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Das rote Kleid

Als das junge Mädchen von Skrolycka siebzehn Jahre alt war, ging sie an einem schönen Sommersonntag mit ihren Eltern zur Kirche.

Während sie auf dem Wege dahinwanderte, trug sie ein Tuch um die Schultern, das sie ablegte, als sie den Kirchenplatz erreichte, und da sahen die Leute, daß sie ein Kleid trug, wie die Leute im Dorfe noch nie eines gesehen hatten.

Einer von den Handelsleuten, die mit einem großen Pack auf dem Rücken umherziehen, hatte eines Tages den Weg nach Askedalarna gefunden, und als er da Klara Gulla in ihrer jugendlichen Schönheit und Frische sah, hatte er ein Stück Zeug aus seinem Pack genommen und die Eltern zu überreden versucht, für ihre Tochter ein Kleid davon zu kaufen. Es war ein in verschiedenen Schattierungen schillernder roter Stoff, der fast wie Seide glänzte.

Der Stoff war ebenso teuer, wie er schön war, und für Jan und Katrine war es vollständig ausgeschlossen, ihrer Tochter so ein Kleid zu kaufen, obgleich man wohl verstehen wird, daß Jan nichts lieber getan hätte.

Aber denkt euch, wie merkwürdig! Nachdem der Handelsmann die Eltern lange vergeblich zu überreden versucht hatte, geriet er ganz außer sich, weil er seinen Willen nicht durchsetzen konnte. Er sagte, ihre Tochter solle den Stoff nun einmal haben, das habe er sich in den Kopf gesetzt, denn in der ganzen Gegend gebe es nicht ein Mädchen, dem er so schön stehen würde wie Klara Gulla.

Darauf nahm er den Stoff und maß so viele Ellen davon ab, als man zu einem Kleid brauchte, und schenkte es Klara Gulla. Er wolle gar kein Geld dafür, sagte er, sondern verlange nur, sie in dem roten Kleid zu sehen, wenn er das nächstemal nach Skrolycka käme.

Danach war das Kleid von der besten Näherin des Kirchspiels, die immer für die gnädigen Fräulein auf Lövdala nähte, gemacht worden. Und als Klara Gulla das Kleid zum erstenmal anzog, da paßte es ihr so gut und stand ihr auch so ausgezeichnet, daß man hätte meinen können, sie sei aus einem der schönen Hagenbuttensträucher herausgewachsen, die draußen am Waldhügel in ihrer reifen Pracht weithin leuchteten.

An dem Sonntag, wo sich Klara Gulla mit dem neuen Kleid in der Kirche zeigen wollte, hätte weder Jan noch Katrine zu Hause zu bleiben vermocht, so neugierig waren sie, zu hören, was die Leute dazu sagen würden.

Und so wanderten alle drei miteinander nach der Kirche. Allen Leuten fiel das rote Kleid auf, und nachdem sie es einmal gesehen hatten, wendeten sie sich um und betrachteten es noch einmal. Aber beim zweitenmal betrachteten sie nicht allein das Kleid, sondern auch das junge Mädchen, das das Kleid trug.

Einige von den Leuten hatten schon vorher von dem Kleide reden hören, die andern aber wollten wissen, wie es komme, daß die Tochter eines armen Häuslers so großartig gekleidet auf dem Platz vor der Kirche stehe. Jan und Katrine mußten die Geschichte von dem Handelsmann immer und immer wieder erzählen. Und als die Leute erfuhren, wie alles zusammenhing, konnten sie ja kein Ärgernis mehr daran nehmen. Alle miteinander freuten sich darüber, daß es dem Glück einmal eingefallen war, in das ärmliche Häuschen drüben in Askedalarna einen Blick hineinzuwerfen.

Es waren auch richtige Hofbauernsöhne da, die geradeheraus sagten, wenn dieses Mädchen aus einer Familie stammte, bei der man an eine Heirat mit ihr denken könnte, so würde Klara Gulla verlobt sein, ehe sie wieder aus der Kirche herauskäme.

