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Sechsunddreißigstes Capitel.
Von dem Lauf des Menschenlebens.

Man liest von einem gewissen Könige, der vor Allem wünschte, die Natur des Menschen kennen zu lernen. In dessen Reiche war aber ein gewisser sehr scharfsinniger Philosoph, nach dessen Rathe gar Viele handelten. Als nun der König von ihm gehört hatte, sendete er einen Boten an ihn, auf daß er ohne weitern Verzug zu ihm käme. Der Philosoph, als er den Willen des Königs vernommen hatte, kam zu ihm und der König sprach also zu ihm: Meister ich wünsche von Dir Weisheit und Lehren zu hören; sage mir zuerst, was ist der Mensch? Jener aber sprach: der Mensch ist elend die ganze Zeit seines Lebens hindurch: betrachte den Anfang, die Mitte und das Ende des Deinigen und Du wirst finden, daß Du voller Elend bist. Darum sagt Hiob: der Mensch vom Weibe geboren etc. Wenn Du auf den Anfang Deines Lebens zurückblickst, wirst Du finden, daß Du arm warst und ohnmächtig: wenn aber auf die Mitte desselben, wirst Du finden, wie der Weltgeist Dich in die Enge treibt und vielleicht auch Deine Seele verdammt, wenn aber auf das Ende, wie die Erde Dich aufnimmt. Und darum, mein König, darfst Du nicht daran denken, stolz zu seyn. Da sprach der König: Meister, ich will vier Fragen an Dich thun, wenn Du mir diese gut lösen wirst, will ich Dich zu Würden und Reichthum erheben. Die erste Frage ist: was ist der Mensch? die zweite: wem gleicht er? die dritte: wo ist er? die vierte: mit welcher Gesellschaft lebt er? Da sprach der Philosoph: Herr ich will Dir auf Deine erste Frage antworten, indem Du fragst, was der Mensch ist. Ich sage Dir aber: der Mensch ist ein Sclav des Todes, ein Gast der Erde, ein vorüberziehender Wanderer. Ein Sclav ist er, inwiefern er der Hand des Todes nicht entfliehen kann und der Tod alle seine Anstrengungen und Tage dahinnimmt und er, wie er es verdient hat, Belohnung oder tödtliche Strafe empfangen wird. So ist auch der Mensch nur ein Gast der Erde, denn man vergißt ihn alsbald: und ebenso ist er auch ein vorüberziehender Wanderer, denn sey es im Schlafen, sey es im Wachen, sey es bei'm Essen, sey es bei'm Trinken oder indem er sonst was Anderes thut, immer läuft er dem Tode zu. Darum müssen wir uns auf unserem Marsche mit Lebensmitteln versorgen, das heißt mit Tugenden. Die zweite Frage ist aber: wem gleicht der Mensch? Ich sage Dir aber: er gleicht dem Eise, welches durch Hitze schnell zerschmilzt. Ebenso wird der Mensch, der von Erde und den Elementen zusammengesetzt ist, schnell durch die Hitze der Kraftlosigkeit aufgelöst und vernichtet. Ebenso auch ist er ähnlich einem jungen Apfel: denn sowie der junge Apfel, der am Baume hängt, wenn er zum gehörigen Wachsthum kommen muß, plötzlich von einem kleinen, inwendig entstandenen Wurme angefressen wird und alsbald zusammenbrechend unnütz wird, so auch beim Wachsen des Menschen in seiner Jugend entsteht plötzlich innerlich bei ihm eine Schwäche, die Seele wird herausgetrieben und der Körper verdorben. Weshalb also ist der Mensch hochmüthig? Die dritte Frage ist: wo ist der Mensch? Ich sage, in tausendfachem Kriege, nehmlich gegen die Welt, den Bösen und das Fleisch. Die vierte Frage war: in welcher Gesellschaft lebt der Mensch? Ich antworte: mit sieben Genossen, die ihn beständig plagen: diese aber sind Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Müdigkeit, Krankheit und Tod. Rüste also Deine Seele gegen den Bösen, die Welt und das Fleisch, deren Kriege oder Versuchungen verschieden sind. Aber auch auf verschiedene Weise ist die Seele zu rüsten, auf daß sie ihnen Widerstand leiste. Das Fleisch nehmlich versucht uns durch Wollust und Vergnügen: die Welt durch des Reichthums Eitelkeit und der Böse