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Verbotene Frucht

Es waren nicht wenige, die Jan in Skrolycka prophezeiten, er werde, wenn seine kleine Tochter groß sei, Freude an ihr erleben. Diese Leute begriffen entschieden nicht, daß sie ihn schon jetzt glücklich machte, jeden Tag und jede Stunde, die Gott gab. Nur ein einziges Mal während ihrer Kindheit mußte sich Jan über sie ärgern und sich an ihr schämen.

In dem Sommer, da das kleine Mädchen elf Jahre alt wurde, wanderte Jan mit ihm über die Hügel nach Lövdala. Das war am siebzehnten August, dem Geburtstag von Leutnant Liljecrona, dem Besitzer von Lövdala.

Der siebzehnte August war ein solcher Freudentag, daß man sich in Svartsjö und Bro das ganze Jahr hindurch danach sehnte. Und ein Festtag war er nicht nur für die Herrschaften, die bei der ganzen Feier anwesend waren, sondern auch für die Kinder und die Jugend des Dorfes. In hellen Scharen strömten sie nach Lövdala, um die prächtig gekleideten Herrschaften zu bewundern und sich am Gesang und der Tanzmusik zu ergötzen.

Es war aber noch ein Umstand, der es für die Jugend sehr verlockend machte, am siebzehnten August nach Lövdala zu wandern, und das war all das Gute, was um diese Zeit im Garten zu finden war. Die jungen Leute wurden allerdings in jedem andern Fall zu strengster Ehrlichkeit angehalten; aber von dem, was im Freien an Bäumen und Büschen hing, durfte man doch pflücken, so viel man wollte, wenn man sich nur nicht erwischen ließ.

Als nun Jan mit Klara Gulla in den Garten kam, da sah er wohl, wie groß ihre Augen wurden, als sie all die schönen Äpfelbäume erblickte, die voll grüner schwellender Früchte hingen. Und Jan selbst hätte ihr ja gewiß nicht verweigert, einen von den halbreifen Äpfeln zu versuchen, wenn er nicht gesehen hätte, daß der Großknecht Söderlind und noch einige andere Knechte unter den Bäumen Wache hielten, damit nichts wegkomme.

Er nahm Klara Gulla mit sich in den Teil des Gartens, wo nichts zu finden war, was in Versuchung führen konnte. Allein er merkte wohl, wie eifrig ihre Gedanken immer wieder zu den Stachelbeersträuchern und den Äpfelbäumen zurückgingen. Sie sah weder nach den schön gekleideten jungen Herrschaften, noch nach den prächtigen Blumenbeeten. Er konnte sie nicht dazu bringen, auf die schönen Reden zu lauschen, die vom Propst in Bro und von Ingenieur Boräus auf Borg zu Ehren von Leutnant Liljecrona gehalten wurden. Ja, sie wollte nicht einmal zuhören, als Küster Svartling sein Geburtstagskarmen aufsagte.

Aus dem Hause heraus ertönte Anders Östers Klarinette. Sie spielte eine so lustige Tanzmusik, daß es einem schwerfiel, die Füße stillzuhalten. Aber das kleine Mädchen suchte nur nach einem Vorwand, wieder in den Obstgarten kommen zu können.

Jan hielt sie die ganze Zeit über treulich am Händchen fest; er ließ nicht los, sie mochte anstellen, was sie wollte. Es ging auch alles gut, bis es gegen Abend anfing dunkel zu werden.

Da wurden überall farbige Lämpchen angesteckt, und zwar hingen sie nicht nur in den Bäumen, sondern waren auch unten am Boden zwischen den Blumen und in den üppigen Ranken, die die Hauswand bedeckten, verteilt. Das war so schön, daß Jan, der noch niemals etwas Ähnliches gesehen hatte, ganz wirr im Kopf wurde und nicht wußte, ob er noch auf der Erde sei.

Aber die kleine Hand behielt er dennoch fest in der seinen.

Als die farbigen Lämpchen angezündet wurden, stellten sich der Kaufmann, der neben der Kirche seinen Laden hatte, mit seinem Bruder und Anders Östers mit seinem Neffen auf und huben an zu singen, und als sie sangen, war es Jan, als ströme ein merkwürdiges Freudengefühl durch die Luft auf ihn ein. Das hob alle Last und allen Kummer vom Herzen weg. Ganz leise und köstlich kam es durch die linde Nacht dahergezogen. Jan konnte nicht widerstehen. Und ähnlich ging es allen miteinander. Alle fühlten sich beseligt, daß sie lebten und in einer so schönen Welt leben durften.

»Ja, heute ist der siebzehnte August, das merkt man,« flüsterte es in Jans Nähe.

»So war's wohl Adam und Eva zumut, als sie noch im Paradies waren,« sagte ein junger Mann und sah ganz feierlich aus.

Jan dachte wie sie, hatte aber doch noch so viel Besinnung, das Kinderhändchen, das er festhielt, nicht los zu lassen.

