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Der Brief

Als Klara Gulla von Skrolycka ein paar Wochen fort war, befand sich ihr Vater eines Vormittags draußen auf den Weideplätzen am Hochwald und besserte einen Zaun aus. Er konnte von seinem Platz die Tannen rauschen hören, und er konnte eine Auerhenne sehen, die mit einer langen Reihe von Jungen hinter sich unter den Bäumen Futter aufpickte. Jan war beinahe fertig mit seiner Arbeit, als vom Berg her lautes Gebrüll an sein Ohr drang. Das klang so unheimlich, daß er fast Angst bekommen hätte.

Er blieb stehen und horchte, und bald ertönte das Gebrüll aufs neue. Aber als er es zum zweiten Male hörte, wußte Jan, daß es nicht zum fürchten war, im Gegenteil, das war sicherlich ein Hilferuf von jemand, der in Not war.

Er warf seine Weiden und Latten weg und lief durch das Birkenwäldchen in den dunklen Tannenwald hinein. Dort brauchte er nicht besonders weit zu suchen, bis er sah, um was es sich handelte. Da droben lag ein großes gefährliches Moor, und alles verhielt sich genau so, wie es sich Jan gedacht hatte; eine von den Kühen des Hofes war in den Sumpf und da auf ein sogenanntes Bebefeld geraten, eine Stelle, wo der Morast zwar trägt, aber wegen des darunterstehenden Wassers bei jedem Tritt auf- und niederschwankt.

Die Kuh war die beste von allen im Stall auf Falla, das sah Jan gleich, gerade die, für die Lars Gunnarsson schon zweihundert Reichstaler geboten worden waren.

Die Kuh saß gewiß im Schlamm fest und war so voller Angst, daß sie sich jetzt vollkommen ruhig verhielt und nur nach langen Pausen ab und zu noch ein schwaches Brüllen ausstieß. Aber Jan konnte sehen, wie verzweifelte Mühe sie sich gegeben hatte, um aus dem Morast herauszukommen. Sie war bis an die Hörner hinauf mit Schlamm überspritzt, und die grünen Mooshügel waren weit um sie her ausgerissen und zerstampft.

Vor kurzem noch hatte sie überlaut gebrüllt, und Jan meinte, man müßte es eigentlich in ganz Askedalarna gehört haben. Aber außer ihm war niemand an das Moor gekommen. Sobald sich dann Jan darüber klar geworden war, wie sich die Sache verhielt, zögerte er keinen Augenblick, sondern lief eiligst auf den Hof hinunter, um Hilfe herbeizuholen.

Dann kam eine mühselige Arbeit. Bretter und Stangen wurden auf das Moor gelegt und Seile unter der Kuh durchgezogen, an denen sie auf die Bretter gehoben wurde. Als die Leute bei dem Moor ankamen, war sie schon bis zum Rücken hineingesunken, und nur der Kopf sah noch über den Schlamm heraus.

Als die Leute das Tier wieder auf dem festen Boden hatten und auch glücklich mit ihm auf dem Hofe angekommen waren, ließ die Hausfrau sagen, alle, die bei dem Rettungswerk mitgeholfen hätten, sollten hineinkommen und Kaffee trinken.

Niemand war bei der Rettungsarbeit eifriger gewesen als Jan in Skrolycka. Sein Verdienst war es allein, daß die Kuh geborgen worden war. Und denkt euch, es war eine Kuh, die mindestens zweihundert Reichstaler wert war!

Das war ein ungeheuer großes Glück für Jan; denn es war ja ganz undenklich, daß die neuen Hofbesitzersleute auf Falla eine solche Tat nicht anerkennen würden.

Zur Zeit des früheren Herrn hatte sich einmal etwas Ähnliches zugetragen. Damals hatte sich ein Pferd eine Zaunlatte in den Leib gerannt. Der Mann, der das Pferd entdeckt und für seine Verbringung nach dem Hofe gesorgt hatte, war von Erik in Falla mit zehn Reichstalern belohnt worden, und zwar trotzdem das Pferd gefährlich verletzt war und erschossen werden mußte.

Aber diese Kuh hier lebte ja und hatte in keiner Weise Schaden genommen. Ja sicherlich, am nächsten Tag schon würde Jan zum Küster oder zu einem anderen schreibkundigen Mann gehen können, um ihn zu bitten, einen Brief an Klara Gulla zu schreiben, der sie nach Hause zurückberief.

