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Der Fischfang

Es war natürlich ganz unmöglich, daß irgendein Mensch das kleine Mädchen in Skrolycka ebenso lieb haben konnte wie sein eigener Vater. Aber so viel kann man doch behaupten, in dem alten Netzstricker Ola hatte die kleine Klara einen sehr guten Freund.

Die Freundschaft zwischen den beiden begann folgendermaßen: Klara Gulla war eines Tages auf den Gedanken gekommen, im Waschbach für die kleinen Forellen, die sich da im Wasser tummelten, sogenannte Fischstangen aufzupflanzen, das heißt, Stangen hineinzustecken, an denen die Leine mit der Angel hing. Dies gelang ihr besser, als man gedacht hatte. Schon am ersten Tage kam sie mit zwei Fischlein nach Hause.

Natürlich war sie sehr eifrig bei der Sache, und sie wurde gelobt und gepriesen von ihrem Vater und ihrer Mutter, weil sie schon jetzt, wo sie noch nicht älter als acht Jahre sei, Nahrungsmittel ins Haus schaffe. Und um sie noch mehr zu ermutigen, ließ Katrine sie selbst die Fische ausnehmen und braten, und Jan aß davon und sagte, so einen Fisch habe er in seinem ganzen Leben noch nicht gegessen. Und das war sicherlich die reine Wahrheit, denn der Fisch war so dürr und grätig, daß das kleine Mädchen selbst kaum einen Mund voll hinunterwürgen konnte.

Trotzdem betrieb sie ihren Fischfang mit gleichem Eifer. Morgens stand sie schon ebenso früh auf wie ihr Vater. Sie nahm einen Korb an den Arm, um darin die Fische besser nach Hause tragen zu können, und für die abgefressenen Angelhaken trug sie in einer kleinen Blechbüchse auch Würmer bei sich. Auf diese Weise ausgerüstet, schritt sie am Waschbach hinauf, der mit vielem steilen Gefälle und langen Strecken von Stromschnellen von der Höhe herabgetanzt kam; dazwischen hatte er aber auch dunkle stille Hinterwasser und klare Stellen, wo das Wasser langsam und durchsichtig über Sand und flache Steine floß.

Aber denkt euch mal, nach der ersten Woche hatte Klara Gullas Glück beim Fischen mit einemmal ein Ende! Zwar der Köder war beinahe von allen Angeln verschwunden, aber statt des Köders hing kein Fisch daran. Sie versetzte ihre Fischgeräte aus den Stromschnellen ins Hinterwasser und aus dem Hinterwasser in die Wasserfälle und nahm andere Haken, allein es wurde nicht besser.

Klara Gulla fragte die Jungen von Börjes und die von Erik in Falla, ob sie in aller Herrgottsfrühe aufstünden und ihr die Fische von den Angeln nähmen. Aber die Jungen gaben ihr kaum Antwort auf eine solche Frage, denn keiner von ihnen hätte sich so erniedrigt, im Waschbach Fische fangen zu wollen. Dazu hatten sie doch den ganzen großen Duvsee. Für kleine Mädchen dagegen, die nicht ans Seeufer hinuntergehen durften, war es ja ganz nett, in den Waldbächen zu fischen.

Aber wie patzig auch die Jungen antworteten, Klara Gulla traute ihnen doch nur halb. Irgend jemand mußte doch die Fische von den Angeln nehmen; denn sie hatte richtige Angelhaken im Waschbach ausgelegt, nicht nur krummgebogene Stecknadeln.

Um endlich Klarheit in die Sache zu bringen, stand sie eines Morgens noch früher auf als Jan und Katrine und lief eiligst an den Bach. Als sie in dessen Nähe kam, verlangsamte sie erst ihren Gang, schlich sich dann mit winzigen Schrittchen immer näher und nahm sich dabei sehr in acht, daß sie nicht auf lose Steine trat oder in den Büschen raschelte.

Und denkt einmal! Ihr ganzer Körper erstarrte, als sie an den Rand des Baches kam und sah, daß sie recht gehabt hatte. Da stand ein Fischdieb genau an der Stelle, wo sie am vorhergehenden Morgen ihre Angelhaken ausgelegt hatte, und leerte diese ab.

Wer der Dieb war nicht, wie sie erwartet hatte, einer von den Jungen, sondern ein erwachsener Mann. Er stand tief übers Wasser gebeugt und zog eben einen Fisch herauf. Klara Gulla sah den Fisch aufblitzen, als der Dieb ihn von der Angel nahm.

Das kleine Mädchen war erst acht Jahre alt, aber es fürchtete sich niemals, und so lief es jetzt herbei und ergriff den Dieb auf frischer Tat.

»Ach so, Ihr seid es also, der mir meine Fische nimmt!« sagte sie. »Es ist nur gut, daß ich einmal dazugekommen bin, damit die Dieberei ein Ende nimmt.«

Nun hob der Mann den Kopf, und Klara Gulla konnte sein Gesicht sehen. Und da war es der alte Netzstricker, der in einer der Waldhütten wohnte.

»Ja, die Fischgerätschaften gehören dir, das weiß ich wohl,« sagte er ganz ruhig, ohne ärgerlich und heftig zu werden, wie sich die Leute meistens geben, wenn man sie auf einem Unrecht ertappt.

