellte sich zu einem Häuflein Kinder.

Während des Examens saß Jan in Skrolycka auf einem Stuhl in nächster Nähe des Katheders zwischen den vornehmen Herrschaften und den Mitgliedern der Schulbehörde. Jan war genötigt, da Platz zu nehmen, denn sonst hatte er von Klara Gulla, die unter den Kleinsten auf der ersten Bank rechts vom Katheder saß, nichts als den Nacken sehen können. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte er sich um alle Welt nicht so hoch hinaufgesetzt; aber wer der Vater einer solchen Tochter wie Klara Gulla war, brauchte sich nicht geringer zu dünken als irgend jemand anderes.

Klara Gulla mußte von dem Platze aus, wo sie saß, ihren Vater sehen, es war nicht anders möglich; aber sie schenkte ihm keinen Blick, es war, als sei er für sie gar nicht vorhanden.

Dagegen hingen Klara Gullas Blicke an dem Lehrer. Er war jetzt eben dabei, die großen Kinder, die links vom Katheder saßen, abzufragen. Sie mußten lesen und auf der Landkarte Länder und Städte zeigen und an der Wandtafel rechnen, und der Lehrer hatte kaum Zeit, einmal zu den Kleinen auf der rechten Seite hinüberzuschielen. Es hätte also sicherlich nicht viel auf sich gehabt, wenn Klara Gulla einmal einen Seitenblick auf ihren Vater geworfen hätte; aber sie drehte auch nicht einmal den Kopf nach seiner Seite.

Ein kleiner Trost war es dem Vater, daß die andern Kinder alle es genau ebenso machten. Alle saßen da und hefteten ihre hellen Äuglein auf den Lehrer. Und die kleinen Krabben taten, als ob sie es verstünden, wenn er einen kleinen Witz machte, denn dann stießen sie einander an und lachten.

Es war eine rechte Überraschung für die Eltern, die Kinder so artig zu sehen, wie sie sich während des Examens betrugen. Aber Küster Svartling war ein merkwürdiger Mann. Er konnte sie zu allem bringen, was er wollte.

Jan in Skrolycka seinerseits fing an, verlegen und ängstlich zu werden. Er wußte nicht mehr recht, ob es sein eigenes Töchterlein war, das dort saß, oder das Kind von jemand anderem. Und schließlich machte er sich von seinem Platz zwischen den Schulräten davon und setzte sich mehr in die Nähe der Türe.

Endlich aber waren die Großen hinreichend geprüft, und nun kam die Reihe an die Kleinen, die kaum erst lesen gelernt hatten. Über große Kenntnisse verfügten sie noch nicht, aber einige Fragen sollten dennoch auch sie beantworten. Und so wurden sie über die Schöpfungsgeschichte abgefragt.

Erst mußten sie die Frage beantworten, wer die Welt erschaffen habe, und das brachten sie sehr gut fertig. Aber dann traf es sich so unglücklich, daß der Lehrer fragte, ob sie noch einen andern Namen für »Gott« wüßten.

Da blieben alle die kleinen Abcschützen stumm. Sie bekamen rote Wangen und runzelten die Stirnen, aber es war ihnen unmöglich, sich eine Antwort auf eine solche stumpfsinnige Frage auszudenken.

In den Bänken, wo die Großen saßen, begann ein Wedeln mit den Händen und ein Flüstern und Kichern. Aber die acht Anfängerchen kniffen den Mund zusammen und wußten kein Wort zu sagen, Klara Gulla nicht und auch keines von den andern.

»Es gibt ein Gebet, das wir alle Tage beten,« sagte der Lehrer. »Wie nennen wir da Gott?«

Jetzt kam Klara Gulla darauf! Sie begriff, der Lehrer wollte die Antwort haben, daß wir Gott auch Vater nennen, und so streckte sie die Hand in die Höhe.

»Wie heißen wir Gott sonst noch, Klara Gulla?« fragte der Lehrer.

Mit glühenden Wangen stand Klara Gulla in ihrer Bank auf, und ihr kleines Schwänzchen vom Zopf stand im Nacken gerade hinaus.

»Wir heißen ihn Jan!« antwortete sie mit lauter und deutlicher Stimme.

Bei diesen Worten lief ein Kichern durch die ganze Schule. Die Herrschaften und die Schulräte und die Eltern und die Schulkinder, alle verzogen den Mund, und sogar der Herr Schullehrer sah bewegt aus.

Klara Gulla wurde dunkelrot, und Tränen traten ihr in die Augen. Aber der Lehrer stieß den Stock, mit dem er zu deuten pflegte, auf den Fußboden und rief: »Still!« Und dann sprach er einige Worte, um die Sache zu erklären.

»Klara Gulla hat wohl Vater sagen wollen,« sagte er. »Und sie hat statt dessen Jan gesagt, weil ihr eigener Vater Jan heißt. Aber wir brauchen uns über die Antwort des kleinen Mädchens gar nicht so sehr zu wundern, denn ich weiß nicht recht, ob noch ein Kind in der Schule ist, das einen so guten Vater hat wie sie. Ich habe ihn in Sturm und Regen vor dem Schulhause auf sie warten sehen, und bei Schneegestöber, wenn die Wege dicht verschneit waren, hat er sie in die Schule getragen. Man braucht sich deshalb nicht verwundern, daß sie Jan sagt, wenn sie das Beste nennen soll, was sie kennt.«

Der Lehrer strich dem kleinen Mädchen freundlich übers Haar, und die Leute lachten und waren gerührt zu gleicher Zeit.

Klara Gulla saß auf ihrem Platz, schaute vor sich hin und wußte nicht, was sie anstellen sollte; aber Jan in Skrolycka war so glücklich wie ein König; denn nun war es ihm plötzlich wieder klar geworden, daß das kleine Mädchen noch immer ihm gehörte und keinem andern.


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