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Fünfundsiebenzigstes Capitel.
Wie man der Sorge um die Welt nicht nachhängen müsse.

Es lebte einst ein König, der drei schöne Töchter hatte, welche er an drei Herzöge verheirathete. Nun starben aber alle diese drei Herzöge in einem und demselben Jahre, und wie der König das hörte, wollte er seine Töchter zum andern Male verheirathen, rief die älteste Tochter zu sich hinein und sprach: meine Liebe, Dein Mann ist jetzt todt, ich will Dich einem andern zur Frau geben. Jene aber sprach: das will ich auf keine Weise mir zu Schulden kommen lassen und zwar aus folgendem Grunde. Wenn ich mir einen andern Mann nehmen wollte, so ist es nothwendig, daß ich selbigen so liebe, wie meinen ersten Mann, oder auch mehr oder weniger. Ersteres ist aber nicht möglich, weil der erste meine Jungfrauschaft bekam, darum kann ich ihn also nicht so lieben: wenn aber mehr, so würde das noch weit schlimmer seyn, und wenn weniger, würde zwischen uns nicht eben eine besondere Liebe stattfinden. Darum schließe ich aus allen Diesem, daß ich keineswegs einen andern Mann nehmen darf. Wie das der König hörte, rief er die andere Tochter herein und sprach: meine Liebe, Dein Mann ist gestorben: ich will Dich mit einem andern verbinden. Jene aber sprach: Herr, das werde ich niemals zugeben: denn wenn ich einen andern Mann nähme, müßte ich ihn entweder seiner Reichthümer, oder seiner Tapferkeit oder seiner Schönheit wegen nehmen. Nun brauche ich aber keinen wegen seiner Schätze, da ich selbst Ueberfluß an solchen habe, auch nicht der Tapferkeit wegen, da ich Freunde habe, die mich beschützen können, und endlich auch der Schönheit wegen nicht, denn mein Mann war der schönste von allen auf der ganzen Welt. Nehme ich nun alles dieses zusammen, so will ich durchaus keinen andern Mann wieder haben. Wie das der König hörte, rief er seine dritte Tochter und sprach: meine Liebe, Dein Mann ist gestorben, ich bin gesonnen, Dich mit einem andern zu vermählen. Jene aber versetzte: das will ich keineswegs versuchen. Denn so ich so einen andern Mann nähme, würde mich derselbe nur wegen meiner Schönheit oder meines Reichthums heirathen. Nun würde er es aber wegen meiner Schönheit nicht können, denn ich bin nicht schön: nähme er mich also meines Reichthums halber, so würde niemals eine wahre Liebe zwischen uns stattfinden, sondern sie würde, wenn der Reichthum verschwunden wäre, ebenfalls dahin seyn. Hieraus folgere ich, daß ich nie einen zweiten Mann nehmen soll. So sagen auch die Lehrer in der heiligen Schrift, daß Mann und Weib in der Ehe eins sind im Leibe und zwei in der Seele. Also ist der Leib meines Mannes auch der meinige und so auch umgekehrt. Ich kann also jeden Tag zum Grabe meines Mannes gehen und seine Gebeine sehen. Darum habe ich meinen Mann immer als gegenwärtig vor meinen Augen und will darum keinen andern haben. Wie solches der König vernommen hatte, reizte er sie nicht weiter zum Heirathen an.


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