Nachdem der Gesang zu Ende war, stiegen Raketen hoch in die Luft empor. Und als die kleinen Feuerkugeln in den dunkelblauen Nachthimmel hinauszischten und dann in einem Regen von roten, blauen und gelben Sternen wieder herunterfielen, da fühlte sich Jan zu gleicher Zeit so demütig und erhoben, daß er für einen Augenblick Klara Gulla vollständig vergaß. Und als er wieder zu sich selber kam, war sie verschwunden.

»Nun hilft das nichts,« dachte Jan. »Hoffentlich geht's ihr auch diesmal gut wie sonst immer, und sie wird weder vom Großknecht Söderlind noch von einem der andern Wächter gefaßt.«

Es lohnte sich nicht, in dem großen finsteren Obstgarten nach dem Kinde zu suchen. Das klügste, was Jan tun konnte, war, stehen zu bleiben und auf Klara Gulla zu warten.

Und es wurde für ihn nicht einmal ein langes Warten. Kaum neigte sich ein zweiter Gesang seinem Ende zu, da sah er den Großknecht Söderlind mit Klara Gulla aus den Armen daherkommen.

Leutnant Liljecrona stand mit einigen anderen Herren auf der obersten Stufe der Freitreppe und hörte dem Gesänge zu. Der Großknecht blieb vor ihm stehen und ließ das kleine Mädchen zur Erde gleiten.

Klara Gulla schrie weder, noch machte sie einen Versuch, davonzulaufen. Sie hatte ihr Schürzchen mit halbreifen Äpfeln vollgepflückt und dachte nur daran, es mit sicherem Griff festzuhalten, damit ja kein Apfel herausfallen könne.

»Das Mädchen da saß auf einem Apfelbaum,« berichtete Söderlind. »Herr Leutnant haben ja gesagt, wenn ich einen Apfeldieb zu fassen kriegte, so wollten Herr Leutnant selbst mit ihm reden.«

Leutnant Liljecrona betrachtete das kleine Mädchen, und dann begann es in den Fältchen um seine Augen zu zucken, aber man wußte nicht, ob er im nächsten Augenblick anfangen würde zu lachen oder zu weinen.

Wahrscheinlich hatte er die Absicht gehabt, ein paar ernste Worte mit dem zu reden, der ihm seine Äpfel stehlen wollte; als er aber das kleine Mädchen vor sich sah, das sich bemühte, sein Schürzchen voll Äpfel festzuhalten, empfand er das herzlichste Mitleid mit der Kleinen. Er wußte nur nicht recht, wie er es anstellen sollte, daß er sie ihre Äpfel behalten lassen konnte. Denn wenn er sie ohne weiteres laufen ließ, so konnte möglicherweise später sein ganzer Obstgarten gestohlen werden.

»So, du hast also Äpfel gestohlen,« sagte er. »Du gehst doch in die Schule und hast die Geschichte von Adam und Eva gehört und solltest darum wissen, wie gefährlich es ist, Äpfel zu stehlen.«

In diesem Augenblick trat Jan herzu und stellte sich neben Klara Gulla. Er war recht ärgerlich über sie, weil sie ihm nun seine ganze Freude verdorben hatte, aber er mußte ihr doch auf alle Fälle beistehen.

»Tun Sie dem kleinen Mädchen nichts, Herr Leutnant!« sagte er. »Denn ich selbst hab ihr die Erlaubnis gegeben, auf den Baum zu klettern und sich Äpfel zu holen.«

Kaum hatte er das gesagt, als Klara Gulla ihrem Vater einen strafenden Blick zuwarf und ihr Schweigen brach.

»Nein, das ist nicht wahr,« sagte sie. »Ich selbst wollte die Äpfel haben. Vater hat den ganzen Abend hindurch meine Hand festgehalten, damit ich keine holen könnte.«

Nun wurde der Leutnant höchst vergnügt.

»Sieh, das ist recht von dir, mein liebes Kind,« sagte er. »Das ist recht, daß du nicht deinen Vater die Schuld auf sich nehmen läßt. Sieh, du weißt wohl, daß der liebe Gott auf Adam und Eva nicht darum so böse geworden ist, weil sie Äpfel gestohlen hatten, sondern weil sie feig waren und immer das eine die Schuld auf das andere schieben wollte. Du darfst jetzt ruhig fortgehen, und du darfst auch deine Äpfel mitnehmen, weil du dich nicht gefürchtet hast, die Wahrheit zu sagen.«

Dann wendete er sich an einen seiner Söhne und sagte zu ihm:

»Gib Jan ein Glas Punsch. Wir wollen mit ihm auf seine Tochter anstoßen, weil das kleine Mädchen eine bessere Antwort gegeben hat als einstmals die Mutter Eva. Um uns alle stünde es heute weit besser, wenn statt ihrer damals Klara Gulla im Paradiese gewesen wäre.«


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