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Achtes Capitel.
Vom eiteln Ruhme.

Es gab einen König, Namens Leo, der gar großen Gefallen an schönen Frauen fand. Darum ließ er in einem gewissen Tempel drei Standbilder aufrichten und befahl allen Leuten in seinem Reiche, sie sollten dieselben anbeten. Das erste Bild hielt die Hand gegen das Volk ausgestreckt und hatte an einem Finger einen goldenen Ring und auf dem Finger war folgende Inschrift: an meinem Finger bin ich edel. Die zweite Bildsäule hatte einen goldenen Bart und auf der Stirn stand geschrieben: ich habe einen Bart, so jemand kahl ist, der komme zu mir und nehme von meinen Haaren. Das dritte Bild hatte einen goldenen Mantel und ein purpurnes Kleid an, und auf der Brust desselben stand mit goldenen Characteren geschrieben: ich bin der, welcher Niemanden fürchtet. Innerlich waren aber diese drei Bildsäulen von Stein, und da sie nach dem Willen des Kaisers vollendet waren, gab er ein Gesetz, daß, wer den Ring, Bart oder Mantel stehlen würde, zum schimpflichsten Tode verurtheilt werden sollte. Nun begab es sich aber, daß ein gewisser vornehmer Vasall einstmals in den Tempel kam und, als er die erste Bildsäule mit dem ausgestreckten Finger sah, den Ring vom Finger zog. Hierauf trat er zu dem zweiten Bilde und nahm demselben den Bart weg. Hieraus kam er zu der dritten Bildsäule, trug von derselben den Mantel weg und begab sich aus dem Tempel. Als das Volk die Bildsäulen geplündert sah, hinterbrachte es die Sache sofort dem Kaiser. Als aber der Kaiser dies gehört hatte, wurde er sehr traurig, ließ den Uebertreter seines Gesetzes oder den Vasallen vor sich kommen und klagte ihn wegen des Vergehens an, daß er die Bildsäulen wider sein Geheiß geplündert hätte. Da sprach jener: Herr, ist es mir vergönnt, mich zu verantworten? Dieser aber sagte: Mir ist es ganz recht. Als ich in den Tempel trat, da streckte die erste Bildsäule ihre Hand nach mir aus, indem sie an ihrem Finger einen Ring hatte, gerade als wenn sie sagen wollte: hier nimm diesen Ring. Indessen wollte ich auf das bloße Handausstrecken ihn noch nicht nehmen, bis ich an dem Finger die Aufschrift las: ich bin edel, siehe hier ist ein Ring. Sogleich verstand ich die Inschrift so, daß es ihr Wille wäre, daß ich den Ring in Empfang nähme, und darum nahm ich ihn. Hierauf trat ich zu der zweiten Bildsäule, und da ich sah, daß diese einen goldenen Bart hatte, so dachte ich in meinem Herzen nach und sprach zu mir: Ihr Vater hatte keinen solchen Bart, weil ich ihn oft gesehen hatte, und daß sie höher stehe als ihr Vater, dafür spricht kein Grund; es ist gut und nützlich, ihr den Bart zu nehmen. Indessen wollte ich demohngeachtet den Bart nicht ausziehen, bis ich die Aufschrift las: ich habe einen Bart, darum wenn jemand kahl ist, der komme zu mir und nehme von meinen Haaren.« Wie Ihr seht, bin ich kahl und darum habe ich den Bart aus zwei Gründen weggenommen. Der eine war, damit sie ihrem Vater ähnlich wäre und nicht allzu stolz auf ihren Bart würde. Der zweite, daß ich vermittelst der Haare derselben meinem Kahlkopfe zu Hülfe käme. Dann trat ich zu dem dritten Bilde, welches einen goldnen Mantel hatte. Den Mantel aber nahm ich deswegen, weil das Gold im Winter kalt ist, und da die Bildsäule von Stein, der Stein aber von Natur kalt ist, so würde, wenn sie einen goldenen Mantel hätte, dieß so viel seyn, als Kälte zur Kälte fügen, was dem Bilde beschwerlich fallen müßte. Ebenso, wenn es im Sommer einen Mantel hätte, würde ihm derselbe allzuschwer werden. Noch hätte ich ihn aber darum nicht weggenommen, bis ich die Aufschrift auf der Stirne des Bildes gelesen hatte: ich bin der, welcher niemanden fürchtet. Als ich einen so großen Hochmuth in demselben erblickte, entfernte ich den Mantel, um es zu demüthigen. Da sagte der Kaiser: mein Theuerster, es war das Gesetz gegeben, es solle Keiner die Bildsäulen plündern, es war aber auch im Gesetze verkündigt, es solle sie Keiner wegen irgend einer Ursache berauben, und darum, weil Du Dich in Sachen eingelassen hast, die Dich nichts angingen, so fälle ich das Urtheil daß Du heute an den Galgen gehängt werdest. Und also geschah es.


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