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Zweiter Teil

Lars Gunnarsson

Erik in Falla und Jan in Skrolycka waren an einem kalten Wintertag tief drin im Hochwald beim Baumfällen.

Sie hatten einen dicken Stamm durchsägt, und der Baum begann zu schwanken. Die beiden Holzfäller traten zur Seite, um nicht unter den Zweigen begraben zu werden, wenn der Baum zu Boden stürzte.

»Nehmt Euch in Acht, Bauer!« sagte Jan. »Ich glaub', er fällt auf Eure Seite.«

Erik hätte noch gut Zeit gehabt, auf die Seite zu springen, während die Tanne schwankte und sich langsam zur Erde neigte. Aber er hatte schon sehr viele Bäume in seinem Leben gefällt und meinte deshalb, er müßte sich besser darauf verstehen als Jan, und so blieb er auf demselben Fleck stehen wie vorher. Im nächsten Augenblick aber lag er zu Boden geschlagen auf der Erde, mit der Tanne über sich.

Er gab keinen Laut von sich, als er umfiel, und die Tannenzweige legten sich so dicht über ihn, daß er ganz davon bedeckt war. Jan sah sich eifrig um und wußte nicht, wo Erik geblieben war.

Doch gleich darauf drang die Stimme seines Herrn, der er sein Leben lang gehorcht hatte, an Jans Ohr; aber sie klang jetzt ganz schwach, und Jan konnte kaum verstehen, was er ihm sagte.

»Geh nach Hause, Jan, und hol Leute mit Pferd und Schlitten, damit man mich heimfahren kann!«

»Soll ich Euch nicht erst aufhelfen?« fragte Jan. »Liegt Ihr nicht sehr schlecht, Bauer?«

»Tut, wie ich Euch sage!« befahl Erik in Falla.

Und da Jan wußte, daß sein Herr vor allem unbedingten Gehorsam verlangte, machte er keine Einwendung mehr.

So rasch wie nur möglich lief er nach Falla. Aber der Hof lag nicht in nächster Nähe, und so brauchte Jan eine gute Spanne Zeit, bis er dort ankam.

Der erste, der ihm von der Familie des Hofbesitzers in den Weg lief, war Lars Gunnarsson, der mit der ältesten Tochter von Erik in Falla verheiratet und dazu ausersehen war, den Hof zu übernehmen, wenn der alte Bauer einmal die Augen schloß.

Sobald Lars Gunnarsson Bescheid bekommen hatte, befahl er Jan, ins Haus zu gehen und der Hausmutter mitzuteilen, was sich zugetragen hatte, und dann solle er den Hofjungen herbeirufen. Lars selbst wollte gleich in den Stall gehen und eines von den Pferden einschirren.

»Es ist vielleicht nicht so wichtig, den Frauenzimmern jetzt gleich von dem Unglück zu berichten,« sagte Jan. »Wenn sie anfangen zu weinen und zu jammern, gibt's so leicht einen Aufenthalt. Eriks Stimme hat einen ganz schwachen Klang gehabt, als er unter dem Baum lag, und 's wär gewiß besser, wir beeilten uns so viel wie möglich.«

Aber seit Lars auf den Hof gekommen war, hatte er immer besonders darauf gehalten, daß man ihm gegenüber die nötige Ehrfurcht nicht außer acht ließ. Ebensowenig wie sein Schwiegervater nahm er je einen Befehl zurück.

»Geh du nur schnell zu Mutter hinein,« sagte er. »Sie müssen doch das Bett zurecht machen, damit man Erik gleich hineinbringen kann, wenn wir mit ihm zurückkommen.«

Jan blieb also nichts anderes übrig, als zur Mutter in Falla hineinzugehen; und so sehr er sich auch beeilte, so verging eben doch Zeit, bis er ihr erzählt hatte, was geschehen war und wie es sich zugetragen hatte.

Als Jan wieder auf den Hofplatz herauskam, hörte er Lars im Stalle schimpfen und fluchen. Lars verstand sich sehr schlecht auf die Behandlung der Pferde, sie schlugen aus, wenn er nur in ihre Nähe kam. Während der ganzen Zeit, wo Jan im Hause mit der Mutter in Falla verhandelt hatte, war es Lars nicht gelungen, eines von den Pferden aus seinem Stand herauszubringen.

Wenn Jan es hätte versuchen wollen, Lars zu helfen, so wäre er nicht gut empfangen worden, das wußte Jan recht wohl, und so führte er statt dessen Lars anderen Auftrag aus und holte den Hofjungen herbei.

Es war aber doch merkwürdig, daß Lars ihm nicht lieber Börje herbeizuholen befohlen hatte, der in der nahen Scheune beim Dreschen war, sondern ihn nach dem Hofjungen schickte, der weit drüben im Birkenwäldchen Unterholz aushieb.