Als Jan in die große Stube auf Falla trat, reckte er sich unwillkürlich etwas in die Höhe. Die alte Mutter auf Falla ging herum und schenkte den Kaffee ein, und Jan verwunderte sich gar nicht, daß sie selbst ihm seine Tasse reichte, und das überdies, ehe Lars Gunnarsson die seinige erhalten hatte.

Während der Kaffee getrunken wurde, erzählten alle, wie mutig Jan gewesen war. Die einzigen, die nichts dazu sagten, waren die Hofbesitzersleute. Weder der neue Besitzer noch seine Frau machten den Mund auf, um ein einziges Wort des Lobes zu sagen.

Da aber Jan so ganz sicher wußte, daß die böse Zeit jetzt für ihn vorbei und das Glück auf dem Weg zu ihm war, wurde es ihm nicht schwer, Trostgründe für sich zu ersinnen.

Möglicherweise schwieg Lars nur, damit das, was er zu sagen hatte, recht großen Eindruck machen sollte.

Es dauerte freilich sehr lange, bis er mit seinem Lob herausrückte. Die andern verstummten schließlich auch und sahen etwas verlegen drein.

Als die alte Mutter in Falla zum zweitenmal Kaffee anbot, zierten sich mehrere, und unter ihnen auch Jan. Aber da sagte sie zu diesem:

»Trinkt nur, Jan! Wenn Ihr heute nicht so flink gewesen wäret, so hätten wir die Blässe eingebüßt, die ihre zweihundert Reichstaler wert ist.«

Nach diesen Worten herrschte Schweigen ringsum. Aller Augen richteten sich auf den Hausherrn, denn jetzt würde er doch sicher einige Worte des Dankes an Jan richten, das war nicht anders zu erwarten.

Nun räusperte sich Lars ein paarmal, wie wenn das, was er sagen wollte, mit gehörigem Nachdruck herausgebracht werden sollte.

»Mir kommt's vor, als ob diese Sache ein wenig sonderbar wär,« begann er. »Wir alle wissen, daß Jan zweihundert Reichstaler schuldig ist, und ebenso wissen wir alle, daß mir im Frühling zweihundert Reichstaler für die Blässe geboten worden sind. Und nun soll die Blässe heute in das Moor hineingeraten sein, und Jan sollte gerade der sein, der sie gerettet hat, das stimmt alles miteinander fast zu gut zusammen.«

Lars schwieg und räusperte sich noch einmal. Jan stand auf und trat näher heran; aber weder er noch einer der andern hatte eine Entgegnung bereit.

»Ich weiß nicht, warum sich's gerade so traf, daß Jan es war, der die Kuh droben am Moor brüllen hörte,« fuhr Lars Gunnarsson fort. »Vielleicht war er, als das Unglück geschah, näher dabei, als er uns wissen lassen will. Vielleicht hat er eine Möglichkeit gesehen, seiner Schulden ledig zu werden, und vielleicht hat er die Kuh selbst in das Moor –«

Hier fiel Jans geballte Faust mit voller Gewalt auf den Tisch nieder, daß die Kaffeetassen auf den Tellern hoch aufhüpften.

»Du beurteilst andere nach dir selbst,« sagte Jan. »So etwas kannst du tun, ich aber nicht. Und das sollst du wissen, ich erkenne deine Falschheit. Ja, denk' an den Tag im letzten Winter, wo du – –«

Aber gerade, als Jan im Begriff war, etwas zu sagen, das nur mit unversöhnlicher Feindschaft zwischen ihm und den Hofbesitzersleuten hätte enden können, zog ihn die alte Mutter in Falla am Rockärmel und sagte:

»Sieh einmal hinaus, Jan!«

Jan tat es, und da sah er Katrine mit einem Brief in der Hand über den Hofplatz daherkommen.

Ach, das war wohl der Brief von Klara Gulla, nach dem sich die Eltern seit ihrer Abreise gesehnt hatten! Katrine wußte, wie beglückt Jan darüber sein würde, und deshalb brachte sie ihn gleich her.

Jan sah sich mit verwirrtem Blick im Kreise um. Viele böse Worte brannten ihm auf der Zunge, aber jetzt hatte er keine Zeit, sie auszusprechen. Was kümmerte er sich darum, wie er sich an Lars Gunnarsson rächen sollte? Was kümmerte er sich darum, ob er sich verteidigte oder nicht? Der Brief zog ihn mit einer Macht, der er nicht widerstehen konnte, und war Jan aus der Stube draußen und bei Katrine, ehe sich die Leute im Hause von ihrer Angst, was für Anklagen er dem Hausherrn möglicherweise ins Gesicht schleudern würde, erholt hatten.


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