Und es waren auch Töchter von Großbauern da, sogar Erbtöchter, die sich im stillen sagten, sie würden sich gar nicht besinnen, einen ganzen Acker drein zu geben, wenn sie sich dafür ein Gesicht eintauschen könnten, das so rosig schimmerte und so von Jugend und Gesundheit strahlte wie Klara Gullas.

Aber nun geschah es, daß an diesem Sonntag nicht der gewöhnliche Pfarrer, sondern der Propst von Bro in der Kirche zu Svartsjö predigte. Und der Propst war ein strenger altmodischer Mann, der an jedem Übermaß, sei es in der Kleidertracht oder in anderem, Anstoß nahm.

Als nun der Propst das junge Mädchen in dem roten Kleide sah, bekam er gewiß Angst, es könnte aus Seidenstoff gemacht sein, deshalb schickte er den Küster hin und ließ das Mädchen mitsamt seinen Eltern zu sich entbieten, weil er mit ihnen reden wolle.

Als Klara Gulla vor ihm stand, sah er wohl auch, wie ausgezeichnet das Kleid und das Mädchen zusammenpaßten, aber er nahm darum ebenso großes Ärgernis daran wie vorher.

»Hör du, Klara Gulla, ich will dir etwas sagen,« begann er, indem er ihr zugleich die Hand auf die Schulter legte. »Wenn ich wollte und Lust dazu hätte, könnte mich durchaus niemand daran verhindern, mich wie ein Bischof mit einem goldenen Kreuz zu schmücken. Aber ich tue es nicht, weil ich nicht für vornehmer gelten will, als ich bin. Und aus demselben Grunde sollst du dich auch nicht so fein anziehen wie ein Fräulein von einem Herrenhofe, da du doch nur die Tochter eines armen Häuslers bist.«

Das waren strenge Worte, und Klara Gulla brachte vor lauter Verwirrung und Bestürzung kein Wort heraus. Katrine aber kam ihr rasch zu Hilfe und sagte, ihre Tochter habe den Stoff zum Geschenk erhalten.

»Ja, das ist wohl möglich,« erwiderte der Propst. »Aber versteht ihr Eltern denn gar nicht, wie es gehen wird? Wenn ihr eurer Tochter erst ein- oder zweimal erlaubt habt, sich in dieser Weise zu putzen, dann bringt ihr sie nicht mehr dazu, die einfachen Kleider anzuziehen, die ihr aus euren Mitteln für sie anschaffen könnt.«

Nach diesen Worten wendete der Propst sich weg, denn jetzt hatte er den Leuten seine Meinung mit deutlichen Worten gesagt. Aber ehe der geistliche Herr außer Gehörweite gekommen war, hatte Jan eine Antwort bereit:

»Wenn dieses kleine Mädchen hier in richtiger Weise gekleidet sein sollte, dann müßte sie so herrlich leuchten wie die Sonne,« sagte er; »denn für uns Eltern ist sie Sonne und Freude, seit dem Tag, wo sie das Licht der Welt erblickt hat.«

Da trat der Propst wieder näher und betrachtete alle drei nachdenklich. Jan und Katrine sahen beide alt und abgeschafft aus, aber in den gefurchten Gesichtern leuchteten die Augen hell, als sie sich auf die strahlende Jugend richteten, die sie zwischen sich hatten.

Da sagte sich der Propst, es wäre unrecht, wenn er die Freude der alten Leute zerstörte.

»Wenn du wirklich das Licht und die Freude deiner armen Eltern gewesen bist, dann kannst du das Kleid mit Ehren tragen,« sagte er mit freundlicher Stimme. »Denn ein Kind, das seinen Vater und seine Mutter glücklich macht, das ist das Beste, was unsere Augen sehen können.«


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