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Achtzehntes Capitel.
Von der Sünden Vergebung.

Es war einst ein Krieger Julianus genannt, der ohne es zu wissen, seine beiden Eltern tödtete. Denn als dieser edle junge Mann an einem gewissen Tage der Jagd pflegte und einen aufgespürten Hirsch verfolgte, wendete derselbe sich plötzlich nach ihm um und sprach: Du der Du mich verfolgst, wirst der Mörder Deines Vaters und Deiner Mutter seyn. Als jener das gehört hacke, fürchtete er sich sehr, daß ihm das begegnen möchte, was er von dem Hirsche vernommen hatte. Er verließ deßhalb Alle, ging hinweg und kam in eine weit entfernte Gegend und schloß sich da an einen gewissen Fürsten an. Hier benahm er sich denn auch so wacker im Felde und im Palaste, daß ihn der Fürst zu einem Kriegsobersten machte, ihm die Wittwe eines Castellans zur Ehe gab und er somit ihr Schloß als Mitgift empfing. Die Eltern Julians aber, die wegen des Verlustes ihres Sohnes in großer Trauer allwegen sich herumtrieben und aufs Eifrigste ihren Sohn suchten, gelangten endlich an das Schloß, wo Julianus war. Als nun die Gemahlin Julianus sie erblickt, und weil jener nicht zu Hause war, sie befragt hatte, wer sie wären und jene Alles, was ihrem Sohne begegnet war erzählt hatten, so merkte sie, daß diese die Eltern ihres Mannes seyn müßten, insofern sie diese Dinge oft schon von ihrem Manne gehört hatte. Also nahm sie dieselben freundlich auf und aus Liebe zu ihrem Manne überließ sie ihnen ihr eigenes Bette und ließ für sich selbst an einem andern Orte eins zurecht machen. Am frühen Morgen aber ging die Castellanin zur Kirche und siehe da auch Julianus kam früh in ihr Schlafzimmer, um seine Frau zu wecken, und als er bei seinem Eintreten zwei Personen bei einander liegen fand, vermuthete er, es müsse seine Frau mit ihrem Buhlen seyn, zog stillschweigend sein Schwert und durchbohrte Beide zugleich. Da er aber vor das Haus trat, sah er seine Frau aus der Kirche kommen, wunderte sich sehr und fragte sie, wer die wären, welche in ihrem Bette schliefen. Jene aber sprach: Es sind Euere Eltern, welche Euch so lange gesucht haben: diese habe ich in unser Schlafzimmer gebettet. Als der das hörte, fiel er beinahe todt vor Schrecken zur Erde nieder und fing an bitterlich zu weinen und zu sagen: Weh mir Elendem, was soll ich machen, der ich meine theuern Eltern getödtet habe? Und siehe so erfüllt sich das Wort des Hirsches: ich wollte ihm entgehen, und gerade so habe ich Unglücklicher es wahr gemacht. Lebe jetzt wohl, süße Schwester, denn fürder will ich nicht ruhen, bis ich weiß, ob Gott meine Reue angenommen hat. Sie aber sprach zu ihm: Liebster Bruder, es sey ferne, daß Du mich verläßest und ohne mich wegziehest, sondern da ich Theil an Deinen Freuden gehabt habe, will ich auch Antheil an Deinen Schmerzen haben. Hierauf begaben sie sich zusammen hinweg an einen großen Strom, wo viele Personen in Lebensgefahr zu kommen pflegten und erbauten da ein großes Hospitz, auf daß sie dort Buße thäten und alle, die es wollten, unverzüglich über den Fluß setzten und alle Arme in ihrem Hospitz aufnähmen. Nach langer Zeit aber, als einst um Mitternacht Julianus ermüdet eingeschlafen und gerade eine grimmige Kälte war, vernahm er eine kläglich schreiende Stimme, welche ihn mit traurigem Tone anflehte, sie herüber zu holen. Als er das gehört hatte, stand er alsbald auf, fand einen Menschen, der fast schon vor Kälte erstarrt war, trug ihn in sein Haus machte ein Feuer an und suchte ihn zu erwärmen: allein er konnte durchaus nicht warm werden und weil Julianus fürchtete, er möchte ihm unter den Händen sterben, so trug er ihn in sein Bett und deckte ihn fleißig zu. Nach kurzer Zeit aber stieg der, welcher ihm erst krank und aussätzig erschienen war, von glänzendem Licht umgeben, zum Himmel auf und sprach also zu seinem Wirthe: Juliane, der Herr hat mich zu Dir gesendet und mir aufgetragen Dir kund zu thun, daß er Deine Buße angenommen hat und Ihr beide in Kurzem im Herrn entschlafen werdet. Bei diesen Worten verschwand er und Julianus mit seiner Gattin reich an guten Werken und Mildthätigkeit entschlief nach wenig Zeit in dem Herrn.


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