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Sechsundsechzigstes Capitel.
Von der Standhaftigkeit.

Einst gab es einen gewissen König, der eine schöne Tochter hatte, die er gewaltig liebte und welche auch nach seinem Tode sein Reich erhielt. Nun war sie aber ganz allein und verwaist gelassen, und wie dieß ein gewisser tyrannischer Herzog hörte, kam er zu ihr und versprach ihr Vieles, wenn sie ihm zu Willen wäre. Sie aber wurde von ihm verführt und ihrer Unschuld beraubt, und als sie so entehrt war, weinte sie bitterlich, der Tyrann aber trieb sie aus ihrem ererbten Lande. Als sie nun so landflüchtig war, stieß sie Seufzer und Klagen aus und setzte sich jeden Tag an die Heerstraße, um die Vorübergehenden um ein Almosen zu bitten. Wie sie nun eines Tags so weinend dasaß, ritt ein edler Ritter an ihr vorüber und als er ihre Schönheit erblickte, wurden seine Augen von ihr geblendet, und er sprach also zu ihr: meine Liebe, wer bist Du denn? Sie aber versetzte: ich war die einzige Tochter eines Königs und erhielt nach meines Vaters Tode nach dem Erbrechte sein Reich, allein durch einen gewissen Tyrannen ward ich verführt und von ihm meiner Unschuld beraubt und nachher hat er mir auch noch mein Erbtheil genommen. Da sagte der Ritter: wäre es Dir angenehm, mein Ehegespons zu werden. Sie aber versetzte: ja Herr, das würde vor Allem mein Wunsch seyn. Hierauf sprach jener: gieb mir Dein Wort darauf, daß Du keinen Andern als mich zum Mann nehmen willst, und ich werde gegen jenen Tyrannen einen Krieg anfangen und Dir Dein Land wiederverschaffen. Wenn ich aber im Kampfe falle, und Dir Dein Erbtheil erobert haben werde, verlange ich weiter nichts, als daß Du meine mit Blut besprützten Waffen als ein Zeichen meiner Liebe zu Dir aufbewahrst. Wenn aber dann Jemand kömmt und Dich zur Frau begehrt, dann gehe in Deine Kammer, in welcher meine Waffen hängen, und betrachte sie fleißig und erinnere Dich, wie ich aus Liebe zu Dir mein Leben verloren habe. Jene aber erwiederte: Herr, das verspreche ich Dir aufs Heiligste, aber fern sey es, daß Du in diesem Kriege Dein Leben einbüßest. Hierauf waffnete er sich und zog gegen den Tyrannen. Wie dieser Herzog solches vernahm, stellte er sich ihm mit aller seiner Macht entgegen und sie fingen mit einander einen Zweikampf an; der Ritter gewann zwar den Sieg und hieb dem Tyrannen das Haupt ab, allein er selbst erhielt im Kampfe eine tödtliche Wunde und starb in drei Tagen, nachdem er das Erbe des Mägdleins wiedergewonnen hatte. Diese aber betrauerte viele Tage lang seinen Tod, hing seine blutbefleckte Rüstung in ihrer Kammer aus und besuchte sie öfters und so oft sie selbige ansah, weinte sie bitterlich. Nun kamen aber viele Edle zu ihr, um sie zur Frau zu haben, und versprachen ihr Vieles, aber bevor sie ihnen eine Antwort gab, trat sie in ihre Kammer, um seine Rüstung fleißig zu betrachten und sprach: o Herr, Du bist mir zu Liebe gestorben und hast mir mein Erbe wiederverschafft, fern sey es von mir, daß ich einem Andern meine Einwilligung gebe. Darauf ging sie hinaus und sprach: ich habe Gott ein Gelübde gethan, mich niemals mit einem Manne zu verbinden. Wie jene das hörten, gingen sie weg und sie blieb so ihre ganze Lebenszeit in Zucht und Keuschheit.


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