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Neunundsechzigstes Capitel.
Von der Keuschheit.

Einst herrschte der weise Gallus, der wollte einen Palast erbauen; nun lebte aber in seinem Reiche ein gar scharfsinniger Baumeister, mit welchem der Kaiser hinsichtlich dieses Baues abschloß. Es war aber zu derselbigen Zeit in jenem Reiche ein Ritter, der eine schöne Tochter hatte. Wie der die Klugheit des Baumeisters bemerkt hatte, dachte er bei sich: dem will ich doch meine Tochter zur Frau geben, er wird sie gewiß durch seine Klugheit und Kunstfertigkeit in eine glänzende Lage versetzen. Er berief ihn also zu sich und sprach zu ihm: mein Lieber, verlange von mir was Du willst und ich will es Dir geben, wenn es mir möglich ist, damit Du nur meine Tochter zur Frau nimmst. Jener aber entgegnete: das ist mir ganz recht. Sie vereinigten sich bald mit einander und der Baumeister heirathete sie. Hierauf rief die Mutter des Mädchens ihren Schwiegersohn zu sich hinein und sprach also zu ihm: mein Sohn, jetzt hast Du meine Tochter zum Weibe genommen. Hier ist ein Hemde, welches, wie Du siehst, sehr schön ist: das will ich Dir geben. Sie fuhr also fort: dieses Hemde besitzt die Tugend, daß es Dein ganzes Leben hindurch nicht gewaschen zu werden braucht, nicht zerreißt, nicht zerfällt, noch seine Farbe verändert, solange zwischen Dir und meiner Tochter treue Liebe herrscht. So aber, was fern seyn möge, einer von Euch sein eheliches Gelübde verletzt, wird das Hemde alsbald alle seine Vorzüge verlieren. Wie das der Baumeister hörte, freuete er sich sehr, nahm das Hemde in Empfang und sprach: o Mutter, was für ein spaßhaftes Schutzmittel hast Du mir gegeben! Keiner von uns wird nunmehro die Ehe brechen können, ohne daß davon durch dieses Hemde die vollständigste Kunde herauskäme. Wenige Tage nachher wurde der Baumeister zum Palaste des Königs berufen, um den neuen Palast zu erbauen: er nahm das Hemde mit sich, ließ aber seine Frau zu Hause, und blieb solange bei dem Könige, bis der Palast vollendet war. Während er aber mit seiner Arbeit beschäftigt war, wunderten sich Viele, daß das Hemde immer rein und weiß blieb, und der König selbst sprach zu ihm: Meister, ich bitte Dich, daß Du mir sagst, wie es möglich ist, daß während Du in fortwährender Arbeit beschäftigt bist, Dein Hemde ohne gewaschen zu werden, in seiner Reinheit und Weiße verbleibt. Jener aber versetzte: wisse, theuerster Herr, daß solange wir, ich und meine Frau, uns treu in unserer Liebe bleiben, mein Hemde nicht gewaschen zu werden braucht, allein wenn unser eheliches Gelübde verletzt worden wäre, würde es gerade wie alle andere Leinwand der Wäsche bedürfen. Als dieß ein Ritter gehört hatte, dachte er bei sich nach: wie wäre es, wenn ich machen könnte, daß Dein Hemde gewaschen werden müßte? Er machte sich also nach dem Hause des Baumeisters ohne Wissen desselben auf den Weg, um dessen Frau zur Sünde zu reizen. Diese nun nahm ihn freundlich auf und er klopfte bei ihr wegen eines ungesetzmäßigen Liebesverhältnisses mit ihr an. Darauf versetzte sie: solcherlei Liebe verlangt, daß wir allein sind, komm mit mir, und damit führte sie ihn in ihr Kämmerlein. Kaum hatte sie ihn aber hineingeführt, so ging sie hinaus, schloß die Thüre ab und sprach: Hier mußt Du warten, bis ich Zeit habe, Dich loszulassen. Jeden Tag besuchte ihn nun die Dame und beköstigte ihn mit Wasser und Brod. Er aber ließ es nicht an Bitten fehlen, sie solle ihn doch gehen lassen, allein sie gestattete es nicht. Nachher kamen bald noch zwei andere Ritter vom Hofe des Königs zu ihr, einer nach dem andern, um sie zu verführen, allein es gelang ihnen nicht, sondern sie sperrte dieselben in dasselbe Gemach ein und erhielt sie mit Wasser und Brod. Dort blieben sie nun viele Tage und es entstand wegen dieser drei Ritter ein Gefrage und eine Bewegung am Hofe des Königs, wo sie hingekommen seyen. Als nun der Palast vollendet war, kam der Baumeister, nachdem er seinen Lohn empfangen hatte, nach Hause und seine Frau, die sich nicht wenig freute, nahm ihn mit großen Ehren auf und erkundigte sich fleißig wie er sich befinde. Er aber beantwortete ihr Alles gar wohl und sie sah sich nun sein Hemde an, und wie sie dasselbe ganz rein fand, sprach sie: Gesegnet sey unser Gott, an dem Hemde erkenne ich, daß zwischen uns noch eine wahrhafte Liebe besteht. Darauf sprach er zu ihr: meine Liebe, als ich noch mit dem Bau des Palastes beschäftigt war, kamen drei Ritter, einer nach den andern zu mir, und fragten mich wegen des Hemdes, wie es so ohne gewaschen zu werden, in seiner ganzen glänzenden Weiße bleiben könne, und ich habe ihnen die Wahrheit gesagt. Was aber nachher aus ihnen geworden ist, weiß ich durchaus nicht, obwohl wegen ihrer Entfernung am Hofe des Königs viel Nachforschungen angestellt worden sind. Da sprach sie: Herr, jene drei Ritter, von denen die Rede ist, sind zu mir gekommen und haben mir Vieles versprochen, wenn ich ihnen zu Willen seyn wollte, aber auf keine Weise war ich in Willens, so etwas zu begehen, sondern habe sie in meinem geheimen Kämmerlein eingeschlossen und bis jetzt mit Brod und Wasser genährt. Wie das der Baumeister hörte, freuete er sich über die Treue seiner Gattin, rettete diese Ritter vom Tode und ließ sie frei ihre Straße ziehen: sie Beide aber verharrten bis an das Ende ihres Lebens in wahrer Liebe.


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