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Der Kaiser

Am ersten Sonntag im September bekam die in der Svartsjöer Kirche versammelte Gemeinde etwas zu sehen, über das sie sich höchlich verwundern mußte.

In der Svartsjöer Kirche ist ein großer, breiter Chor, der das ganze Langschiff quer abschneidet. Und in der ersten Bank dieses Chors pflegten seit undenklichen Zeiten die vornehmen Herrschaften zu sitzen, die Herren links, die Frauen und Fräulein rechts.

Den andern Kirchenbesuchern war es durchaus nicht verboten, sich dorthin zu setzen, denn in der ganzen Kirche waren alle Plätze frei; aber natürlich wäre es einem armen Häusler niemals eingefallen, sich auf einer dieser Bänke niederzulassen.

Früher hatte sich Jan immer gefreut, wenn er die Herrschaften dort sitzen sah; sie kamen ihm gar so schön und vornehm vor. Und auch an diesem Sonntag im Anfang September hätte er nicht bestritten, daß der Hüttenbesitzer von Duvnäs, der Leutnant von Lövdala und der Ingenieur von Borg sehr stattliche Männer waren, die sich sehen lassen konnten. Aber was war das alles im Vergleich zu der Herrlichkeit, die die Leute nun zu schauen bekamen? Ein richtiger Kaiser, nein, ein solcher hatte doch wohl noch niemals auf den Herrschaftsbänken im Chor Platz genommen!

Aber jetzt, jetzt saß wirklich ein Mächtiger der Welt auf der ersten Bank! Ganz vorne auf dem äußersten Platz, da saß er, beide Hände auf einen langen Stock mit einem großen silbernen Knopf aufgestützt, auf dem Kopf eine hohe, grünlederne Mütze und auf der Brust zwei große wie Gold und Silber glänzende Ordenssterne.

Als die Orgel angestimmt wurde, erhob der Kaiser seine Stimme und sang. Denn ein Kaiser muß in der Kirche laut und deutlich singen, selbst wenn er den Ton nicht trifft und die Melodie nicht festhalten kann. Die Leute sind trotzdem froh, wenn sie ihn hören dürfen.

Die Herren, die neben dem Kaiser saßen, drehten sich zur Seite und sahen ihn einmal ums andere an; aber das war ja nicht zu verwundern, denn dies war sicher das erstemal, daß eine echte Hoheit unter ihnen Platz genommen hatte.

Die Mütze mußte er allerdings abnehmen, denn das tut sogar auch ein Kaiser, wenn er in die Kirche kommt; aber er behielt sie doch so lange wie möglich auf, damit die Leute sie nach Herzenslust betrachten konnten.

Auch von den Leuten, die im Schiff der Kirche saßen, drehten an diesem Sonntag viele den Kopf nach dem Chor. Es war fast, als dächten sie mehr an ihn als an die Predigt.

Aber das mußte man ihnen verzeihen. Sie würden sich schon allmählich beruhigen, wenn sie sich erst an die Anwesenheit eines Kaisers in der Kirche gewöhnt hatten.

Sie waren vielleicht etwas erstaunt, ihn, den armen Jan, so erhöht zu sehen. Aber eines würden sie doch verstehen: der Vater einer Kaiserin mußte ja selbstverständlich selbst Kaiser werden; es konnte gar nicht anders sein.

Als Jan nach dem Gottesdienst auf den Kirchenplatz herauskam, gingen ihm gleich einige Leute entgegen; aber er konnte mit keinem auch nur ein Wort wechseln, denn der Küster Svartling kam sofort auf ihn zu, um ihn im Auftrag des Pfarrers in die Sakristei zu bitten.

Als Jan und der Küster in die Sakristei traten, saß der Pfarrer in einem hohen Lehnstuhl, mit dem Rücken nach der Tür, und war im eifrigen Gespräch mit dem Reichstagsabgeordneten Karl Karlsson. Der Pfarrer war über irgend etwas erregt und betrübt, das hörte man seiner Stimme an; es fehlte nicht viel, so hätte er geweint.

»Das sind zwei von den Seelen, die meiner Fürsorge anvertraut waren, und die ich habe verloren gehen lassen,« sagte er.

Der Reichstagsabgeordnete versuchte den Pfarrer zu trösten.

»Aber an all dem Bösen, das in den großen Städten getrieben wird, hat der Herr Pfarrer doch keine Schuld,« sagte er.

Doch der Pfarrer ließ sich nicht beruhigen. Er verbarg sein schönes junges Gesicht in den Händen und weinte.

»Nein, das hab ich allerdings nicht,« sagte er. »Aber was hab ich getan, um über das junge achtzehnjährige Mädchen zu wachen, das schutzlos in die Welt hinausgeworfen worden ist? Und was hab ich getan, um ihren Vater zu trösten, dem diese Tochter das einzige war, für das er lebte?«

»Der Herr Pfarrer ist noch so neu in der Gemeinde,« versetzte der Reichstagsabgeordnete. »Wenn hier von Verantwortlichkeit die Rede sein soll, so trifft der Vorwurf uns andere, die wir mit den Verhältnissen bekannt waren, mehr als den Herrn Pfarrer. Aber wer hätte denken können, daß es so schlimm gehen würde? Die jungen Leute müssen ja in die Welt hinaus. Wir andern im Dorf sind auch einst so hinausgeworfen worden, und den meisten ist's bisher gut gegangen.«

»Ach, lieber Gott, hilf mir, daß ich in der rechten Weise mit ihm rede!« flehte der Pfarrer. »Daß es mir gelinge, den entfliehenden Verstand festzuhalten.«

Doch nun räusperte sich der Küster Svartling, der neben Jan stand, und der Pfarrer drehte sich um. Rasch stand er von seinem Stuhl auf und nahm Jans Hand in seine beiden Hände.

»Lieber Jan!« sagte er.

Der Pfarrer war von hoher Gestalt, mit blondem Haar und schönem Gesicht. Wenn er jemand entgegenkam mit seiner gütigen Stimme und den milden blauen Augen, aus denen echtes Mitgefühl leuchtete, war ihm nicht leicht zu widerstehen. Aber hier bei dieser Gelegenheit blieb Jan nichts anderes übrig, als ihn gleich von Anfang an zurechtzuweisen, und das tat er auch.

»Hier ist kein Jan mehr, mein guter Pfarrer, sondern jetzt steht hier der Kaiser Johannes von Portugallien, und mit dem, der ihm nicht seinen richtigen Namen geben will, mit dem hat er nichts mehr zu schaffen.«

Danach gewährte Jan dem Pfarrer noch ein leichtes kaiserliches Kopfnicken zum Abschied, setzte seine Mütze auf und machte kehrt.

Und die drei, die in der Sakristei zurückblieben, sahen alle ganz verdutzt drein, als er die Tür aufmachte und davon ging.


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