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August Där Nol

Als Klara Gulla schon über einen Monat von Skrolycka fort war, kam eines Abends August Där Nol von Prästerud nach Askedalarna.

Er war viele Jahre hindurch mit Klara Gulla in Östanby in die Schule gegangen und hatte auch in demselben Sommer wie sie den Konfirmationsunterricht besucht. Er war ein ernster rechtschaffener Junge, der einen guten Leumund hatte. Seine Eltern waren vermögliche Leute, und niemand konnte der Zukunft ruhiger und zuversichtlicher entgegensehen als er.

Während des letzten halben Jahres war er von Hause abwesend gewesen, und so hatte er erst bei seiner Rückkehr gehört, daß Klara Gulla ausgezogen war, um zweihundert Reichstaler zu verdienen.

Seine Mutter war es, die es ihm zufälligerweise erzählte; aber ehe sie noch mit ihrem Bericht zu Ende gekommen war, griff August nach seiner Mütze und ging von Hause weg. Er hielt auch nicht an, bis er vor der Pforte stand, die zu dem kleinen grünen Hofplatz von Skrolycka führte.

Aber als er so weit gekommen war, ging er nicht weiter, sondern blieb an der Pforte stehen und sah nach dem Haus hinüber.

Katrine sah ihn von der Stube aus, und unter dem Vorwand, Wasser an der Quelle zu holen, ging sie vors Haus hinaus. Aber er grüßte sie nicht und machte auch sonst kein Zeichen, daß er mit ihr reden möchte.

Nach einer Weile kam Jan mit einer Last Holz aus dem Wald zurück. Als August Där Nol Jan auf die Pforte zukommen sah, zog er sich zurück, aber sobald Jan hineingegangen war, nahm er seinen vorigen Platz wieder ein.

Nachdem er wieder eine Weile dagestanden hatte, wurde das Fenster der Kätnerhütte, die nur auf ein paar Armlängen von August entfernt war, aufgemacht. Da sah August Där Nol Jan mit seiner Pfeife auf der einen Seite des Fensters sitzen und Katrine mit ihrem Strickstrumpf auf der andern.

»Ja, meine gute Katrine, jetzt am Abend haben wir's recht behaglich,« sagte Jan. »Jetzt wünsch ich mir nur noch eins.«

»Ich aber wünsch mir noch hunderterlei,« versetzte Katrine, »und wenn alles zusammen in Erfüllung ginge, so wär ich erst nicht zufrieden.«

»Nein, nein, ich wünsche nur, daß der Netzstricker oder ein anderer, der des Lesens kundig ist, zu uns hereinsehen und mir Klara Gullas Brief vorlesen würde,« sagte Jan.

»Ach, diesen Brief mußt du nachgerade doch Wort für Wort auswendig können,« erwiderte Katrine. »Du hast ihn ja schon unzählige Male vorlesen hören, seit du ihn bekommen hast.«

»Das ist wohl war, aber 's ist eben besonders schön, wenn man ihn vorlesen hört. Dann ist's mir, als sei das kleine Mädchen da und spreche mit mir, und bei jedem Wort, das ich höre, seh ich, wie mir ihre Augen entgegenleuchten.«

»Ja, ich hätt auch nichts dagegen, wenn ich ihn noch einmal zu hören bekäme,« sagte Katrine und lugte dabei zum Fenster hinaus. »Aber an so einem schönen hellen Abend sind die Leute wo anders hin unterwegs, an unserem Häuschen wird wohl kaum jemand vorüberkommen.«

»Wenn ich Klara Gullas Brief zu hören bekäme, während ich hier sitze und meine Pfeife rauche, so würd mir das besser schmecken als Gebäck zum Kaffee,« sagte Jan. »Aber die Leute hier in Askedalarna sind meiner gewiß schon überdrüssig geworden, weil ich sie immer wieder gebeten habe, mir den Brief vorzulesen. Jetzt weiß ich niemand mehr, an den ich mich wenden könnte.«

Im nächsten Augenblick fuhr Jan überrascht zusammen. Er hatte kaum ausgeredet, als auch schon die Tür aufging und August Där Nol auf der Schwelle stand.

»Ei der tausend, du kommst ja wie gerufen, mein guter August,« sagte Jan, nachdem er den Gast begrüßt und ihn zum Sitzen ausgefordert hatte. »Ich hab einen Brief hier und möcht dich bitten, ihn uns beiden Alten vorzulesen. Er ist von einer Schulkameradin von dir. Du hast vielleicht nichts dagegen, zu erfahren, wie's ihr geht.«

August Där Nol nahm den Brief ganz ruhig und las ihn vor. Er sprach die einzelnen Wörter sehr langsam aus, wie wenn er sie zugleich in sich hineinsaugen wollte.

Als er fertig war, sagte Jan:

»Es ist merkwürdig, wie gut du liest, mein guter August. Noch nie haben mir Klara Gullas Worte so schön geklungen wie aus deinem Mund. Würdest du mir nicht die Freude machen und den Brief noch einmal lesen?«

Zum zweitenmal las der junge Mann mit derselben Andacht vor. Es war, als sei er mit dürstender Kehle an eine Wasserquelle gekommen.

Als er fertig war, faltete er den Brief zusammen und fuhr mit der Hand glättend darüber hin. Dann wollte er ihn zurückgeben; doch da merkte er wohl, daß er nicht gut genug zusammengelegt war, und so mußte er es noch einmal tun.

Dann blieb er still sitzen und sprach kein Wort. Jan versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber es gelang ihm nicht. Schließlich stand August Där Nol auf und sagte, er müsse jetzt gehen.

»Es ist sehr gut, wenn einem jemand hier und da eine Handreichung tut,« sagte Jan. »Nun aber sollte mir jemand auch noch bei etwas anderem helfen. Da ist Klara Gullas kleines Kätzchen. Wir müßten's eigentlich töten, denn wir können's jetzt nicht mehr füttern; aber ich bring's nicht übers Herz, es zu töten, und Katrine bringt's auch nicht über sich, es zu ersäufen. Eben vorhin haben wir gesagt, wir möchten gern mit jemand darüber reden.«

August Där Nol stammelte ein paar Worte, die niemand verstehen konnte.

»Du könntest das Kätzchen in einen Korb tun, Katrine,« fuhr Jan fort; »dann nimmt ihn August vielleicht mit und richtet's so ein, daß wir das Kätzchen nie wieder zu Gesicht bekommen.«

Darauf holte Katrine ein kleines weißes Kätzchen, das im Bett lag und schlief, legte es in einen alten Korb, band ein Tuch darüber und übergab das Bündel dem jungen Manne.

»Ich bin froh, wenn das Kätzchen erst aus dem Hause ist,« sagte Jan. »Es ist gar so lustig und klug, es ist zu sehr wie Klara Gulla selbst. Deshalb ist's am besten, 's kommt aus dem Haus.«

Der junge August Där Nol ging, ohne ein Wort zu sagen, nach der Tür; doch plötzlich drehte er sich um, ergriff Jans Hand und drückte sie.

»Ich dank Euch,« sagte er. »Ihr habt mir mehr gegeben, als Ihr selbst wißt.«

»Das mußt du nicht glauben, mein guter August Där Nol,« sagte Jan in Skrolycka für sich, als der junge Mann gegangen war. »Es gibt Dinge, auf die ich mich verstehe. Ich weiß, was ich dir gegeben habe, und ich weiß auch, wer mich das gelehrt hat.«


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