Die schwache Stimme, die unter den Tannenästen hervorgedrungen war, klang Jan immerfort in den Ohren, während er diesen unnötigen Auftrag ausführte. Aber sie war jetzt nicht mehr so befehlend, sondern bat und flehte, Jan solle sich doch beeilen.

»Ich komm, ich komm!« flüsterte Jan als Antwort; aber er hatte ganz dieselbe Empfindung, wie wenn man im Schlaf von einem Alpdruck gequält wird und diesen, trotz aller Anstrengung, die man sich gibt, nicht loswerden kann.

Jetzt hatte Lars das Pferd eingespannt; nun aber kamen die Frauen aus dem Haus heraus und sagten, er solle Stroh und Decken mitnehmen, und das war ja recht gut gemeint; aber natürlich gab es wieder einen Aufenthalt, bis alles geordnet war.

Endlich fuhren sie vom Hofe weg, Lars und Jan und der Hofjunge; aber sie kamen nicht weiter als bis zum Waldesrand, wo Lars schon wieder das Pferd anhielt.

»Man ist ganz wirr im Kopf, wenn man solche Nachrichten bekommt,« sagte er. »Jetzt erst fällt mir ein, daß wir ja Börje in der Scheune stehen haben.«

»Ja, es wär' gut, wenn wir den bei uns hätten,« fiel Jan ein. »Er ist doppelt so stark als wir alle miteinander.«

Nun befahl Lars dem Hofjungen, auf den Hof zurückzulaufen und Börje zu holen.

Das gab abermals einen Aufenthalt.

Während Jan auf dem Schlitten saß und zum Nichtstun verurteilt war, hatte er das Gefühl, als öffnete sich in seinem Innern ein großer leerer, finsterer Abgrund, in den man nur mit Grauen und Entsetzen hinuntersehen konnte. Aber zugleich war es eigentlich gar kein Abgrund, sondern nur die Gewißheit, die sich ihm aufdrang, daß sie zu spät kommen würden.

Endlich kamen Börje und der Stalljunge keuchend dahergesprengt, und jetzt konnte man endlich in den Wald hineinfahren.

Aber sie kamen nicht rasch vorwärts. Lars hatte die alte steifbeinige Braune aus dem Stall genommen und vor den Schlitten gespannt. Wenn er vorhin gesagt hatte, er sei ganz wirr im Kopf vor lauter Schrecken, so mußte das wirklich wahr sein.

Nach kurzem zeigte es sich von neuem, daß er seine fünf Sinne nicht ordentlich beieinander hatte. Kaum war man im Walde drin, als er in einen verkehrten Weg einbiegen wollte.

»Nein, nein!« wehrte Jan. »Wenn Ihr diese Richtung einschlagt, kommen wir auf den Storsnipa, aber wir müssen doch nach dem Wald über Loby.«

»Ja, das weiß ich, aber weiter oben ist ein Richtweg, wo es sich besser fahren läßt.«

»Was könnte denn das für ein Richtweg sein?« fragte Jan. »Ich hab dort noch nie einen Richtweg gesehen.«

»Wart nur, dann wirst du ihn schon sehen,« erwiderte Lars.

Und er wollte sofort den Weg weiter hinauffahren. Aber da schlug sich Börje auf Jans Seite, und Lars mußte nachgeben. Aber jedenfalls dauerte es abermals eine Weile, bis der Streit geschlichtet war, und Jan fühlte, wie sich eiskaltes Grausen über seinen ganzen Körper verbreitete. Arme und Hände schienen vollständig Pelzig und gefühllos zu werden, und er glaubte sie nicht mehr bewegen zu können.

›Jetzt ist alles einerlei,‹ dachte er. ›Wir kommen zu spät. Erik in Falla braucht unsere Hilfe nicht mehr, wenn wir ihn erreichen.‹

Das alte Pferd arbeitete sich durch den Wald, so gut es vermochte, aber es hatte die Kraft nicht für diese Aufgabe. Es war schlecht beschlagen und stolperte einmal ums andere, und wenn es bergauf ging, mußten die beiden Männer absteigen und zu Fuß nebenher gehen. Als es nun im Hochwald in ungebahnte Wege hineinging, war das Pferd fast mehr ein Hindernis als ein Nutzen.

Schließlich kamen sie aber doch an der Unglücksstelle an, und da fanden sie Erik in Falla ziemlich wohlbehalten war. Er war weder zerschmettert, noch hatte er ein Glied gebrochen. An einem seiner Schenkel hatte ihm ein Zweig die Haut aufgerissen, und da hatte er eine große Wunde. Aber das war nichts, was nicht wieder geheilt werden konnte.

Am nächsten Morgen, als Jan zur Arbeit auf dem Hof eintraf, hörte er, daß Erik mit starkem Fieber und großen Schmerzen zu Bett liege.

Er hatte sich während der langen Wartezeit, wo er auf dem kalten Erdboden lag, eine Erkältung zugezogen. Aus dieser wurde eine Lungenentzündung, und vierzehn Tage nach dem Unglücksfalle war Erik in Falla tot.


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