durch die Schlechtigkeit des Hochmuths. Wenn also das Fleisch Dich versucht, da wende Du folgendes Mittel an: bedenke immer, daß das Fleisch, welches Dich zur Sünde verlockt, Dich zu unbekannter Zeit und Stunde in Asche verwandeln wird und daß Deine Seele für das Vergehen desselben eine ewige Strafe wird auszustehen haben. Im zweiten Capitel des Buchs der Weisheit aber heißt es: »der Leib ist dahin wie eine Loderasche und der Geist zerflattert wie eine dünne Luft, und unseres Namens wird mit der Zeit vergessen, deß freilich niemand unseres Thuns gedenken wird. Wenn uns aber diese Asche im Gedächtniß bleibt, wird sie die Versuchung verhindern, zur Thätigkeit zu schreiten. Wenn aber die Welt durch die Eitelkeit Dich versucht, da wende folgendes Mittel gegen sie an: betrachte fleißig ihre Undankbarkeit und nie wirst Du Lust haben, ihr zu dienen. Denn so undankbar ist die Welt und wenn Du ihr auch Dein ganzes Leben hindurch treu dienst, wird sie Dir doch nicht erlauben, etwas Anderes mit Dir hinaus zu nehmen, als Deine Sünde. Denn es ist mit der Welt wie mit dem Rebhuhn. Denn das Rebhuhn, welches Junge hat, wenn es bemerkt, daß sich ein Jäger seinem Neste nähert, kommt es in die Nähe des Jägers, um ihn von seinen Jungen abzuziehen, und stellt sich, als könne es nicht fliegen und der Jäger, der da meint, daß das wahr sey, folgt ihm allmählig. Jenes fliegt nun auf und er geht ihm nach, indem er es zu fangen hofft: und so macht es dasselbe immerfort, bis jener weit von den Jungen entfernt ist: und so täuscht es den Jäger, der weder Rebhuhn noch Junge hat. So ist es mit der Welt. Der Jäger, welcher sich dem Neste der jungen Rebhühner nähert, ist der gute Christ, der Nahrung und Kleidung und andere Dinge mit Arbeit zu erlangen trachtet. Allein die Welt nimmt den Menschen freudig aus, belobt ihn und stellt sich, als wolle sie ihm folgen und immer in Ehren bei ihm bleiben: der Mensch aber, der dieß sieht, entfernt sich oft von den guten Werken und folgt der Welt Eitelkeit und dann entfernt ihn die Welt von der Liebe Gottes und den guten Werken. Dann nimmt ihn der Tod weg aus der Zeit und jener bleibt betrogen: weil er nicht die Welt bekommt, der er folgen mag, noch die Frucht der guten Werke, von denen er entfernt wird. Siehe wie die Welt ihrem Diener ihren Lohn giebt und das ist, was in den Briefen Jacobi, am zweiten Capitel also gesagt wird: die ganze Welt liegt im Argen: alles, was in der Welt ist, ist entweder Lebensübermuth und dergl. Drittens aber, wenn Dich der Böse versucht, so brauche folgendes Mittel gegen ihn. Behalte Christi Leiden im Gedächtniß, durch welche der Hochmüthige geschlagen wird und nicht die Macht hat zu widerstehen. Darum sagt der Apostel: Ziehet Ihr die Rüstung Gottes an, auf daß Ihr stehen könnt etc. Darum berichtet Solinus in seinem Buche von der Welt Wunderwerken, daß Alexander ein Pferd hatte, des Namen Bucephalus war: seine Gewohnheit aber war, daß, wenn es gerüstet und bereit zum Kriege war, es keinen Reiter duldete als allein den Alexander. Wenn dasselbe aber ein Anderer bestieg, warf es ihn alsbald ab: war es aber nicht gerüstet, durften sogar die Diener auf ihm sitzen. So auch der Mensch, wenn er mit Christi Leiden gewaffnet ist, nimmt in seinem Herzen keinen andern Regierer auf als den allmächtigen Gott. Wenn aber irgend eine Versuchung des Bösen in seinem Herzen aufsteigen will, so hat er alsbald durch die Kraft des Leidens Christi die Macht, dieselbe abzuwerfen. Wenn er aber jener göttlichen Rüstung entbehrt, wird er alsbald geneigt seyn, jegliche Versuchung anzunehmen. Laßt uns also darnach trachten uns mit Tugenden zu rüsten, auf daß wir endlich zum Ruhme Gottes gelangen mögen.


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