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Hundertundzwölftes Capitel.
Von der Heilung der Seele durch die Arznei des himmlischen Arztes, durch die Einige geheilt werden, aber Andere nicht.

Einst regierte ein König Gorgonius, der eine schöne Frau nahm, welche schwanger von ihm wurde und ihm einen Sohn gebar. Der Knabe aber wuchs heran und wurde von Allen geliebt. Wie er aber zehn Jahr alt war, da starb seine Mutter und wurde mit allen nur möglichen Ehren bestattet. Nach diesem aber nahm der König auf den Rath vieler seiner Diener eine zweite Frau, die aber den Sohn seiner ersten Gemahlin nicht liebte, sondern ihm vielen Schimpf anthat. Wie dieses aber der König gewahr wurde und sich seiner Gemahlin angenehm machen wollte, verstieß er seinen Sohn aus seinem Lande. Sein verbannter Sohn aber befliß sich der Arzneikunde und kam so weit darin, daß er ein großer und vollkommener Arzt wurde. Wie nun aber der König hörte, daß sein Sohn solche Fortschritte in seiner Wissenschaft gemacht hatte, freute er sich sehr, und es begab sich innerhalb kurzer Zeit, daß der König in eine schwere Krankheit verfiel und einen Brief an seinen Sohn schickte, er solle ohne weiteren Verzug zu ihm kommen und ihn von seiner Krankheit befreien. Als aber der Sohn den Willen seines Vaters erfuhr, kam er zu seinem Vater und heilte ihn vollständig. Darum flog sein Ruf durch das ganze Reich. Nachher ward seine Stiefmutter, die Königin auf den Tod krank, und aus allen Weltgegenden wurden Aerzte herzugeholt, die ihr aber alle das Leben absprachen. Wie das der König erfuhr, ward er sehr traurig und bat seinen Sohn dringend, er solle sie heilen. Der Sohn aber sprach, ich will Euere Bitte nicht erfüllen. Darauf sprach der König: so will ich Dich aus meinem Lande treiben. Darauf entgegnete der Sohn: wenn Ihr also thut, so handelt Ihr unrecht an mir. Mein Vater und mein bester Erzeuger, es ist Euch wohl bekannt, daß Ihr mich, Euren Sohn, auf den Antrieb jenes Weibes aus Euerem Lande gewiesen habt. Nun war aber meine Entfernung, lieber Vater, die Ursache Euerer Schmerzen und Euerer Krankheit, und meine Gegenwart ist der Grund der Schmerzen und des Unwohlseyns der Königin, nehmlich meiner Stiefmutter: darum will ich sie nicht kuriren, sondern mich lieber von ihr entfernen. Jener sprach aber also zu seinem Sohne: Deine Stiefmutter, die Königin, hat dieselbe Krankheit, die ich Dein Vater gehabt habe, und mich hast Du vollständig geheilt, heile also ebenso auch Deine Stiefmutter. Darauf entgegnete der Sohn seinem Vater: mein geliebter Vater, ob es gleich dieselbe Krankheit ist, so hast Du doch nicht dieselbe körperliche Constitution wie sie. Alles was ich für Dich gethan habe, hast Du als angenehm und erfolgreich angenommen, und sobald ich Deinen Palast betrat, und Du mich erblicktest, warst Du auch schon geheilt. Dagegen befindet sich meine Stiefmutter schlecht, sobald sie mich sieht: wenn ich spreche, nimmt ihr Schmerz zu, wenn ich sie anrühre, geräth sie außer sich, und darum ist für die Heilung der Kranken nichts besser, als ihnen zu geben was sie wünschen und wornach sie Verlangen tragen. Also machte sich der Sohn durch solche und ähnliche Vorwände los und die Stiefmutter mußte sterben.


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