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Klara Fina Gulleborg

Am nächsten Tag stand Jan in Skrolycka mehrere Stunden lang unter seiner Haustür mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm.

Auch das war eine lange Wartezeit; aber jetzt war alles ganz anders als gestern. Jetzt stand er hier in guter Gesellschaft, und so wurde er weder müde noch verdrießlich.

Er konnte gar nicht beschreiben, welch ein wohliges Gefühl ihn überkam, während er unter der Tür stand und den warmen kleinen Körper an sich gedrückt hielt. Es kam ihm vor, als sei er bisher auch gegen sich selbst immer recht widerwärtig und bitter gewesen, denn jetzt auf einmal empfand er nur Glück und Wonne in seinem Herzen. Noch nie hatte er gefühlt, wie geradezu beseligt man sein kann, einzig und allein dadurch, daß man jemand so recht herzlich lieb hat.

Jan hatte sich natürlich nicht ohne Absicht unter die Tür gestellt. Während er da stand, mußte eine gar wichtige Sache entschieden werden.

Schon seit dem frühen Morgen hatten die Eheleute versucht, für das Kind einen Namen zu finden. Sie hatten es aufs reiflichste hin und her überlegt, sich aber noch immer nicht für einen von all den vielen Namen entscheiden können.

Schließlich hatte Katrine gesagt:

»Jetzt weiß ich mir keinen andern Rat, als daß du dich mit dem Kinde auf die Türschwelle stellst und dann das erste Frauenzimmer, das vorüberkommt, nach ihrem Namen fragst. Den Namen, den sie dir angibt, müssen wir dann dem Mädchen geben, einerlei ob er grob oder fein ist.«

Aber das Häuschen lag etwas abseits vom Wege, und es pflegte nicht oft jemand vorbeizukommen. Jan stand schon sehr lange unter der Tür, und noch immer war niemand vorübergegangen.

Auch an diesem Tag herrschte trübes Wetter; aber es regnete nicht, auch war es weder windig noch kalt, eher etwas schwül.

Wenn Jan nicht mit der Kleinen im Arm dagestanden hätte, so hätte er sicherlich die Hoffnung auf einen Vorübergehenden schon längst aufgegeben, und er hätte zu sich selbst gesagt:

»Mein guter Jan Andersson, vergißt du denn, daß du ganz entlegen am Duvsee in Askedalarna wohnst, wo es nur einen einzigen richtigen Bauernhof gibt und sonst nur noch einige kleine Kätnerhäuschen und Fischerhütten umherliegen? Wen gäbe es da wohl mit einem so vornehmen Namen, der dir für dein kleines Mädchen recht wäre?«

Da es sich aber jetzt um sein Töchterchen handelte, zweifelte Jan gar nicht an einen endlichen günstigen Ausgang. Er schaute nach dem Duvsee hinüber und wollte gar nicht sehen, wie verlassen und einsam dieser in seinem Bergkessel dalag. Es könnte ja doch sein, daß eine vornehme Dame mit einem schönen Namen von dem Duvnäser Hüttenwerk auf diese Seite des Sees herüberruderte. Jan war beinahe sicher, daß es nur um des kleinen Mädchens willen so gehen werde.

Das Kind schlief die ganze Zeit, er konnte also ganz ruhig unter der Tür stehen bleiben und warten, so lange er Lust hatte. Schlimmer war es bei Katrine. Sie fragte einmal ums andere, ob denn niemand komme. Denn jetzt könne er wohl nicht länger mit der Kleinen draußen stehen.

Jan richtete seinen Blick auf den Storsnipa, der aus den Birkenwäldchen und Äckerchen in Askedalarna steil aufragte und wie ein Festungsturm Wache hielt, um alle Fremden fernzuhalten. Es hätte ja doch sein können, daß irgendeine vornehme Dame, die auf dem Berge gewesen war, um die schöne Aussicht zu betrachten, auf dem Rückwege die Richtung verfehlen und sich bis nach Skrolycka verirren würde.

Er beruhigte Katrine, so gut er konnte. Es fehle ihnen nichts, weder ihm noch dem Kinde. Da er nun so lange dagestanden habe, wolle er auch noch ein wenig länger warten.

Nirgends war ein Mensch zu sehen; aber Jan war fest überzeugt, daß ihm Hilfe zuteil werde, wenn er nur noch ein wenig wartete. Es konnte ja nicht anders sein. Er hätte sich auch gar nicht verwundert, wenn eine Königin in einer goldenen Kutsche durch Gebirge und Waldesdickicht dahergefahren gekommen wäre, um dem kleinen Mädchen in seinen Armen ihren Namen zu geben.

Wieder verging eine Weile; aber nun fühlte Jan den Abend herannahen, und da konnte er nicht länger draußen stehenbleiben.

Katrine konnte auf der Uhr im Zimmer sehen, wie spät es war, und sagte wieder, er solle jetzt hereinkommen.

»Hab' nur noch einen Augenblick Geduld!« erwiderte Jan. »Ich glaube, ich kann dort drüben im Westen jemand herankommen sehen.«

Den ganzen Tag hindurch war das Wetter trüb gewesen, aber in diesem Augenblick brach die Sonne durch die Wolken und ließ ein paar goldene Strahlen auf das Kind fallen.

»Ich verwundere mich nicht, daß du dir die Kleine ansehen willst, ehe du dich zur Ruhe begibst,« sagte Jan zu der Sonne. »Sie ist es wert, daß man sie ansieht.«

Die Sonne brach immer heller hervor und warf einen roten Schein auf das Kind und das ganze Häuschen.

»Aha, du willst wohl überdies Patenstelle bei der Kleinen übernehmen?« sagte Jan in Skrolycka.

Darauf gab die Sonne keine direkte Antwort; in rotgoldener Pracht leuchtete sie noch einmal hell auf, zog dann aber den Wolkenschleier wieder vor und verschwand.

Nun erklang Katrines Stimme aufs neue.

»Ist jemand dagewesen?« fragte sie. »Es war mir, als hättest du mit jemand gesprochen. Du mußt jetzt hereinkommen.«

»Ja, jetzt komm ich,« sagte Jan und trat auch sogleich herein. »Eine furchtbar vornehme Dame ist eben vorbeigegangen. Aber sie hatte es sehr eilig; ich konnte ihr kaum guten Tag sagen, da war sie auch schon wieder verschwunden.«

»Ach je, das ist doch recht ärgerlich, nachdem wir nun so lange gewartet haben! Du hast sie wohl gar nicht nach ihrem Namen fragen können?«

»Doch, sie hieß Klara Fina Gulleborg, Klara Fina Gulleborg, auf deutsch: Helle schöne Goldborg. so viel hab ich aus ihr herausgebracht.«

»Klara Fina Gulleborg! Das ist doch wohl ein zu vornehmer Name für das Kind,« sagte Katrine, erhob dann aber doch keinen weiteren Widerspruch.

Aber Jan in Skrolycka war ganz bestürzt über sich selbst, weil er auf etwas so Großes verfallen war, wie die Sonne als Patin für sein kleines Mädchen zu nehmen es doch war. Ja, in dem Augenblick, wo ihm das Kind in die Arme gelegt wurde, war er ein neuer Mensch geworden.


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