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Vierzehntes Capitel.
Wie man seine Eltern in Ehren halten solle.

Es war ein König Dorotheus, der ein Gesetz gab, daß die Söhne ihre Eltern ernähren und erhalten sollten. Nun lebte damals in diesem Lande ein Krieger, der eine schöne und anständige Frau geheirathet und mit ihr einen Sohn gezeugt hatte. Es begab sich aber der Krieger auf eine Reise, ward unterwegs gefangen und in schwere Banden geworfen: alsbald schrieb er seiner Frau und Sohne, ihn loszukaufen. Als das seine Frau hörte, ward sie sehr traurig und weinte so bitterlich, daß sie blind wurde. Da sprach der Sohn zu seiner Mutter: ich will zu meinem Vater gehen, auf daß ich ihn aus dem Gefängnisse loskaufe. Die Mutter aber antwortete: Du wirst nicht gehen, weil Du mein einziger Sohn bist, meine Freude und die Hälfte meiner Seele: es könnte Dir dasselbe begegnen wie ihm: wolltest Du wohl lieber Deinen entfernten Vater loskaufen, als Deine Mutter, welche hier ist, ernähren. Wenn man nun aber zwischen zwei gleichen Dingen zu wählen hat, so muß man das, was da ist, vorziehen. Du bist mein und Deines Vaters Sohn: ich bin da und Dein Vater nicht: hieraus folgere ich, daß Du mich auf keine Weise verlassen und Deinen Vater besuchen darfst. Hierauf antwortete derselben ihr Sohn sehr richtig: Obgleich ich Dein Sohn bin, so ist doch mein Vater die Hauptursache meines Daseins: er war der handelnde, Du nur der leidende Theil: der Vater ist in die weite Welt gegangen, Du sitzest ruhig zu Hause: er aber ist gefangen und in ein starkes Gefängniß geworfen worden, Du aber bist frei: er ist in den Händen seiner Feinde, Du unter Deinen Freunden; er ist eingeschlossen, Du bist ungebunden. Du zwar bist blind, er aber sieht kein Tageslicht, nur Ketten, Wunden und Elend, und darum will ich zu ihm reisen und ihn loskaufen. Und so geschah es; Alle aber lobten den Sohn, daß er so an der Befreiung seines Vaters gearbeitet hatte.


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