Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundachtzigstes Capitel.
Von der ängstlichen Bewachung der Seele.

Einst war ein König Trojanus, der ein großer Gartenliebhaber war. Als er nun einmal einen Garten angelegt und Bäume jeder Art in demselben gesetzt hatte, bestellte er einen Wächter über den Garten, der ihn getreulich hüten sollte. Nun gab es aber einen gewaltigen Eber, der in den Garten eindrang und die Bäume umhieb und ausriß. Wie das der Wächter, der Jonathas hieß, bemerkte, hieb er demselben das linke Ohr ab, der Eber aber schrie nach Verlust seines Ohres laut auf und lief davon. Am andern Tage kam aber der Eber wieder hinein und verübte in dem Garten unzählige Unthaten, und Jonathas, der dieses sah, hieb ihm auch das rechte Ohr ab, worauf der Erber mit schrecklichem Geschrei hinaus lief. Nichtsdestoweniger kam er auch zum dritten Male hinein, und Jonathas hieb ihm, als er ihn erblickte, den Schwanz ab, und der Eber lief also beschimpft schreiend hinweg. Noch kam er zum vierten Male wieder und richtete vieles Unglück an, aber Jonathas durchbohrte ihn mit seinem Spieße und so starb er und wurde dem Koch übergeben, damit er für die königliche Tafel zugerichtet würde. Nun aß der König von jedem Thiere das Herz lieber als irgend ein anderes Stück: der Koch aber, wie er den Eber zugerichtet und das Herz ganz fett gefunden hatte, verzehrte es. Als nun dem Könige von seinem Diener der Eber aufgetragen wurde, suchte er das Herz, die Diener aber gingen wieder zu dem Koche und verlangten das Herz des Ebers. Jener aber sprach: saget meinem Herrn, daß der Eber kein Herz hatte, und so er es nicht glaubt, mache ich mich verbindlich, es ihm aus vielen Gründen zu beweisen. Die Diener aber, als sie solches gehört hatten, hinterbrachten dem Könige jedes Wort, und der König sprach: was muß ich hören? Es giebt kein Thier ohne Herz: weil er sich aber erbietet, die Sache zu beweisen, so wollen wir ihn hören. Der Koch wurde also zum König berufen, auf daß er ihm beweisen möchte, wie der Eber kein Herz haben könnte. Der aber sprach: Herr, höret mich. Ein jeder Gedanke kommt aus dem Herzen, daraus folgt aber ganz richtig, daß wo das Nachdenken fehlt, auch kein Herz seyn kann. Jener Eber ist zuerst in den Garten gekommen und hat darin viel Unheil angerichtet. Wie ich das gesehen habe, habe ich ihm das linke Ohr abgehauen. Wenn er nun ein Herz gehabt hätte, würde er nun über sein abgehauenes Ohr nachgedacht haben. Dieß hat er aber nicht gemacht, denn er ist zum andern Male wiederum hereingekommen. Also hatte er kein Herz. Ebenso, wenn er ein Herz gehabt hätte, würde er darüber nachgesonnen haben, daß ich ihm auch sein rechtes Ohr abgehauen habe, allein er hat auch nicht an den Verlust seines rechten Ohres gedacht, denn er ist darum doch wieder hineingedrungen und hat nun auch seinen Schwanz eingebüßt. Wenn er also auch nur einen Theil von einem Herze besessen hätte, würde er an seine Ohren und seinen Schwanz gedacht haben. Allein alles Dieses hat er nicht gethan, denn er ist nach alle dem wieder hinein gelaufen, und darum habe ich ihn umgebracht, und aus diesen drei Gründen beweise ich, daß er kein Herz hatte. Wie aber der König das gehört hatte, billigte er seine Gründe, und der Koch kam also ungestraft davon.


 << zurück weiter >>