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Hundertundvierunddreißigstes Capitel.
Von dem unschuldigen Tode Christi.

Seneca erzählt uns, daß einst ein Gesetz existirte, daß jeder Krieger in seinen Waffen begraben werden solle und daß ein Jeder, der hierüber einen Todten seiner Rüstung berauben würde, des Todes sterben müsse. Nun begab sich aber der Fall, daß eine gewisse Stadt von einem tyrannischen König berennt wurde und dieser rings um die Stadt einen Hinterhalt legte und unzähliges Volk tödtete, so daß die Bürger in Gefahr waren die Stadt zu verlieren und große Furcht hatten, daß sie nicht mehr widerstehen könnten. Während sie aber noch in derselben Noth waren, kam ein tapferer, edler und wackerer Ritter in die Stadt und hatte großes Mitleid mit den Bürgern, diese aber traten ihn an und sprachen: Herr hilf uns. Jener aber entgegnete: Ihr Lieben, aus dieser Gefahr könnet Ihr nur durch eine starke Faust erlöst werden: ich aber, wie Ihr seht, bin unbewaffnet, kann darum auch nicht kämpfen. Einer aber von den Bürgern sprach: Herr, vor wenig Tagen ist in diesem Grabe ein Ritter in einer kostbaren Rüstung bestattet worden: nimm seine Waffen und erlöse unsere Stadt von ihren Feinden. Der Ritter nahm also dem Todten seine Waffenstücke, kämpfte gegen die Feinde und errang den Sieg, und als er so die Stadt befreit hatte, legte er die genommenen Waffen wieder an ihre Stelle. Seine Nebenbuhler aber von Neid bewegt, daß er einen so rühmlichen Streit ausgefochten hatte, verklagten ihn bei dem Richter, wie er gegen das Gesetz gethan habe, weil er einen Todten seiner Waffen beraubt hätte. Jener antwortete aber: Herr, von zwei Uebeln muß man das größere vermeiden, und so hätte ich die Stadt nicht vertheidigen können, wenn ich nicht jene Waffen gehabt hätte. Darum habe ich sie genommen, aber auch wieder an ihren Ort gelegt. Ein Dieb und ein Räuber aber plündert in der Absicht, nichts zurück zu geben, ich aber habe wegen des gemeinen Bestens jene Waffen genommen und wieder zurück gegeben: also sollte ich eher belohnt als bestraft werden. Ebenso wenn in einer Stadt ein Haus brennt, ist es nicht besser, daß das Haus ohne Verzug ganz niedergerissen wird, bevor die andern Häuser Feuer fangen und die ganze Stadt zerstört wird? Gerade so ist es in dem vorliegenden Falle: ist es nicht besser, daß ich die Waffen nahm und Alle rettete, als daß ich sie nicht nahm und sie nicht vertheidigte? hätte ich sie aber nicht genommen, wäret Ihr Alle getödtet worden. Seine Nebenbuhler aber sprachen: er ist des Todes schuldig: und der Richter fällte auf ihre Bitten gegen ihn das Urtheil, er solle getödtet werden, und also geschah es. Ueber den Tod dieses Mannes aber erhob sich in der Stadt ein großes Wehklagen.


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