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Hundertundsechsunddreißigstes Capitel.
Wie der Seelenhirt wachsam seyn muß.

Ein gewisser Dieb kam zur Nachtzeit an das Haus eines Reichen, stieg auf das Dach und begann sich durch eine Luke umzusehen, ob noch Jemand von der Familie des reichen Mannes wach sey. Wie das der Hauswirth gewahr wurde, sprach er heimlich zu seiner Frau: frage mich mit lauter Stimme, wie ich die Güter erworben habe, welche wir besitzen, und höre nicht auf mich darnach zu befragen, bis ich Dir es endlich sagen werde. Darauf sprach sein Weib: o lieber Eheherr, da Du niemals ein Kaufmann gewesen bist, so sage mir doch, wie Du das große Vermögen, welches Du besitzest, zusammen gebracht hast. Jener aber antwortete ihr: frage mich nicht solche dumme Sachen. Sie aber hörte nicht auf ihn mehr und mehr darum zu fragen, bis endlich der Mann gleichsam durch ihre Bitten gezwungen sprach: verrathe nicht was ich Dir sage, und ich will Dir die Wahrheit entdecken. Jene aber sprach: das sey ferne von mir. Er aber sagte: ich war ein Dieb und habe durch nächtliches Stehlen Alles, was ich besitze, zusammengebracht. Hierauf sprach das Weib zu ihm: ich wundere mich also, daß man Dich niemals ergriffen hat. Worauf ihr jener antwortete: der, welcher mein Lehrer war, hat mich ein Wort gelehret, welches ich sieben Mal sprach, wenn ich auf die Dächer der Leute stieg. Die Frau sprach aber: ich bitte Dich, sage mir das Wort, durch dessen Kraft Du ohne Gefahr hast stehlen können. Jener aber versetzte: ich will es Dir sagen, allein Du darfst es Niemandem sagen, damit Andere nicht vielleicht auch unsere Habe wegschleppen können. Jene aber entgegnete: nie werde ich das thun. Er aber sprach: die Worte heißen: Fallax, Fallax (Betrüger, Betrüger). Als er so gesprochen hatte, schlief das Weib ein, der Mann aber stellte sich als wenn er schliefe, und schnarchte. Der Dieb aber, wie er das gehört hatte, freute sich und nachdem er einen Strahl des Mondes abgewartet und siebenmal seinen Spruch hergesagt hatte, ließ er Hände und Füße los und fiel mit großem Gepolter durch eine Fensteröffnung in das Haus: brach Arm und Bein und lag elendiglich halb todt am Boden. Der Hausherr aber fragte, wie er den Lärm gehört hatte, als wisse er nicht, wer herabgefallen sey. Jener aber antwortete: betrügerische Worte haben mich getäuscht, der Hausherr aber faßte ihn und ließ ihn am nächsten Morgen an den Galgen hängen.


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