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Dreiundsechzigstes Capitel.
Von den Vergnügungen der Weltlichgesinnten.

Es herrschte einst Vespasianus; der hatte eine sehr schöne Tochter, welche Aglae hieß und sie war so schön und in den Augen Aller reizend, sodaß ihre Schönheit die aller übrigen Frauen bei weitem übertraf. Nun begab es sich aber, daß er eines Tages, als seine Tochter vor ihm stand, diese scharf ansah und also zu ihr sprach: meine Theure, ich will Deiner Körperschönheit wegen Deinen Namen ändern und Du sollst von nun an Frau des Trostes genannt werden, zum Zeichen daß Alle, die traurig hierher kommen, mit Freuden wieder von Dir gehen. Der König besaß aber einen sehr schönen Garten, in welchem die Prinzessin öfters spatzieren ging. Er ließ nun in seinem ganzen Reiche ausrufen, daß so Jemand seine Tochter zur Frau haben wolle, er nur zu seinem Palaste kommen und unterhalb jenes Gartens drei oder vier Tage hindurch lustwandeln möge: nachher solle er wiederkommen, wenn er seine Tochter noch zur Ehe begehre. Als diese Verkündigung geschehen war, kamen Viele zu seinem Palaste, traten in den Garten und wurden nie wieder gesehen und soviele auch kamen, Niemand kam wieder heraus. Nun gab es aber einen Krieger in dem entlegensten Theile des Reichs: der hörte auch von der Verkündigung, daß wenn Einer zum Palast käme, er die Tochter des Königs zur Frau bekommen könne, machte sich also dahin auf den Weg und klopfte an das Thor des Palastes. Der Pförtner öffnete die Thür und führte ihn hinein zum König, den trat er an und sprach: Herr, es ist das allgemeine Gerede, daß, so Jemand Eueren Garten betritt, er Euere Tochter zur Frau haben soll. Deshalb bin ich hierher gekommen. Darauf erwiederte der König: Geht in den Garten und so Ihr wieder herauskommt, sollt Ihr sie haben. Darauf sagte jener: Herr, gestatte mir eine einzige Sache. Ich bitte Dich inständig, daß, ehe ich den Garten betrete, ich einige Worte mit Deiner Tochter sprechen darf. Jener aber antwortete: das ist mir ganz recht. Hierauf begab sich jener zu den Mädchen und sprach: Meine Theuere, Euer Name ist Frau des Trostes und dabei ist es Dir gegeben, daß Alle, welche traurig zu Dir kommen, freudig wieder von Dir gehen. Ich aber komme nun gar traurig und trostlos zu Dir, gieb mir also einen Rath und eine Unterstützung, auf daß ich wieder voll Freude von Dir gehen kann. Denn vor mir sind Viele gekommen und in den Garten getreten, aber nie wieder erblickt worden: wenn mir nun also derselbe Fall begegnen sollte, weil ich Dich zur Ehe begehrt habe, was soll ich mir dann sagen? Jene aber erwiederte: ich will Dir die Wahrheit sagen und Deine Traurigkeit in Freude verkehren. In jenem Garten ist ein wüthender Löwe, der Alle, die denselben betraten, getödtet hat und durch ihn sind Alle, die als Freier um meine Person hineingegangen sind, umgebracht worden! Waffne nun Deinen Leib mit Eisen von der Spitze Deines Fußes bis zum Wirbel Deines Hauptes und mögen alle Deine Waffen mit Gummi bestrichen seyn. Wenn Du nun aber in den Garten getreten bist, wird der Löwe alsbald auf Dich losstürzen, Du aber kämpfe männiglich gegen ihn und sobald Du müde bist, laß ihn los. Hierauf wird er mit seinen Zähnen Deinen Arm oder Bein packen, aber weil seine Zähne bald voll Gummi seyn werden, wird er Dir wenig Schaden zufügen können. Wenn Du aber das merkst, ziehe gleich Dein Schwert aus der Scheide und haue ihm den Kopf ab. Nun giebt es aber in jenem Garten noch eine andere Fährlichkeit. Es giebt nur einen einzigen Eingang, aber verschiedene Irrgänge, sodaß wer einmal hineingegangen ist, kaum wieder den Ausgang finden kann. Darum will ich Dir gegen jene Gefahr folgendes Mittel angeben. Ich gebe Dir hiermit einen Knaul Garn, den binde Du, sobald Du an den Eingang des Gartens gekommen bist, an dem Thore an und steige so an dem Faden immer in den Garten hinunter und laß denselben, so Du Dein Leben lieb hast, nicht fahren. Der Krieger aber erfüllte Alles genau, wie es ihm das Mädchen geheißen hatte. Er trat gewaffnet in den Garten, und als ihn der Löwe erblickt hatte, stürzte er mit seiner ganzen Wucht auf ihn los, der Krieger aber vertheidigte sich mannhaft und als er müde war, machte er einen Sprung von ihm hinweg. Nun hielt ihn der Löwe aber solange am Arme fest, bis seine Zähne ganz voll von Gummi waren und der Krieger zog, wie er das bemerkt hatte, sein Schwert heraus und hieb dem Löwen das Haupt ab. Er aber freuete sich so sehr darüber, daß er den Faden, an welchem er herabgestiegen war, verlor. Er aber lief traurig und voller Schmerzen drei Tage lang im Garten herum und suchte eifrig seinen Knaul, endlich fand er ihn am Abend. Als er ihn aber wieder hatte, freuete er sich nicht wenig, stieg dem Faden folgend wieder herauf und gelangte bis ans Thor. Hier machte er den Faden los und ging zum Könige und erlangte dessen Tochter, die Dame des Trostes, zur Frau, worüber er gar große Freude empfand.


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