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Vierundneunzigstes Capitel.
Wie eine schöne Seele, sobald sie von dem Aussatz der Sündhaftigkeit angesteckt ist, nur durch tiefes Seufzen und Wehklagen ihre frühere Schönheit wieder erlangen kann.

Es war einst ein König, der in ferne Welttheile ziehen wollte, und eine einzige Tochter hatte, welche schön und glänzender als die Sonne am Himmel war, so daß er nicht wußte, wessen treuem Gemüthe er sie zur Bewachung anvertrauen sollte. Endlich übergab er sie einem gewissen Ritter, der sein Geheimschreiber war und den er sehr hoch hielt, mit dem Befehle, sie beständig zu hüten, daß sie nicht zu einer Quelle, welche in jenem Lande oder in der Gegend entsprang, gelangen könnte: wenn sie nämlich daraus trinken würde, werde sie den Aussatz bekommen: denn das war die natürliche Eigenschaft dieser Quelle, obwohl sie von der angenehmsten Süßigkeit war. Damit nun der Ritter sie ihrem Vater bei seiner Rückkehr eben so reizend wiedergeben könnte, als er sie, wie gesagt, empfangen hatte, dachte er bei sich nach, daß wenn er das nicht im Stande seyn werde, er seines ganzen Dienstes verlustig seyn würde, und nicht wagen dürfte seinen Herrn zu erwarten, wenn er einige Zeit ihre Bewachung hintenangesetzt hätte. Endlich kam doch einmal die besagte Prinzessin heimlich zu der Quelle, trank aus ihr und wurde aussätzig. Wie das der Ritter gewahr wurde, erfaßte ihn ein gewaltiger Schmerz und er floh mit ihr aus dem Lande in eine Wüste. Dort fand er eine Einsiedelei, pochte mit seiner Hand an die Thür derselben und traf in ihr einen Eremiten an, welchem er alles schon Erzählte mittheilte. Der Einsiedler aber gab dem Ritter einen klugen Rath, indem er zu ihm sprach: gehe hin zu jenem Berge, welchen ich Dir zeigen werde, dort wirst Du einen Stein nebst einem Stabe finden, mit diesem mußt Du derb auf den Stein schlagen, bis Du aus demselben eine Feuchtigkeit und etwas Flüssiges herausbringst, damit bestreiche und salbe sie, und sie wird gesund werden und ihre frühere Schönheit wieder erhalten. Als nun der Ritter es so gemacht hatte, wie es ihm der Einsiedler geheißen, bekam die Prinzessin ihre frühere Gesundheit und Schönheit wieder.


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