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Zwölftes Capitel.
Vom bösen Beispiele.

Es war ein König Otto, in dessen Reiche ein leichtsinniger Priester lebte, der gar häufig seine Untergebenen beunruhigte und einen gar großen Anstoß bei Vielen gab. Nun war aber einer unter seinen Pfarrkindern, der niemals bei der Messe seyn wollte, wenn jener sie feierte. Da geschah es an einem Feiertage, daß er gerade zur Zeit der Messe aus dem Felde spatzieren ging und so durstete, daß es ihm vorkam, als wenn er sterben müsse, könnte er nicht seinen Durst löschen. Nun begab es sich aber, daß er beim Gehen an einen gewissen Bach vom klarsten Wasser kam, aus dem er, sobald er ihn erblickt hatte, sogleich zu schöpfen und tüchtig zu trinken begann. Als er aber davon gekostet hatte, so bekam er immer größern Durst, je mehr er trank; darüber wunderte er sich und sprach zu sich selbst: ich will die Quelle dieses Bächleins aufsuchen, damit ich aus ihr trinke. Während er aber hin spatzierte, da begegnete ihm ein sehr schöner Greis und sprach zu ihm: Mein Lieber, wo gehst Du hin? Der aber sprach, ich empfinde einen unglaublichen Durst: ich fand ein Wasserbächlein, aus welchem ich trank und je mehr ich trank, desto durstiger ward ich. Darum suche ich die Quelle dieses Bächleins, auf daß ich aus ihr trinke, ob ich vielleicht so meinen Durst löschen mag. Da sagte der Greis: siehe hier ist die Quelle, aus welcher das Bächlein, herauskommt, aber sage mir doch, warum Du nicht mit den andern Christen die Messe hörst? Der aber antwortete: Herr, wahrhaftig unser Pfarr führt ein abscheuliches Leben und ich glaube, daß er nicht eine lautere und Gott gefällige Messe feiert. Hierauf sprach der Greis: mag es so seyn, wie Du sagst: aber hier ist die Quelle, aus welcher das süße Wasserbächlein entspringt, aus dem Du getrunken hast. Da sah sich jener um und erblickte einen räudigen Hund mit offenem Maule, durch dessen Zähne und geöffneten Rachen auf wunderbare Weise der Springquell herausquoll. Als er das deutlich erkannt hatte, da erschrak er sehr und wurde bestürzt: er schauderte am ganzen Leibe und wagte aus Eckel nicht zu trinken und dürstete doch außerordentlich. Dieß sah der Greis und sprach zu ihm: Fürchte Dich nicht, weil Du aus diesem Bache getrunken hast: das wird Dir keine Beschwerden verursachen. Als jener das hörte, so trank er, löschte seinen Durst und sprach: O Herr, nie hat ein Mensch so süßes Wasser getrunken. Da sagte der Greis: siehe, gleich wie dieses Wasser durch das Maul dieses räudigen Hundes fließt und doch seine eigenthümliche Farbe und Geschmack behält, nicht beschmutzt oder verändert wird; so, mein Lieber, ist es mit der Messe, die durch einen unwürdigen Priester gefeiert wird. Und darum, wie sehr Dir auch der Lebenswandel solcher Priester mißfallen mag, sollst Du dennoch ihre Messe hören. Als der Greis das gesagt hatte, verschwand er und jener offenbarte Andern, was er gesehen hatte, und hörte nachher mit Frömmigkeit die Messe und brachte dieses vergängliche und unbeständige Leben zu einem seligen Ende: worauf er von diesem dem Untergange unterworfenen Leben zu einem unveränderlichen geführt wurde. Dieses aber möge uns Allen gewähren Jesus Christus, Mariä Sohn.


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