»Aber wie könnt Ihr Euch unterstehen, etwas zu nehmen, was nicht Euch gehört?« rief das arme kleine Mädchen.

Da sah der Mann sie an, und diesen Blick konnte sie ihr Leben lang nicht vergessen. Es war ihr, als sähe sie in zwei offene, leere Abgründe, in deren Tiefe zwei halberloschene Augen lagen, in denen sich weder Leid noch Freude mehr widerspiegeln konnten.

»Ja, ja,« begann er. »Ich weiß, du bekommst von deinen Eltern alles, was du bedarfst, und deshalb fischst du nur zum Vergnügen hier, aber bei mir zu Hause, da sind sie am Verhungern.«

Die Kleine wurde dunkelrot. Sie wußte nicht, wie es zuging, aber nun war sie es, die sich schämte.

Der Netzstricker sagte kein Wort mehr. Er hob seine Mütze auf, die ihm vom Kopf gefallen war, als er sich über die Angelhaken gebeugt hatte, und ging seines Weges.

Auch Klara Gulla sagte kein Wort. Am Ufer lagen ein paar Fische und zappelten, aber sie las sie nicht auf. Nachdem sie die Fische eine Weile betrachtet hatte, stieß sie mit den Füßen danach, daß sie ins Wasser zurückflogen.

Diesen ganzen Tag fühlte sich die Kleine mit sich selbst sehr unzufrieden, ohne daß sie wußte, warum. Sie war es doch nicht gewesen, die ein Unrecht getan hatte.

Klara Gulla konnte den alten Netzstricker nicht aus ihren Gedanken bringen. Die Leute erzählten, er sei früher einmal reich gewesen. Sieben Höfe habe er gehabt, von denen jeder für sich allein so viel wert gewesen sei wie der von Erik in Falla. Aber auf merkwürdige Weise sei er um alle gekommen und jetzt vollständig verarmt.

Am nächsten Morgen ging Klara Gulla doch wieder an den Waschbach und sah nach ihren Angelhaken. Niemand war dagewesen und hatte sie geleert, und sie fand an jedem einen Fisch hängen. Sie machte die Fische von den Angeln los und legte sie in ihren Korb; aber sie ging damit nicht nach Hause, sondern geradenwegs zu der Hütte des Netzstrickers.

Als Klara Gulla mit ihrem Korb daherkam, stand der alte Mann vor der Hütte und hackte Holz. Sie blieb am Zauntritt stehen und sah den Alten an, ehe sie hinübertrat. Er war äußerst armselig und zerlumpt gekleidet; in so einem Anzug hatte Klara Gulla ihren Vater noch nie gesehen.

Die Kleine hatte sagen hören, wohlhabende Leute hätten dem Alten angeboten, bis zu seinem Tode bei ihnen zu wohnen. Aber statt dessen war er zu seiner Schwiegertochter gezogen, die hier in Askedalarna wohnte, um ihr zu helfen, so gut er konnte. Sie hatte viele kleine Kinder, und ihr Mann war schon lange auf und davon gegangen, ohne je wieder von sich hören zu lassen.

»Heute sind an allen Angeln Fische gewesen!« rief das kleine Mädchen, als sie auf dem Zauntritt stand.

»Ach so,« erwiderte der Netzstricker. »Da kannst du dich ja freuen.«

»Ich will Euch gern alle Fische bringen, die ich fange, wenn Ihr mich nur allein fischen laßt,« sagte die Kleine.

Sie sprang vom Zauntritt herunter, kam zu ihm her, leerte ihren Korb neben ihn auf den Boden aus und erwartete, der Netzstricker werde selig sein und sie tüchtig loben, wie sie es von ihrem Vater gewöhnt war, der sich über alles freute, was sie tat oder sagte.

Allein der Netzstricker nahm auch das ebenso gelassen hin wie alles andere.

»Behalt du nur, was dir gehört. Wir sind hier so ans Hungern gewöhnt, daß wir so ein paar kleine Fische wohl noch entbehren können.«

Es war etwas Eigenes mit diesem armen alten Mann. Klara Gulla konnte sich nicht eher zufrieden geben, als bis er sie ein bißchen liebgewonnen hätte.

»Ihr dürft die Fische von den Angeln nehmen und neuen Köder anstecken. Ihr dürft alles miteinander nehmen,« bot sie an.

»Nein, ich will dir dein Vergnügen nicht rauben,« erwiderte der Alte.

Aber Klara Gulla rührte sich nicht von der Stelle, sie wollte und wollte nicht fortgehen, ehe sie eine Art entdeckt hatte, wie sie dem Alten eine Freude machen könnte.

»Ist's Euch recht, wenn ich morgens herkomme und Euch abhole? Dann können wir die Angeln zusammen nachsehen und nachher die Fische teilen?« fragte sie.

Da stellte der Alte das Holzhacken ein. Er richtete seine sonderbaren, erloschenen Augen auf die Kleine, und der Schimmer eines Lächelns flog über sein Gesicht.

»Ja, jetzt hast du das richtige getroffen,« sagte er. »Zu diesem Vorschlag will ich nicht nein sagen.«


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